Elektromobilität Tüftler und Wissenschaftler führen die Autoindustrie vor

Weil die Autoindustrie zu wenig tut, nehmen Handwerker und Wissenschaftler wie Günther Schuh die Sache selbst in die Hand: Sie entwickeln Elektrolieferautos.

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Elektroauto-Pioniere: Bäcker Roland Schüren und Wissenschaftler Günther Schuh Quelle: Frank Beer für WirtschaftsWoche

So, vorsichtig, jetzt wird es kurz ein bisschen eng“, sagt Günther Schuh. Um in sein e.Go-Mobil zu klettern, ohne sich den Kopf zu stoßen, muss der Zwei-Meter-Mann sich tief bücken. „Dabei ist der e.Go für einen Kleinwagen schon sehr hoch, fast ein kleiner SUV“, sagt er. In nur zwei Jahren hat der Professor an der Uni Aachen mit Studenten und Partnerfirmen den kleinen Flitzer entwickelt, der jetzt vor ihm steht – vom Reißbrett bis zur Serienproduktion. Es ist ein kleines Wunder: Die etablierte Autoindustrie braucht für so etwas acht Jahre.

Besucher führt Schuh stolz durch seine Werkshalle. Es ist hell und leise – und sauber wie in einer Apotheke. In dem Gebäude auf dem Campus der Uni Aachen werden die Prototypen gebaut. Eine Handvoll Monteure schraubt ruhig und konzentriert an den Autos oder setzt Bauteile zusammen. 11.900 Euro wird der Elektroflitzer nach Abzug der 4000 Euro E-Auto-Kaufprämie kosten; für ihre rein batteriebetriebenen Kleinwagen verlangen VW, Opel oder Smart etwa das Dreifache. Die Produktion des e.Go wird Anfang 2018 starten, 700 Bestellungen für den Kleinwagen hat Schuh jetzt schon.

Schuh ist das passiert, was man in der Branche bisher nur von Tesla-Erfinder Elon Musk kennt. Das Interesse sei „viel größer“, als es in seinen Berechnungen je vorgesehen war. „Es gibt einen riesigen Markt für emissionsfreien Autoverkehr in Städten, den die Branche lange nicht gesehen hat“, sagt er.

Technische Hintergründe zu Akkus

Dabei hatte Schuh nie die Absicht, Autohersteller zu werden. Er forscht an der Optimierung industrieller Prozesse. Aber er ist auf eine Marktlücke gestoßen, die ihn beim Tüftlerehrgeiz gepackt hat.

Schuh ist der Mann, der auch den elektrischen Lieferwagen StreetScooter erfunden hat. Der hat es zu einiger Berühmtheit gebracht, seit die Deutsche Post Schuhs dahinterstehende Firma aufgekauft hat und damit ihre langjährigen Lieferanten wie VW vorführt. Mit seinem nächsten Coup, dem elektrischen Kleinwagen, will Schuh nun endgültig beweisen, dass man im Hochlohnland Deutschland E-Autos bauen kann, die alltagstauglich und erschwinglich sind.

Er ist nicht allein: In Deutschland ist eine Graswurzelbewegung der E-Mobilität entstanden, die sich die Apathie von VW und Co. nicht länger gefallen lassen will. Schuh, der Mann im Anzug und Lackschuhen in der Werkshalle, ist ihr Elon Musk. Nur dass seine Kunden keine Techmillionäre aus dem Silicon Valley sind, sondern Pflegedienste, Kurierfahrer, Handwerker aus Stuttgart, München oder Essen. Sie sind durch die in vielen deutschen Städten drohenden Dieselfahrverbote in ihrer Existenz bedroht, denn es gibt in Europa kaum Benzinlieferautos.

Die Elektropioniere organisieren sich selbst, sie improvisieren, sie tüfteln – und geben dem E-Auto-Markt den Auftrieb, den die Großen nicht hinbekommen haben: Man muss es nur ganz anders angehen, als die alte Industrie es vormacht. Und mit anderen Kunden beginnen.

Elektroautos im Kostenvergleich

Schon bald drohen Fahrverbote für Dieselautos in Stuttgart, München und 14 weiteren Städten. Am 2. August treffen sich die Topmanager der Autokonzerne zu einem hektisch von Verkehrs- und Umweltministerium einberufenen „Dieselgipfel“ in Berlin. „Ziel ist es, wirksame Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoffemissionen bei Diesel-Pkws zu erreichen“, heißt es dazu aus dem Verkehrsministerium.

Für solche Wortbaustellen hatte Schuh nie Zeit. Bereits 2009 entwickelte er, ebenfalls mit Studenten, den StreetScooter, den ersten rein elektrischen Lieferwagen. „So etwas kann man bis heute von der Industrie nicht kaufen“, sagt er. Die Post war davon so begeistert, dass sie ihm erst 14.000 E-Lkws abkaufte und dann gleich das ganze Unternehmen. „Einen E-Lkw auf Basis eines herkömmlichen Verbrennermodells zu bauen ist technisch kein Problem“, sagt Schuh. Jeder Autobauer könne das, auch jeder große Auftragsfertiger. Nur: „Deren E-Autos wären viel zu teuer“, sagt Schuh, „das liegt an der Art, wie die Autoindustrie produziert.“

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