300 Jahre Maria Theresia Drei Kriege, 16 Kinder und millionenfache Bewunderung

Nicht nur Österreicher halten Maria Theresia für die berühmteste weibliche Führungsfigur der Geschichte. Historiker entlarven zu ihrem 300. Geburtstag zahlreiche Mythen. Als Vorbild taugt sie aber immer noch.

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Maria Theresia von Österreich (1717- 1780). Quelle: imago/Rust

Düsseldorf Nach dem Tod Maria Theresias gab es viele offene Fragen. Eine der komplizierten war, wie man so einer Frau eigentlich ein Denkmal setzt: 16 Kinder, drei Kriege, unzählige Feinde, mehrere Staatsreformen des maroden Habsburger-Reiches. Sie war vier Jahrzehnte lang mehr als eine Königin. Maria Theresia war die Mutter der Nation. Und es gibt reichlich Gründe, sich ihren einzigartigen Führungsstil zum Vorbild zu nehmen - im Guten wie im Schlechten.

Ein Denkmal hatte sie verdient, keine Frage. Aber Im Gegensatz zu männlichen Herrschern konnte man Maria Theresia ja nicht einfach auf ein Pferd setzen - wohlgleich sie sehr passabel reiten konnte und damit nicht zuletzt die Ungarn für sich einnahm. Also weilt sie heute im Schatten der Hofburg an der Wiener Ringstraße auf einem Thron sitzend mit reichlich kleinen Männern unter sich. Man stelle sich Angela Merkel so vor mit Friedrich Merz und all den anderen.

Dabei hinkt ein Vergleich zwischen der aktuellen Bundeskanzlerin Deutschlands und Maria Theresia. Bis auf die Tatsache, dass beide zu ihrer Zeit die mächtigste Frau der Welt sind, gibt es kaum Parallelen. Die eine musste viel tun, um Kanzlerin zu werden, die andere bekam die Königswürde per Geburt. Die eine brauchte keine nennenswerten Reformen zu unternehmen, damit es Deutschland gut geht, die andere kämpfte mit Geschick und Verve permanent um das Überleben ihres Landes.

Die übliche Heldenerzählung über Maria Theresia geht so: 1740 erbte sie mit 23 Jahren den Thron des riesigen Habsburgerreiches mit Ländereien von Nordeuropa bis ins südlichste Italien. Das heruntergekommene Riesenreich wurde daraufhin gleich mal von mehreren Feinden überfallen. Maria Theresia gewann das Vertrauen ihrer Landsleute, überzeugte auch die wilden Horden aus Ungarn für sich zu kämpfen und überstand den siebenjährigen Krieg genauso wie noch zwei weitere.

Nebenbei gebar sie 16 Kinder, von denen zehn überlebten und ihre Erbfolge ermöglichten. Sie überzog das Land mit dringend benötigten Reformen und machte aus einem Trümmerhaufen von Ländern einen richtigen Staat. Möglich wurde das durch die Verehrung, die ihre Untertanen der charmanten Monarchin entgegenbrachten, einer Symbolgestalt und Heldin.
Das Dumme ist nur: So stimmt die Story nicht ganz. Bis heute wird viel über Maria Theresia geschrieben, das den Gang der Geschichte nicht präzise wiedergibt. Neue Biografien sind erschienen. Die beste stammt von Barbara Stollberg-Rilinger. Auf gut 1.000 Seiten kommt man der Herrscherin sehr nahe, ohne es sich mit ihr gemein zu machen: ”Man muss sich die Heldin vom Leibe halten”, schreibt sie im Vorwort.


Geschlechterkampf mit Friedrich II

Die Historikerin hält Abstand, verklärt nicht, macht es sich und dem Leser durch Verallgemeinerungen nicht zu einfach. Es ist ein permanentes Sowohl-Als-Auch. So widersprüchlich wie das Leben war auch Maria Theresia. Sie hätte wunderbar in George R.R. Martins “Game of Thrones” gepasst: Böse aus Sicht ihrer Gegner, gut und rechtschaffend aus ihrer eigenen Perspektive. Ein Mensch ist immer nur so gut wie seine Prinzipien. Passen die nicht mehr in die Zeit, führt Haltung nicht immer zu ehrenwertem Handeln.

Als Mädchen wird die am 13. Mai 1717 geborene Maria Theresia Walburga Amalia Christine aus dem Geschlecht der Habsburger in ein strenges Ordnungsgefüge gepresst. Schon als Teenager lernt sie ihren Mann kennen, den sie 1736 heiraten muss (und will) und bis zu seinem Tod liebt - durchaus eine Seltenheit bei angeordneten Ehen. Franz Stephan ist der Erbe des Herzogtums Lothringen, was so viel heißt wie: Eine ordentliche Partie, aber ihr Vater hat sich nun auch keinen irrsinnig mächtigen Verbündeten ins Haus geholt. Sie verteidigt den autoritätsarmen Schattensteher am Hof Zeit ihres Lebens, lässt ihn aber stets klar wissen, wo er steht. Bei anderen Frauen kommt Franz Stephan gut an: Unter seiner Untreue leidet sie später sehr.

Als Maria Theresia mit 23 Königin wird - ihr Vater Karl VI. stirbt am 20. Oktober 1740 plötzlich - ist Europa paradoxerweise durch Zwietracht geeint. Die Dynastien sind gleichermaßen miteinander verwandt und verfeindet, alles ist in Bewegung. Oft kämpfen Cousins gegeneinander.
Eine weibliche Regentschaft ist im dynastisch geprägten 18. Jahrhundert weitaus weniger ungewöhnlich als ein weiblicher CEO heute. Außergewöhnlich an Maria Theresia war, egal ob man es mit einem Mann oder einer Frau vergleicht, dass ein Monarch “das Geschäft des Regierens als persönliche Aufgabe derart ernst nahm”, wie Stollberg-Rilinger urteilt. Sie entspricht dem Topos einer männlichen Seele im Frauenkörper wie Margaret Thatcher oder Angela Merkel.

Und da zu einer Ikone auch ein Pfundskerl von Feind gehört, konnte man den Geschlechterkampf mit Friedrich II. wunderbar zeichnen. Der preußische König war in etwa gleich alt, aber in allem der pure Gegensatz: Protestant statt Katholikin, beharrlich statt fortschrittlich, homogen statt heterogen, steril statt fruchtbar.

Friedrich II. sieht in der Thronbesteigung Maria Theresias eine exzellente Chance, sich Schlesien anzueignen und das ohnehin von Türkenkriegen geschwächte Habsburgerreich zu attackieren: Er marschiert im Dezember 1740 mit seinen Truppen in Schlesien ein. Fünf Jahre älter als Maria Theresia war Friedrich II. bisher als schöngeistiger Freund der Muse bekannt. Aber wenn man von seinem Vater schon eine volle Staatskasse und ein hochmodernes Heer erbt, dann kann man damit auch seinen Ruhm mehren. Und so erobert er in zwei Monaten das weitgehend wehrlose aber durchaus reiche Schlesien.


Sie hielt sich das einfache Volk vom Leib

Doch in den folgenden Kriegsjahren reicht der Konflikt erheblich weiter als nur um diese beiden Antipoden. In ganz Europa herrschen Kriege und es bildet sich ein ganzes Knäuel an Konflikten. Maria Theresias Habsburgerreich muss sich unter anderem auch gegen Bayern und Frankreich erwehren. Und sie schafft es: Indem sie innerhalb und außerhalb ihres Reiches Verbündete für sich gewinnt. Sie hätte den “Frieden von Aachen” schon eher als 1748 haben können, schlug aber das Angebot Friedrichs II. lange aus, weil sie Schlesien zurückhaben wollte. Dies sollte ihr aber nicht gelingen.

Schon während des Krieges wurde für Maria Theresia ersichtlich, dass ihr loses Staatengebilde im Hinblick auf seine altertümlich Bürokratie so nicht weiterexistieren konnte. Das Verhältnis zum Adel müsste sie aufs Spiel setzen, um vor allem die Finanzstruktur des Landes in den Griff zu bekommen. So packte die Königin mutige Reformen an. Nicht alles funktionierte reibungslos und es brauchte mehrere Anläufe, aber sie erfüllte diese Managementaufgabe ordentlich - erstrecht im Vergleich zu ihren männlichen Vorgängern.

Vor allem bei diesem Thema zeigte sich ihr Genie und ihre Fähigkeit, gute Berater auszuwählen und ihnen das Gefühl von Vertrauen zu vermitteln. Sowohl ihre zeitlichen Ressourcen als auch die finanziellen waren für die hohe Zahl an Herausforderungen sehr begrenzt. Dank ihres Charisma blieb sie “zeitlebens eine Virtuosin der Kommunikation”, wie die Historikerin Stollberg-Rilinger schreibt.

Die oft attestierte Zugänglichkeit für das einfache Volk ist hingegen ein Märchen. Das hielt sich Maria Theresia vom Leib. Genial war ihr Gefühl für Gratwanderungen im Rahmen einer vormodernen Tugendethik und ihre Fähigkeit, ein Europa umspannendes Kommunikationsnetz aufzubauen. Allerdings wuchs ihr Kontrollbedürfnis im Laufe der Jahre ins Unermessliche.

Was ihr dennoch nicht gelang - entgegen so manchen Mythos: Maria Theresia war nicht die Gründerin des modernen Staates. Diese neuartigen Herausforderungen konnte man mit einem autokratischen Politikstil nicht erreichen. Die Königin konnte bei allem Bemühen nicht wissen, wie es in den hintersten Ecken ihres Riesenreiches aussah. Und die Loyalität der lokalen Kräfte vor Ort war stets ungewiss. Vielleicht eine Lehre auch für die Autokraten von heute.


Von Willenskraft und Disziplin geprägt

Was ihr enormes Arbeitspensum ermöglichte, war “die Unbeirrbarkeit im Festhalten an einmal Beschlossenem, die Unempfindlichkeit gegenüber Schmeichelei, der starke Wille zur Überwindung von Widerständen aller Art, die Abneigung gegenüber langwierigen Konsenzfindungsprozessen, die illusionslose Einschätzung ihrer adeligen Standesgenossen, aber auch die realistische Bereitschaft, auf deren Empfindlichkeiten eine gewisse Rücksicht zu nehmen”, schreibt Stollberg-Rilinger. Das klingt nicht nach typisch weiblichen Eigenschaften, sondern eher nach “dem Mann in der Frau”.

Ganz Frau war Maria Theresia woanders: Wer sich fragt, wie sie es eigentlich schaffte, angesichts von 16 Geburten zwischen ihren 21. und 40. Lebensjahr - in dieser Hinsicht hat es mit ihrem ansonsten eher arbeitsscheuen, zurückhaltenden und sanftmütigen Gatten Franz Stephan prächtig funktioniert - den Überblick zu behalten: Sie regierte bis kurz vor der Entbindung und machte danach stets sehr zügig weiter.

Willenskraft und Disziplin durchzogen ihr Leben wie das keines anderen Herrschers. Kinder waren ihr Kapital - das Mittel, um das Geschlecht der Habsburger zu sichern. Ein Familienidyll gab es nicht - Zeremonien und Bedienstete prägten den Alltag der Kleinen deutlich mehr als gemeinsame Abende vor dem Kamin. Härte braucht eine Mutter auch angesichts der Tatsache, dass nur zehn der 16 Kinder überlebten.

Ihre Kinder verheiratet die Monarchin quer durch Europa. Ihre Tochter Marie Antoinette wurde durch ihre Heirat mit dem französischen Thronfolger Ludwig XVI. berühmt. Wie er, so endete auch ihr Leben an der Guillotine. Dabei wurde sie zunächst vom Volk in Paris enthusiastisch verehrt. Später soll sie bekanntlich auf den Hinweis, dass das Volk kein Brot mehr habe, geantwortet haben, dann möge es doch Kuchen essen. Aber dieser Ausspruch gilt bei Historikern als nicht belegt.

Marie Antoinette war nicht das einzige Kind, dem es schlecht erging und mit dem ihre Mutter haderte. Besonderen schmerzlich war die Verbindung mit Stephan, ihrem ältesten Sohn und Thronfolger. Wenig überraschend drängte der erstrecht nach dem Tod des Vaters aus dem Schatten der Mutter heraus, doch die sture Kontrolleurin tat das Gegenteil von dem, was man heute als Vertrauenschenken bezeichnen würde. Spätestens als Stephan einen Krieg mit Preußen vom Zaun brach und Maria Theresia hinter seinem Rücken mit Friedrich II. Friedensverhandlungen führte, war das Tischtuch zerschnitten. Diese missratene Machtübergabe brachte Maria Theresias Herrschaft aus der Balance. Die Mutter konnte sich von der Macht nicht trennen und traute ihrem Sohn nicht zu, mit den Herausforderungen fertig zu werden.


Monarchin vom alten Schlag

Sie fand selbst keinen Ausweg aus dem Dilemma, dabei wurde ihr im Laufe der vier Jahrzehnte “die Krone immer mehr zur Last”. Hatte sie die Liebe ihrer Untertanen zu Beginn nötig, so verflüchtigte sich diese Gewissheit immer mehr. Ein Märchen ist das Klischee, dass das Volk und die Stände begeistert ihren Beitrag geleistet hätten zu den drei Kriegen und den Reformen. Sterbende Kinder, der zweite große Krieg von 1756 bis 1763 und vor allem der Tod ihres Mannes 1765 taten ein Übriges, um auf die Stimmung zu schlagen.

Doch das bedeute nicht, dass die Königin es an Entschlossenheit mangeln ließ. Alle zeitgenössischen Beobachter, Feinde wie Freunde, bewunderten ihre “Standhaftigkeit im Unglück”. Frömmigkeit und Gottvertrauen mögen dabei geholfen haben, aber auch ihr Metaziel, die Dynastie zu erhalten. Maria Theresia war eine Monarchin vom alten Schlag, die fest daran glaubte, dass dieses Erbrecht heilig war. Und das mitten in einer Zeit, wo die Ideen der Aufklärung und des Humanismus in Europa schon längst um sich griffen.

So werfen ihr Historiker heute vor, dass sie an Werten und Normen festhielt, die nicht mehr in die Zeit passten. Sie war gegen die Aufklärung mit ihrer Freigeisterei und konsequent bis hart an die Grenze zur Sturheit. Das Klischee von der uneitlen Herrscherin ist mit der historischen Wahrheit genauso wenig in Einklang zu bringen wie das der “Mutter der Nation”: Die Legende, wie Maria Theresia das Kind einer Bettlerin säufte, wurde auch bildlich zur Ikone - wohlgleich die Königin niemals überhaupt irgendein Kind gestillt hat.

Maria Theresia wurde nicht direkt nach ihrem Tod zur Ikone, sondern erst in den Jahrzehnten darauf: “Je mehr die Habsburgermonarchie an territorialer Ausdehnung verlor, desto großartiger und glanzvoller wurde das Bild Maria Theresias ausgemacht”, schreibt Barbara Stollberg-Rilinger. Am Ende ihres Lebens war von der Welt, in die sie 1717 geboten wurde, nicht mehr viel übrig: Rituale wurden nicht mehr ernst genommen, die Religion der Herrschaft hatte ihren Glanz verloren und mit dem drittrangigen Aufsteiger Preußen wurde die Großmacht Habsburg mehr als nur herausgefordert. Die Welt, in der ihre Regeln die richtigen waren, gibt es nicht mehr. “Ihre Tragik war, auf Normen zu bestehen, die kaum jemand mehr teilte”, urteil Barbara Stollberg-Rilinger.

Zum Weiterlesen

Barbara Stollberg-Rilinger
Maria Theresia

C.H. Beck Verlag, 1089 Seiten

Elisabeth Badinter
Maria Theresia: Die Macht der Frau
Zsolnay Verlag
ISBN: 978-3-552-05822-4

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