Die neueste Attacke kommt auf den ersten Blick harmlos daher: Beim Berliner Schuh- und Modeportal Zalando – Werbeslogan „Schrei vor Glück“ – können die Kunden jetzt mit einer neuen App auch via Smartphone Handtaschen, Winterstiefel oder Wanderrucksäcke ordern.
Das allein wäre für die klassischen Modeläden noch keine Aufregung wert. Aber die App bietet nebst allerlei Fashion-Schnickschnack auch einen integrierten Barcode-Scanner an. „Artikel aus dem stationären Handel lassen sich damit kinderleicht scannen und bei Zalando online suchen“, heißt es in der Pressemitteilung zur App.
Soll heißen: Die Läden der Konkurrenz werden zum Showroom degradiert. Schrei vor Wut, dürften Verkäufer bei Breuninger, Kaufhof oder Karstadt den Vorstoß kommentieren – wenn allzu dreiste Interessenten nach Beratung und Anprobe die komplette Garnitur tatsächlich mit ihren Handys scannen und bei Zalando bestellen.
Zalando auf einen Blick
Die Berliner Robert Gentz und David Schneider starteten im Oktober 2008 mit dem kleinen Online-Schuhshop Zalando. Ihr Büro diente als Warenlager, der Service lief über ihre Mobiltelefone.
Zu den Investoren zählen die Tengelmann-Gruppe (6 Prozent), der Facebook-Investor Digital Sky Technologies DST (9 Prozent), Holtzbrinck Ventures (8 Prozent) sowie die Samwer-Brüder Marc, Oliver und Alexander über ihren Berliner Startup-Entwickler Rocket Internet und European Funders Fund (17%). Die schwedische Investment AB Kinnevik hat mehrfach aufgestockt und hält mittlerweile 36 Prozent an Zalando direkt und indirekt via Rocket Internet. Damit sind die Schweden die größten Gesellschafter des E-Commerce Unternehmens. Im August 2013 stieg die Mode-Gruppe Bestseller von Anders Holch Povlsen mit 10 Prozent ein. Er kaufte u.a. Holtzbrinck und Tengelmann Anteile ab. Weitere Investoren wie der russischen Dotcom-Finanziers Yuri Milner halten insgesamt zusammen 13,5 Prozent.
Zalando expandierte in den vergangenen vier Jahren extrem schnell und aggressiv in ganz Europa und ist mittlerweile in 15 Ländern aktiv. Dafür setzte das Unternehmen große Summen für das Marketing, vor allem TV-Spots ein. Das Marktforschungsunternehmen Nielsen berechnete die Ausgaben für die Spots im Jahr 2011 allein in Deutschland auf 90 Millionen Euro. Der Bekanntheitsgrad der Marke Zalando liegt in der werberelevanten Zielgruppe bei 95 Prozent. In Frankreich kennt den Online-Händler nach einem Jahr am Markt bereits jeder Zweie.
Laut Bundesanzeiger wies Zalando für 2009 einen Fehlbetrag von 1,6 Millionen aus. 2010 waren es 20,4 Millionen. Der Umsatz lag 2010 bei 150 Millionen Euro. 2011 waren es bereits 510 Millionen Euro, 2012 hat Zalando die Milliarden-Marke mit 1,15 Milliarden Euro Nettoumsatz geknackt und den Vorjahresumsatz verdoppelt. 2013 kletterte der Umsatz um 52 Prozent auf 1,76 Milliarden Euro. Dabei steht aber ein Rekordverlust von 100 Millionen Euro in den Büchern.
Zalando beschäftigt aktuell mehr als 1200 Mitarbeiter. In Berlin entsteht ein neuer Bürokomplex mit 20.000 Quadratmetern für mehrere hundert Mitarbeiter. Ab Sommer 2013 sollen weitere Büroflächen in Berlin Mitte angemietet werden. In Erfurt eröffnet Anfang Dezember das erste eigene Logistikzentrum, mit dem Bau eines weiteren hat der Online-Händler in Mönchengladbach begonnen, hier sollen bis zu 1000 Beschäftigte arbeiten.
Das Miniprogramm kann als gezielter Angriff auf die Offline-Konkurrenz in den Fußgängerzonen gewertet werden. Der Internet-Riese macht dem stationären Modehandel ohnehin schon das Leben immer schwerer. Laut der Fachzeitschrift „Textilwirtschaft“, die wöchentlich die Umsätze zahlreicher Bekleidungshändler in einem Panel erhebt, schloss die Branche das Gesamtjahr mit einem Minus von zwei Prozent ab. 60 Prozent der Modeläden schrieben demnach rote Zahlen.
Amazon, Mirapodo und Co.
Für die Umsatzschmelze im Textilgewerbe halten betroffene Unternehmer gleich mehrere Erklärungen parat: Das Wetter sei lange zu mild und die Verbraucher seien zu knauserig gewesen, murrt die Branche unisono. Trendige Billigheimer wie die irische Modekette Primark oder der Discounter TK Maxx aus den USA erobern deutsche Einkaufsstraßen und erschüttern das Preisgefüge. Vor allem aber fällt ein Name, wenn es um den mauen Geschäftsgang geht: Zalando.
Kein anderes Unternehmen schreckt die City-Platzhirsche so wie der Berliner Online-Player, der zuerst den Schuhhandel aufmischte und nun dem Modewesen eine neue Kleiderordnung verpassen will.
Zorn der Zunft
Im Grunde dienen die Berliner dabei als Chiffre für den digitalen Generalangriff, der die Branche derzeit umwälzt. Bei rund 15 Prozent verorten Experten bereits den Anteil des Online-Handels am deutschen Schuh- und Bekleidungsmarkt. Bis 2020 könnte die Quote auf mehr als 20 Prozent steigen – und den stationären Geschäften zunehmend die Kundschaft abgraben.
Nebst Zalando bedrängen Dutzende Internet-Firmen wie Amazon, Mirapodo oder Asos die arrivierten Bekleidungsfilialisten. Ausländische Modehäuser wie Debenhams versuchen in den deutschen Markt per Web-Shop vorzudringen. Shoppingclubs buhlen um die Kundengunst, und Markenhersteller verkaufen ihre Ware zunehmend über eigene Online-Shops.
Und dennoch zieht zuvorderst Zalando den Zorn der Zunft auf sich.