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Die semantische Lücke schließen Wie lautet der Code für menschliches Denkvermögen?
Schon jetzt können Computer selbständig denken, wenn sie Entscheidungen auf Basis riesiger Datenberge treffen. Doch wann können sie völlig neue Situationen aus ihrer eigenen Erfahrung heraus beurteilen – wie der Mensch?
Monatelang trainierten die Programmierer von Googles Entwicklerfirma DeepMind das Computerprogramm AlphaGo mit Spielzügen menschlicher Go-Meister. 30 Millionen Spiele dauerte es, bis es dem Programm gelang, den amtierenden Meister dieses Brettspiels mit bis dahin unbekannten Spielzügen zu schlagen.
Die richtige Sensation gelang aber erst seinem Nachfolger AlphaGo Zero: Er benötigte gerade einmal drei Tage und fünf Millionen Spiele, um AlphaGo zu schlagen – und zwar ohne vorheriges Trainieren von Spielzügen. Das neuere Programm erhielt nur das Regelwerk des Spiels und musste pro Zug zwei Variablen berechnen: Welche nächsten Züge sind möglich und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, mit diesen Zügen am Ende zu gewinnen? Der Clou: „Nach jedem Spiel konfigurierte sich das neuronale Netzwerk hinter AlphaGo Zero selbst in eine neue und bessere Version“, erklärt Andreas Dengel, Wissenschaftlicher Direktor und Standortleiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Kaiserslautern. Dort beschäftigt er sich unter anderem mit der Frage: Werden Maschinen nicht nur wie AlphaGo Zero selbständig lernen, sondern auch jemals wie ein Mensch ganzheitlich denken können?
Dem Denkvermögen der Computer auf der Spur
Der britische Logiker, Mathematiker, Kryptoanalytiker und Informatiker Alan Turing entwickelte 1950 den „Turing Test“, mit dem man feststellen kann, ob ein Computer ein dem Menschen gleichwertiges Denkvermögen besitzt. Ein menschlicher Fragesteller führt über eine Tastatur und einen Bildschirm eine Unterhaltung. Die Gesprächspartner, ein Mensch, eine Maschine bleiben anonym. Beide versuchen, den Fragesteller davon zu überzeugen, dass sie denkende Menschen sind. Wenn der Fragensteller nicht sagen kann, welcher von beiden die Maschine ist, hat die Maschine den Turing-Test bestanden.
Ein Gedankenexperiment soll zeigen, dass eine Person, die kein Chinesisch spricht, chinesische Schriftzeichen anhand einer Anleitung in ihrer Muttersprache übersetzen kann. Man stelle sich einen geschlossenen Raum vor, in dem ein Mensch, der kein Chinesisch spricht, schriftlich Fragen zu einer chinesischen Geschichte beantwortet. Personen außerhalb des Raums folgern aus den Ergebnissen, dass der Mensch in dem Raum Chinesisch beherrschen muss, obwohl das nicht der Fall ist. Das Gedankenexperiment des Philosophen John Searle soll übertragen auf einen Computer zeigen, dass regelbasierte Zeichenreihen verändert werden können, ohne dass die Bedeutung der Zeichen verstanden werden muss. Das allein reicht aber nicht aus, um menschliche Intelligenz zu beweisen.
Googles semantische Suchfunktion Knowledge Graph zeigt zusätzlich zu den Suchergebnissen Zusammenhänge zum eingegebenen Suchbegriff: Eine Datenbank, die häufig gesuchte Keywords und die Absichten hinter den Begriffen auf Grundlage des bereits vorhandenen Inhalts sammelt. Ein gutes Beispiel ist das dynamische Ergebnis, das angezeigt wird, wenn man mit der Suchfunktion „berühmte Schauspieler“ sucht.
„Datenbasiertes Wissen beherrschen die Maschinen längst besser als Menschen“, erklärt Arnab Chakraborty, Managing Director Accenture Analytics DACH. Blitzschnell können sie statistische Zusammenhänge aus riesigen Datenmengen analysieren, um Trends vorauszusagen oder die lukrativste Geldanlageform zu finden. Doch wo intuitives Weltwissen und statistisches Wissen aufeinandertreffen und in Zusammenhang gebracht werden müssen, um die menschliche Fähigkeit nachzubilden, Bedeutungen aus dem Kontext heraus zu verstehen, klafft noch eine große Lücke. Wissenschaftler wie Professor Dengel sprechen hier von der „semantischen Lücke“. Wird sie geschlossen, könnte das den Einsatzmöglichkeiten von KI in der Wirtschaft einen enormen Schub verleihen.
Wenn künftig Autos autonom fahren und Maschinen in Fabriken und Unternehmen anspruchsvollere Aufgaben übernehmen, müssen sie nicht nur auf Basis von vorgegebenen Programmen agieren können, sondern auch Zusammenhänge erkennen können. Das selbstfahrende Auto etwa muss auf der Straße nicht nur erkennen, ob sie trocken oder nass ist, um daraus die richtigen Schlussfolgerungen für Bremsmanöver zu errechnen, sondern auch, wie nass sie ist – vereist oder gar überschwemmt.
„Es gibt heute erste Systeme, die in der Lage sind, den Kontext, in dem Dinge passieren, datengeneriert zu modellieren und einzubeziehen“, erklärt Dengel und nennt als Beispiel das sogenannte „Affective Computing“, das Emotionen beurteilt. Bildverarbeitende Systeme werden dafür mit Hilfe von Foto- und Filmdatenbanken trainiert, so dass sie Emotionen erkennen lernen. Sie können diese sogar simulieren wie der lächelnde japanische Serviceroboter Pepper. „Der irrationale Aspekt der Intelligenz, der für Menschen in der Entscheidungsfindung ganz wichtig ist, fehlt jedoch bei den heutigen Systemen“, sagt Dengel.
Experten zufolge wird es noch zehn bis 20 Jahre dauern, bis die semantische Lücke geschlossen werden und Künstliche Intelligenz ihr volles Potenzial entfalten kann. Bis dahin gibt es noch viel zu tun: „Unternehmen müssen ihre Daten-Silos aufbrechen, so dass die für KI-Systeme erforderlichen Querbeziehungen überhaupt möglich werden“, erklärt Dengel. Sie benötigen mehr formales Wissen, das vereinheitlicht und standardisiert wird, um auf dessen Grundlage Kontexte in datengetriebene Systeme einzubinden. Und zu guter Letzt müssen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, was überhaupt mit den Daten geschehen darf und wem sie gehören. Für Dengel eine enorm wertvolle Entscheidung: „Wenn das geregelt ist, können uns solche Systeme sehr im Alltag und Beruf helfen, unsere Intelligenz zu verstärken.“
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