1. Wie tief fallen die Kurse noch?
Das kann niemand genau sagen. Nach dem schlimmsten Tageseinbruch seit acht Jahren vom Montag gaben die Kurse auch am Dienstag nach. Der Composite Index in Shanghai verlor bis Handelsschluss 1,7 Prozent. Der Component Index in Shenzhen rutschte um 1,4 Prozent ab. Der Einbruch wäre vermutlich noch schlimmer ausgefallen, wenn die Börsenaufsicht und die Zentralbank nicht neue Hilfen angekündigt hätten. „Chinas Notenbank bekräftigte, verschiedene Instrumente der Geldpolitik zu nutzen, um im zweiten Halbjahr für ausreichend Liquidität zu sorgen“, schreibt Dorothea Huttanus von der Deutschen Zentral-Genossenschaftsbank.
2. Gibt es wenigstens Anhaltspunkte für weitere Kursverluste?
Börsenguru Tom DeMark erwartet, dass chinesische Aktien in den kommenden drei Wochen weitere 14 Prozent abgeben. Demzufolge wird der Shanghai Composite Index bis auf 3.200 Punkte fallen. Das wäre ein Rückgang um 38 Prozent gegenüber dem Hoch am 12. Juni. DeMark hatte bereits früher richtige Prognosen zur Entwicklung des chinesischen Aktienmarkts abgegeben, etwa als er im Februar 2013 prognostizierte, dass der Shanghai Composite nachgeben werde. Einen Tag darauf begann der Index tatsächlich seinen Rückzug von 20 Prozent gegenüber seinem Neun-Monats-Hoch. Ob die chinesischen Indizes sich stabilisieren können, dürfte aber von weiteren Eingriffen der Regierung abhängen.
Die fünf großen Gefahren für Chinas Wirtschaftswachstum
Seit Jahren schießen die Immobilienpreise in Chinas Großstädten in ungeahnte Höhen - seit Monaten mehren sich jedoch Zeichen für einen Kollaps.
Neben den trägen Staatsbanken hat sich in China ein großer Markt von nicht-registrierten Geldinstituten etabliert, die der Staat bislang nicht kontrollieren kann.
Banken haben ohne genaue Prüfung Firmen immense Kredite für unproduktive und verschwenderische Investitionen gegeben.
Mit Subventionen der Regierung haben viele Branchen gewaltige Überkapazitäten aufgebaut, beispielsweise die Solarindustrie. Aber sie werden ihre Produkte nicht los.
Chinas Wirtschaft hängt vom Export ab. Geraten wichtige Abnehmerländer in Krisen, hat auch China Probleme.
3. Welche Rolle spielt der Staat für die Entwicklung an den Börsen?
Pekings Regierung hat von jeher dafür getrommelt, dass die Chinesen ihr Erspartes in Aktien investieren und massiv dafür geworben. Viele Bürger sind dem Aufruf gefolgt – wohl auch mangels Alternativen. Denn bislang ist es Chinesen nur schwer möglich, ihr Geld an den internationalen Kapitalmärkten anzulegen. Sie haben stattdessen die Wahl zwischen Sparbuch, Immobilien – und eben Aktien. Ein anderes Ziel der Regierung: Firmen sollen einfacher an Geld kommen. Zwar ist die Unternehmensfinanzierung über Kredite noch immer wichtig, wie das US-Analysehaus IHS betont. Doch ist der Bankensektor nur schwer in der Lage, vor allem mittelständische Unternehmen mit Geld zu versorgen. Indem die chinesische Regierung Privatanleger in Aktien drängt, versucht sie also, das Finanzierungsproblem für Unternehmen zu lösen – und die Schwächen des Bankensektors zu vertuschen.
4. Welche Nachteile ergeben sich hieraus?
Einmal angefangen, kommt der Staat nun nicht mehr aus der Sache heraus: Damit die Strategie aufgeht, sich das Ersparte für Kleinanleger mehrt und Firmen an Geld kommen, müssen die Kurse oben bleiben. Einen Crash kann man sich schon wegen der Reputation im Grunde nicht leisten. Peking hat sich daher im Kampf gegen einen Börsencrash weiter in die Märkte eingemischt, als es viele Ökonomen in China vorher für möglich gehalten hätten: Börsengänge wurden ausgesetzt, Großaktionären wurde der Verkauf ihrer Papiere verboten und Staatsunternehmen wurden zum Aktienkauf verdonnert. Zudem initiierte die Börsenaufsicht CSRC ein riesiges Aktienkaufprogramm. Über die staatliche China Securities Finance Corporation (CSFC) werden die Märkte mit Geld versorgt. Umgerechnet 446 Milliarden Euro soll Peking so zur Verfügung gestellt haben.
5. Warum greifen diese staatlichen Maßnahmen nicht?
Die Hilfsprogramme der Regierung nutzen sich ab – oder besser: sie nützen nichts, wenn gleichzeitig immer mehr Anleger nicht mehr an die Börsen glauben. So ist der Einbruch von Montag ist ein deutlicher Hinweis, dass viele Privatanleger dem staatlich initiierten Aufwind auf lange Sicht nicht trauen. Sie nehmen lieber die Gewinne mit, als auf langfristig steigende Kurse zu hoffen.
6. Hat der Börsencrash in China Auswirkungen auf die Realwirtschaft?
Wenig. Der Aktienmarkt hat sich schon lange von der Realwirtschaft entkoppelt. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) der wichtigsten chinesischen Indizes liegt nach den jüngsten Kurseinbrüchen zwar näher an westlichen Maßstäben, doch immer noch deutlich über dem KGV von Dax, Dow Jones und Co. IHS hat berechnet, dass beide Börsen Schanghai und Shenzen auf ein KGV von 40 kommen, während der Indikator 2007 noch bei 70 lag.