Anlagestrategie Der Antrieb der Herde

Nicht nur die Weltwirtschaft, auch die Anlagetheorie ist durch die Finanzkrise ins Wanken geraten. Die Portfolio-Diversifikation, zuvor Patentrezept zur Renditeoptimierung, funktionierte auf einmal nicht mehr und riss weltweit Depots in die Tiefe. Ausnahmefall oder Widerlegung der Theorie?

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Anleger, die sich an der Marktentwicklung orientieren, haben nur in ruhigen Börsenzeiten Erfolg. Quelle: handelsblatt.com

FRANKFURT. Über diese Frage ist unter Wissenschaftlern und Vermögensverwaltern seitdem ein Richtungsstreit entbrannt. Während die einen mit Verweis auf eine Normalisierung der Lage schon zur alten Anlagestrategie zurückkehren, machen sich andere auf die Suche nach neuen Patentrezepten.

Die Grundidee der Diversifikation nach Nobelpreisträger Harry Markowitz lautet: Wer sein Geld über unterschiedliche Anlageklassen mit verschiedenen Risiken streut, der sichert sich gegen Kursverluste in einzelnen Märkten ab. Einzige Voraussetzung ist, dass die einzelnen Klassen sich in ihrer Entwicklung nicht beeinflussen. Genau an dieser Voraussetzung ist die Strategie in der Finanzkrise gescheitert.

Verschiebungen ruinieren Rendite

Ein weiteres Problem ist, dass die Risikostreuung schon vorher nur unter der Bedingung, dass die errechnete Streuung exakt eingehalten wurde, tatsächlich effizient gewesen sei. "Schon eine geringe Verschiebung zwischen den Anlageklassen kann die Rendite zum Einsturz bringen", so Rüdiger von Nitzsch, Professor für Finanzanlagen an der Uni Aachen. Das macht eine intuitive Reaktion auf Marktveränderungen fast unmöglich. Dabei wäre die spontane Flucht in renditelose Anlagen in der Krise kurzzeitig die einzig richtige Antwort gewesen.

Teodoro Cocca, Professor für Finanzwirtschaft an die Uni Linz, plädiert dafür, sein Geld lieber intuitiv auf wenige Anlagen zu verteilen, die man gut einschätzen kann, zum Beispiel die Aktien einzelner Branchen oder bestimmte Rohstoffe. "Wer den fundamentalen Wert einer Anlage einschätzen kann, wird Marktkrisen in Ruhe aussitzen", so Cocca. Wo hingegen nach mathematischen Rationalitäten verteilt wird, drohen Totalausfälle von ganzen Teilen des Portfolios. Denn Grundlage der Abwägung ist hier die Bewertung durch den Markt, nicht den Anleger. Wie gewaltig der jedoch irren kann, haben die vergangenen Jahre eindrucksvoll gezeigt.

Für Markowitz Jünger sind all diese Nachteile kein Problem. Sie argumentieren, dass nach der Lehman-Pleite letztlich jede Anlagestrategie versagt habe, nicht bloß die der Risikosteuerung nach mathematischen Kriterien. Doch das ist gefährlich. Denn wer mathematisch diversifiziert, verlässt sich bei der Berechnung seiner Vermögensverteilung auf die Annahme, das Risiko einer Anlage in der Zukunft aus seinen vergangenen Risiken ableiten zu können. Ob eine Marktentwicklung jedoch realistisch ist oder sich eine Blase gebildet hat, ignorieren die Rechenkünstler vollkommen.

So folgt jeder Anleger der Marktentwicklung, um ein möglichst großes Stück vom Wachstumskuchen abzubekommen. Das mag in ruhigen Börsenzeiten eine erfolgreiche Strategie sein - doch letztlich kommt es einer Selbstentmündigung gleich. Denn wo jeder sich darauf konzentriert, der Erste in der Herde zu sein, merkt am Ende keiner, wenn alle auf die Klippe zulaufen.

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