Atomkraftwerk Fukushima Atombehörde IAEA gibt Teil-Entwarnung

Während sich der Betreiber des Atomkraftwerks Fukushima noch verzweifelt gegen die drohende Kernschmelze stemmt, gibt die Atomenergiebehörde IAEA teilweise Entwarnung. Aber die Lage bleibt kritisch.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Der Reaktor 3 des Kernkraftwerks Fukushima aus der Vogelperspektive. Quelle: handelsblatt.com

Die UN-Atomenergiebehörde ist Befürchtungen entgegengetreten, die Atomkrise in Japan könne zu einem zweiten Tschernobyl führen. IAEA-Chef Yukiya Amano sagte, es sei „unwahrscheinlich, dass sich der Unfall so entwickeln“ werde. Die Strukturen seien anders, erklärte Amano. Noch sei es zu früh zu sagen, welche Auswirklungen die Krise auf die jüngste Wiedergeburt der Atomkraft haben werde. Allerdings ändere das Unglück nichts an der Tatsache, dass ein stabiler Energielieferant benötigt werde. Bei dem weltgrößten Atomunfall der Geschichte war 1986 in Tschernobyl ein sowjetischer Reaktor explodiert.  Die IAEA teilte am Abend weiter mit, es gebe keine Anzeichen für ein Schmelzen der Brennstäbe in dem am schwersten von einem Erdbeben und Tsunami betroffenen Kernkraftwerk in der Präfektur Fukushima. Die in der Umgebung gemessene Radioaktivität sei am 12. März stark angestiegen, dann jedoch bis zum Abend wieder zurückgegangen.

Die französische Atomaufsicht schätzt die Atomkatastrophe in Japan auf Störfallstufe sechs von sieben ein. „Es ist ein höheres Niveau als Three Mile Island, aber noch nicht so schlimm wie Tschernobyl“, sagte André-Claude Lacoste von der Behörde für Atomsicherheit am Montag in Paris. Es sei indes möglich, dass die Stufe von Tschernobyl erreicht werde, fügte er hinzu. Bei dem Vorfall im US-Kraftwerk Three Mile Island war es 1979 zu einer Kernschmelze gekommen.

Währenddessen liefern sich die Techniker im Atomkraftwerk Fukushima liefern sich einen dramatischen Wettlauf mit der Zeit: In drei Reaktoren des 400 Kilometer nördlich von Tokio gelegenen AKW droht eine Kernschmelze, wie die Regierung am Montag einräumte. Bei einer zweiten Explosion wurde erneut ein Gebäude im Reaktor zerstört, sieben Arbeiter wurden verletzt. Am Haupttor des Kraftwerks Fukushima Eins stieg die Strahlung am Abend mit 3100 Mikrosievert auf das Doppelte des zuvor gemessenen Maximums - bei einer Röntgenaufnahme des Oberkörpers sind es rund 80 Mikrosievert.

Im Reaktorblock 2 könnte die Kernschmelze bereits begonnen haben, erklärte die AKW-Betreibergesellschaft Tepco. Dort ragten die vier Meter langen Brennstäbe am Abend aus dem Wasser heraus, nachdem es zu Problemen mit einem Ventil gekommen war. Daraufhin pumpten Techniker erneut große Mengen Meerwasser in die Anlage.  Zuvor hatte es um 11.00 Uhr Ortszeit (03.00 Uhr MEZ) eine zweite Wasserstoffexplosion gegeben: Diesmal war Reaktorblock 3 betroffen. Sieben Arbeiter wurden verletzt und fünf verstrahlt, wie Kyodo berichtete. Die Betonhülle des Gebäudes wurde beschädigt.

Nach Informationen von Greenpeace enthält der Reaktor 3 das besonders gesundheitsgefährdende Plutonium. Nach Angaben der japanischen Behörden blieb der Reaktor selbst intakt. Am Samstag war es zu einer ähnlichen Explosion in einem Gebäude des Reaktors 1 gekommen.  Mit einer Kernschmelze steigt die Gefahr, dass der Druckbehälter beschädigt und hochgradig radioaktives Material aus dem Reaktor-Inneren freigesetzt wird. Deshalb sei es außerordentlich wichtig, die Brennstäbe möglichst schnell wieder abzukühlen, betonte Sven Dokter von der Deutschen Gesellschaft für Reaktorsicherheit im dpa-Gespräch. Bei einer vollständigen Kernschmelze mit extrem hohen Temperaturen und hohem Druck sei nicht auszuschließen, dass sich die heiße Masse durch den Boden des Druckbehälters fresse. Treffe sie später auf Grundwasser, könnte es zu einer verheerenden Dampfexplosion kommen.

Probleme mit der Kühlung gibt es auch im rund zwölf Kilometer entfernten Atomkraftwerk Fukushima Zwei. Dort arbeiten Experten an der Wiederherstellung der Kühlung von zwei Reaktoren. Zudem versagte im AKW Tokai am Sonntag (MEZ) eine Pumpe für das Kühlsystem. Die Anlage steht nur rund 120 Kilometer nordöstlich von Tokio. Die Botschaften mehrerer EU-Staaten legten ihren Bürgern nahe, Japan zu verlassen.  Beim Wetter könnte der Dienstag für Japan ein „kritischer Tag“ werden, sagte der Meteorologe Martin Jonas vom Deutschen Wetterdienst (DWD). In der Nacht zum Dienstag und im Laufe des Tages drehe der Wind aus West in nördliche bis nordöstliche Richtung. Der Nordwind könnte radioaktive Substanzen vom Atomkraftwerk Fukushima nach Tokio transportieren.

Der Betreiber des Atomkraftwerkes Tokai II, Japan Atomic Power, teilte in der Zwischenzeit mit, der Reaktor werde bis Dienstagmorgen sicher heruntergekühlt werden können.

Das nun unvermeidliche Ablassen des Dampfes aus dem Reaktorkern erhöht die radioaktive Verseuchung der Umgebung. Da die Kapazität zur Kühlung von außen durch Feuerwehrwagen begrenzt ist, steigt nun auch hier die Gefahr einer kompletten Kernschmelze deutlich an. Das würde wiederum die Gefahr für die weiter südliche gelegene 30-Millionen-Metropole Tokio ansteigen lassen. 

Kraftwerksbetreiber Tepco will eine dritte Wasserstoffexplosion an dem Unglückskraftwerk vermeiden. Nach den Erfahrungen mit den Blöcken 1 und 3 soll die Notkühlung des ebenfalls betroffenen Blocks 2 nun nach einem etwas anderen Verfahren erfolgen. "Wir wollen den entstehenden Wasserstoff abführen", sagte ein Sprecher. "Das Ziel ist es, diesmal die Ansammlung des Wasserstoffs im Reaktorgebäude zu verhindern."

Der AKW-Betreiber hat am Montag mit regionalen Stromabschaltungen begonnen. Teile des Großraum Tokios waren daraufhin in Dunkelheit gehüllt. Tepco befürchtet wegen der Reaktor-Unfälle Versorgungsengpässe von bis zu 10 Millionen Kilowatt an Werktagen.

Die Börse Tokio reagierte sofort auf die schlechten Nachrichten. „Das ist heute wie beim Lehman-Schock“, sagt ein Analyst. Der Nikkei-Index fiel bis zum frühen Montagnachmittag (Ortszeit) um gut sechs Prozent.

Die Stadt Tokio hat unterdessen begonnen, laufend Strahlenmessungen zu veröffentlichen. Bisher konnten die Experten jedoch keinen Anstieg der Werte feststellen. Die Hülle des betroffenen Reaktorkerns sei intakt. Nach Mitteilung der Betreiberfirma Tepco wurden bei der Explosion elf Menschen verletzt. In dem Atomkomplex etwa 240 Kilometer nördlich von Tokio arbeiten Ingenieure verzweifelt daran, Reaktoren zu kühlen und eine Kernschmelze zu verhindern.

Schon am Samstag wurde ein Reaktorgebäude von einer Explosion erschüttert. Nach der Explosion am Reaktor 3 im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Eins sei am Montagmorgen im Umfeld der Anlage keine erhöhte Radioaktivität gemessen worden, erklärte Regierungssprecher Yukio Edano. Angesichts des Ausmaßes der Katastrophe in Nordjapan gab es an den Aktienmärkten am Montag starke Kursverluste. Die Notenbank unterstützt den Bankensektor mit 15 Billionen Yen (132 Milliarden Euro), um die Märkte zu beruhigen. Sollte es nicht gelingen, die Reaktoren im AKW Fukushima I abzukühlen, könnten die Behälter schmelzen oder explodieren. Radioaktivität könnte dann in die Atmosphäre gelangen. Mit Meerwasser wurde zunächst versucht, drei Reaktoren abzukühlen.

Nach Angaben der Regierung könnte es in einem der Reaktoren eine teilweise Kernschmelze gegeben haben. In diesem Kraftwerksblock gab es bereits am Samstag eine Explosion. Die Betreiberfirma Tepco ließ radioaktiven Dampf entweichen, um den Druck zu vermindern. Nach offiziellen Angaben erlitten bislang 22 Menschen eine Strahlenvergiftung. Bis zu 190 kamen demnach mit Radioaktivität in Berührung.

Nach Einschätzung der Regierung handelt es sich um die schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die offiziell bestätigte Zahl der beim Erdbeben und dem Tsunami vom Freitag vergangener Woche ist mittlerweile auf 5000 gestiegen, wie die japanische Polizei mitteilte. Lokale Behörden befürchten jedoch, dass die tatsächliche Opferzahl weit darüber liegt. Allein in der Präfektur Miyagi werden nach wie vor mehr als 10.000 Menschen vermisst. Millionen Menschen sind ohne Strom und Wasser. Heftige Nachbeben erschütterten am Montag das Land.

Unterdessen nahmen alle Seehäfen in und südlich der Hauptstadt Tokio ihren normalen Betrieb auf. Häfen an der Nordostküste würden noch überprüft, sagte ein Schiffsbesitzer in Tokio. Nach dem Beben am Freitag wurden zunächst alle Häfen geschlossen. Japan ist in der Katastrophenregion auf die Häfen angewiesen, um Hilfsmaterial zu den Opfern zu bringen.

Die Versorgungslage in Japan ist allerdings mehr als prekär, Engpässe gibt es vor allem bei Benzin und Nahrungsmitteln. Während die Welt die grausigen Bilder aus den nur Dutzende Kilometer entfernten Katastrophengebieten verfolgt, leiden auch die Menschen in den weniger beschädigten Vorgebieten unter Versorgungsmängeln, Erschöpfung und Ungewissheit. „Mir nützt es nicht viel, wenn die Regierung in Tokio über die nationale Situation Auskunft gibt“, sagt zum Beispiel die hochschwangere Sakiko Sato, die in einer langen Schlange vor einem Supermarkt in Kagamiishi wartet. „Ich will lieber wissen, wo ich noch einkaufen kann und wo es noch geöffnete Tankstellen gibt.“

Die US-Marine setzte den Hilfseinsatz ihrer Schiffe vor der japanischen Küste wegen einer leichten Verstrahlung vorübergehend aus. In der Umgebung, an Hubschraubern und bei ihren Besatzungsmitgliedern sei eine geringe Dosis Radioaktivität festgestellt worden, teilte die US-Marine mit. Der Flugzeugträger „USS Ronald Reagan“ und andere Schiffe der Siebten Flotte seien abgedreht, um nicht mehr dem Wind aus Richtung Fukushima ausgesetzt zu sein. In der Nacht zum Dienstag (Ortszeit) nahm das US-Militär die Aktion dann wieder auf.

Auf den Philippinen steigt die Angst vor einer radioaktiven Wolke aus Japan. Angeheizt wurde die Panik durch eine SMS-Botschaft, die in Windeseile die Runde machte. Danach sollte die Strahlung noch am Montag die 3000 Kilometer südwestlich von Tokio gelegene Hauptstadt Manila erreichen. Die Sprecherin des Präsidenten Abigail Valte beruhigte die Menschen im Radio.

Die SMS-Botschaft entbehre jeder Grundlage. Die SMS-Botschaft kam angeblich von einem respektablen internationalen Fernsehsender. Darin hieß es, die Bewohner sollten die nächsten 24 Stunden in ihren Häusern bleiben. „Solche Scherze sind nicht hilfreich“, sagte die Präsidentensprecherin. „Wir tun alles, um die Menschen akkurat zu informieren.“ Vor einer Strahlenbedrohung nach den Explosionen in dem japanischen Atomkraftwerk Fukushima warnte die Regierung nicht.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%