Börsen-Erinnerung Das Erbe des Neuen Marktes

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Finanziell gereicht es ihm nicht zum Nachteil. Mit dem Verkauf der Epigenomics-Anteile habe er sein Vermögen verdoppelt, sagt Olek, mit dem Verkauf der Phorms-Anteile noch einmal. Man sei sich in beiden Fällen über die weitere Unternehmensstrategie nicht mehr einig gewesen, sagt Olek, so etwas passiere. Während es anderen um die Konsolidierung des Geschäfts gegangen sei, habe er auf Wachstum und Dynamik gedrängt: „Ich bin nun mal ein Vorwärtsdenker, ein Unternehmer, ein Überzeugungstäter.“ Und natürlich ein Chaot, Olek weiß es, ein großes Kind, dem sein Spielzeug schnell langweilig wird, ein leicht Entflammbarer, ein unverbesserlicher Weltverbesserer, ein unruhiger Geist, der nicht mal seine Marlboros genießen kann, weil sich die vielen Gedanken in seinem Kopf immer einen Tick zu schnell drehen.

Olek gehört zu den Menschen, die im Hauptbahnhof 20 Eterna-Hemden für 59,90 Euro das Stück kaufen, nur um ein paar Jahre ihre Ruhe zu haben und nicht shoppen gehen zu müssen. Geld interessiert ihn nicht, er hat es ja, das reicht – nicht, um es auszugeben („schale Sache!“), sondern um es einzusetzen: für seine Träume, für die Zukunft seiner Kinder. Olek hat vier, sie sind acht und sechs und vier und zwei Jahre alt; er hat sie Nelson (wegen Mandela) und Jeanne (d’Arc) und Robin (Hood) und Sophie (Scholl) getauft – und er hat sich damit ziemlich genau die heldenhaft-solidarische Welt zurechtfantasiert, an der er so tatkräftig herumzimmert.

Triumph der Bodenständigen

Vor drei Monaten hat sich Olek in Berlin-Mitte ein neues Büro gemietet, 200 Quadratmeter, dunkel gebeiztes Stabparkett, weiße Regale, dazwischen viele Umzugskartons, ein paar Computer und drei Mitarbeiter, die er von Phorms mitgenommen hat. Sein neues Unternehmen heißt Themes – und die Themes-Idee fängt ziemlich genau da an, wo die Phorms-Idee aufhört. Mit Phorms hat Olek „bilinguale Weltklasse-Bildung auf Grundschul-Niveau“ anbieten wollen; mit Themes will Olek ein Netzwerk internationaler Schulen für 14- bis 18-Jährige aufbauen, die sich auf alle Kontinente verteilen, je ihren eigenen Fokus haben und „great global themes“ bearbeiten, also „Nachhaltigkeit“, „Energie“, „Nahrung“, „Religion“ und „Musik/Kunst“. In Kenia hat Olek sich am Rande des Tsavo-Nationalparks bereits ein Stück Land gekauft. Hier entsteht die erste Themes-Schule, Schwerpunkt „Natur- und Artenschutz“.

Tapferer als die Höhenflieger schlagen sich in den Jahren nach dem Crash die Bodenständigen. Und so ist es vielleicht bezeichnend, dass eines der wenigen Unternehmen aus dem Neuen Markt, dessen Aktienkurs heute über dem Emissionspreis liegt, ein Unternehmen ist, das diesen Neuen Markt nie repräsentiert hat: Pfeiffer Vacuum. Und es ist ganz sicher die schönste Pointe in der jüngeren Börsengeschichte, dass ausgerechnet ein Unternehmen, das über die Herstellung von Vakuumpumpen buchstäblich mit dem „Nichts“ Geld verdient, sich als Substanzwert erwiesen hat, während die frech behauptete Substanz so vieler Internet- und Biotech-Firmen sich buchstäblich in Nichts auflöste.

Pfeiffer Vacuum war gleich in doppelter Hinsicht kein typischer Neuer-Markt-Wert. Erstens wurde das hessische Unternehmen bereits 1890 gegründet und zweitens bereits 1996 an die Börse gebracht: in New York, nicht in Frankfurt – ein Jahr, bevor es den Neuen Markt überhaupt gab. Damals, 1996, gehörte Pfeiffer Vacuum zum Oerlikon-Konzern, der sich einen weiteren Wettbewerber einverleibt und von der Kartellbehörde die Auflage erhalten hatte, Pfeiffer Vacuum im Gegenzug abzustoßen. „Es war gewissermaßen unsere Zweitgründung“, sagt Vorstandschef Manfred Bender. Der Erlös des Börsengangs sei an die Mutter geflossen, man habe sozusagen bei null angefangen, bei 6,26 Euro pro Aktie – und das Wunderbare sei, dass der Kurs seither nie unter den Emissionspreis gefallen sei.

Analysten forderten mehr Aggressivität

Natürlich, sagt Bender, habe Pfeiffer Vacuum schon 1996 versucht, in Deutschland gelistet zu werden, „aber als mittelständisches Unternehmen mit 25 Millionen Euro Marktwert hatten wir damals keine Chance“. Die Aufnahme in den Neuen Markt erfolgte 1998 daher im Wege des Zweitlistings. Der Wert der Aktie hatte sich zwischenzeitlich verachtfacht – und das Papier seine steilste Karriere in dem Moment hinter sich, als die Internet-Buden an den Neuen Markt drängten.

Bender ist stolz darauf, dass Pfeiffer Vacuum seit dem Börsengang profitabel, zu keiner Zeit Banken verpflichtet war – und dass das Unternehmen seine Kapitalbasis durch die Thesaurierung von Gewinnen sukzessive hochschrauben konnte. „Es gab in der Hochphase des Börsenbooms viele Analysten, die sich von uns mehr Aggressivität gewünscht haben“, sagt Bender. Letztlich sei das Unternehmen jedoch stets von Aktionären getragen gewesen, die langfristig gedacht hätten. „Wirklichen Einfluss aufs Tagesgeschäft hatten die Bocksprünge am Aktienmarkt daher für uns nie“, sagt Bender.

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