Buchautor Forgione „Die Mafia investiert in krisengeschwächte Unternehmen“

Die Mafia ist auch in Deutschland präsent - dokumentiert Francesco Forgione in seinem neuen Buch. Dass es zensiert wurde, ist für ihn nur ein Zeichen der Stärke der Untergrundorganisation. Sie nistet sich im krisengebeutelten Finanzsektor ein und verschmutzt die Wirtschaft, sagt er im Interview.

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Das Schweigen muss gebrochen werden, fordert Forgione in seinem Buch

Handelsblatt: Was sagen Sie dazu, dass Ihr Buch in Deutschland zur Zeit nicht zu kaufen ist?

Forgione: Ich habe ein Buch geschrieben gegen die Scheinheiligkeit derer, die die Mafia nicht sehen, bis die eigenen Straßen voller Blut sind. Das war in Duisburg (August 2007) so, wo man ohne diese Leichen auf der Straße weiter mit der ?Ndrangheta gelebt hätte ohne irgendein Schuldgefühl. Im Gegenteil, das Geld der Kalabresen war gut und half bei Geschäften. In meinem Buch sind geo-kriminelle Landkarten, mit den Namen und den Geschäften der Mafia-Familien oder ihrer Strohmänner, die in Deutschland operieren. Die internationale Presse hat die Karten als "ersten Mafia-Atlas der Welt" bezeichnet. Jedes Detail im Buch ist dokumentiert mit Quellen: Gerichtsakten, Strafurteilen, Ermittlungsberichten, Akten des italienischen Parlaments, aber auch Berichte des Bundeskriminalamtes.

Haben Sie damit gerechnet, dass es Klagen gegen Ihr Buch geben würde?

Dass mein Buch eingezogen wurde, bestätigt, dass in Deutschland die Scheinheiligkeit siegt, dass man den Spruch eines Richters gegen den eines anderen nimmt, um zu schweigen und um keinen Scheinwerfer auf die Mafia zu richten. Aber alles, was ich schreibe, ist dokumentiert in den Archiven der Antimafia-Kommission des Parlaments und in den Berichten der nationalen Antimafia-Staatsanwaltschaft. Vor Jahrzehnten war es auch in Italien so mit dem Schweigen, bis man verstanden hat, dass man die Mafia vor allem bekämpft, indem man alles über sie weiß, sie anklagt und alle Vertuschungen seitens der Politik und der Institutionen und mancher Richter unterbindet. Zum Glück ist das Buch in zehn Sprachen übersetzt worden.

Das Buch ist 2009 in Italien erschienen. Wie ist die aktuelle Situation der Mafia-Organisationen heute - haben sie mehr Macht oder weniger?

Die Globalisierung hat den Mafia-Organisationen außerordentliche Geschäftsmöglichkeiten verschafft - nicht nur den Italienern - vor allem, weil sie jetzt die Möglichkeit haben, immense Geldmengen ohne Kontrollen in Echtzeit weltweit zu transferieren. Und da die Mafia-Organisationen inzwischen zu regelrechten finanzwirtschaftlichen Holdings geworden sind, also nicht nur die traditionellen verbrecherischen Clans sind, hat das zu einem Qualitätssprung geführt.

Und die Finanzkrise?

Die hat die Risiken für die Realwirtschaft noch erhöht, denn die Mafia gehört zu den wenigen, die über einen große finanzielle Liquidität verfügen. Sie ist dabei, in krisengebeutelte Finanzsektoren zu investieren und verschmutzen die Wirtschaft so immer mehr. Seit ich das Buch geschrieben habe, haben sich die Probleme verschlimmert - wegen der Krise und weil eine richtige Antwort der Regierungen auf der ganzen Welt fehlt.

Sie schreiben, dass vor allem die Deutschen nichts über die Mafia wissen, sie ignorieren. Warum?

Deutschland hat mit den Morden von Duisburg entdeckt, dass es die (kalabresische) ?Ndrangheta gibt. Aber die Ermittlungsbehörden wussten schon lange davon. Das Problem ist das Verdrängen der realen Gefahr für die Wirtschaft gerade in einem Land wie Deutschland, das nach 1989 große ökonomische Umwälzungen erlebt hat, die die Mafia natürlich sehr interessiert hat. Heute ist die Zeit reif, das Problem neu anzugehen: man muss den Kampf gegen die Mafia internationalisieren. In Deutschland und in ganz Europa muss es einen gemeinsamen Tatbestand für Mitgliedschaft in einer mafiösen Organisation geben (nach dem Modell des Paragraphen 416bis in Italien) und für Korruption, die die andere Seite der Medaille ist. Dazu muss die Möglichkeit geschaffen werden, Besitz und Vermögen auf Mafiahand beschlagnahmen und der Öffentlichkeit wieder zugänglich machen zu können (auch das ist in Italien Gesetz). Nur so kann die Mafia erfolgreich in ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Macht und in ihrem Kontakt zur Politik bekämpft werden.

Der Autor ist Soziologe und Hochschullehrer und war Vorsitzender der Antimafia-Kommission der italienischen Abgeordnetenkammer während der Regierung Prodi.

Buchtitel: Mafia Export Riemann, München 2010.

Das Buch wurde wegen einer richterlichen Verfügung vom Markt genommen - mehrere italienische Gastronomen in Deutschland hatten Unterlassungserklärungen verlangt, weil im Buch unter anderem steht, dass sie ihre Restaurants zu Zwecken der Geldwäsche betrieben. In Kürze soll es eine E.Book-Version geben und noch in diesem Jahr die Taschenbuchausgabe.

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