Charles Darwin Von Finken, Drosseln, Genen und Zeitreisen

Das Jahr 2009 ist für die Wissenschaft vor allem das Jahr des Charles Darwin, der vor 200 Jahren geboren wurde und vor 150 Jahren eines der wichtigsten Bücher aller Zeiten veröffentlichte: "On the Origin of Species", die Entstehung der Arten. Einblicke in den aktuellen Forschungsstand.

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Auch heute noch bewegen Darwins Theorien die Gemüter der Forscher und Kleriker. Quelle: ap

DÜSSELDORF. Eine unüberschaubare Zahl von Veranstaltungen an zahlreichen Universitäten, Forschungsinstituten und Naturkundemuseen wird den großen Mann und sein epochales Werk behandeln.

Die Verlage haben schon jetzt viele Biografien über Darwin und populäre Werke seiner forschenden Nachfolger auf den Buchmarkt geworfen. Der Evolutionsbiologe Matthias Glaubrecht räumt in seinem Buch "Es ist, als ob man einen Mord gesteht - Ein Tag im Leben des Charles Darwin" mit einigen Mythen über seine Person und den Weg zu dem großen Werk "On the Origin of Species" auf. Nicht die nach ihm benannten Darwin-Finken auf den Galapagos-Inseln inspirierten ihn während seiner Weltumseglung mit der "HMS Beagle" (1831-36) zu seinen grundlegenden Gedanken über die Entstehung der Arten, sondern die viel weniger bekannten Spottdrosseln. Es stimmt wohl auch nicht, dass Darwin auf die Veröffentlichung seiner Theorie verzichten wollte und nur durch seinen Konkurrenten Alfred Wallace, der Ähnliches publizierte, dazu getrieben wurde. Darwin brauchte schlicht die vielen Jahre vor der Veröffentlichung, um seine Theorie mit Studien zu untermauern.

Von der Popularität Darwins in seinem 200. Geburtsjahr profitiert auch ein Autor, der dessen Theorie auf den Friedhof der Wissenschaftsgeschichte befördern möchte: Joachim Bauer mit seinem Buch "Das kooperative Gen - Abschied vom Darwinismus". Der populär schreibende Arzt und nebenberufliche Evolutionstheoretiker bestreitet den Konsens der modernen Biologie, wonach Evolution die unterschiedliche Reproduktion von Genen durch Mutation und Auslese ist. Seine Behauptung: "Neue Arten sind die Folge von schubweisen Veränderungen der genomischen Architektur, die von Organismen beziehungsweise deren Zellen selbst organisiert werden". Statt langsam-kontinuierlichen, zufälligen Veränderungen der Erbanlagen, die einer unausweichlichen Auslese durch unterschiedlich erfolgreiche Fortpflanzung unterliegen, will Bauer in den Genomen "eigene Werkzeuge" erkennen, mit denen sich die Arten kooperativ in Schüben verändern.

Bauers radikaler Gegenentwurf zu Richard Dawkins' wirkmächtigem Bestseller "Das egoistische Gen" von 1976 findet in der breiten Öffentlichkeit zwar Aufmerksamkeit, wird jedoch von Fachwissenschaftlern nicht ernst genommen. Axel Meyer, Professor an der Universität Konstanz und einer der angesehensten Evolutionsbiologen schrieb in seiner Handelsblatt-Kolumne: "Bauers Thesen von Kooperativität, Kommunikation und Kreativität werden wissenschaftlich nicht erklärt und zeigen tiefstes Unverständnis und oberflächlich angelesenes Halbwissen."

Wer sich unterhaltsam und auf der Höhe des aktuellen Forschungsstands über die Geschichte des Lebens informieren will, sollte sich besser mit Richard Dawkins' gerade auf Deutsch erschienenem Buch "Geschichten vom Ursprung des Lebens" auf eine "Zeitreise auf Darwins Spuren" begeben. Diese beginnt in der Gegenwart und endet vor etwa 3,5 Milliarden Jahren beim gemeinsamen Vorfahren aller heutigen Lebewesen.

Darwin und die "Evolution" werden 2009 zum Thema unzähliger Vorträge, Veranstaltungen, Ausstellungen und Initiativen werden. Offene Fragen der Evolutionsbiologie (zum Beispiel die nach dem Objekt der Auslese: Gene, Individuum oder auch Gruppen?) werden vermutlich aber in der breiten Öffentlichkeit weniger Beachtung finden als die seit Darwins Lebzeiten akute Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Religion zu der von ihm begründeten Theorie des Lebens. Die Giordano-Bruno-Stiftung, die Organisation des "evolutionären Humanismus" und der von Dawkins mitbegründeten Brights-Bewegung in Deutschland, nimmt Darwins Jubiläum zum Anlass für antireligiöse Aktivitäten (www.darwin-jahr.de).

Allerdings sind auch unter bekennenden Christen heute die Leugner der Evolution, die an eine Schöpfung im Sinne der Bibel glauben, nur noch eine kleine (in den USA eine größere) Minderheit. Die katholische Kirche würdigt seit Pius XII. (Papst von 1939-58) die Evolutionstheorie. Diese und der christliche Offenbarungsglaube seien "nicht unvereinbar", verkündete der Präsident des Päpstlichen Kulturrats, Erzbischof Giovanni Ravasi, kürzlich. Naturwissenschaftler und Theologen werden unter der Schirmherrschaft des Päpstlichen Kulturrats im März zu einer Tagung über die Evolutionstheorie in Rom zusammenkommen.

Darwin, gestorben 1882, gehört zu den herausragenden Naturforschern, die das Weltbild des Menschen in seinen Grundfesten verändert haben. Kaum ein anderer Biologe hat sowohl sein Fach als auch die Geistesgeschichte insgesamt derart geprägt.

Ähnlich wie Kopernikus oder Einstein Gesetzmäßigkeiten der Gestirne und des Universums erkannten, entdeckte Darwin die Grundprinzipien der belebten Welt. Darwins Theorie der Evolution durch natürliche Selektion, von seinen Nachfolgern inzwischen stark weiterentwickelt, erklärt nicht nur die biologische Vielfältigkeit der Erde, sondern ist grundlegend für die moderne Biologie - oder, wie Theodosius Dobzhansky 1973 schrieb: "Nichts in der Biologie hat einen Sinn, außer im Licht der Evolution."

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