Finanzkrise 2.0 Ist Japan der nächste Krisenherd?

Experten beobachten argwöhnisch die dramatische Finanzungssituation: Eine aktuelle Analyse sieht in der Überalterung und der hohen Staatsverschuldung Japans die Gefahr einer neuen Finanzkrise.

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Japaner vor einer Quelle: dpa

Die Finanzpolitik Japans ist mit der anderer führender Industriestaaten kaum vergleichbar. Die langjährige Nullzinspolitik sorgt für billiges Geld zur Refinanzierung der Banken und somit der gesamten japanischen Wirtschaft. Gleichzeitig hat sich Japan massiv verschuldet, die Staatsverschuldung erreicht 200 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Zur Gegenfinanzierung hat Japan bislang Staatsanleihen in Höhe von 4,5 Billionen Euro auf den Markt gebracht. Und das Erstaunliche: Japan schaffte es, sich zu verschulden und Geld in den Markt zu pumpen, ohne dass die Inflation gestiegen wäre.

Aber die Gefahr steigt, dass damit bald Schluss ist. Das ist auch das Fazit einer Analyse der französischen Großbank Société Générale. Deren „Global Strategy Team“, namentlich Analyst Dylan Grice, sieht die wachsende Gefahr einer unkontrollierbaren Inflation in Japan. Dafür führt Société Générale eine Reihe plausibler Gründe auf:

Japan hat eine Bevölkerung, die altert, seit Mitte der 90er Jahre nimmt der Anteil der arbeitenden Bevölkerung ab. Seit Beginn des neuen Jahrtausends befindet sich das Land im demografischen Niedergang, seit 2005 gibt es in Japan mehr Rentner als Erwerbstätige. Diese Entwicklung beschleunigt sich und führt dazu, dass immer mehr Japaner ihre Ersparnisse aufbrauchen – sie „entsparen“ im Alter. Der Analyse zufolge könnte die Sparneigung im Bevölkerungsdurchschnitt im Laufe der nächsten Jahre sogar negativ werden.

Die einst ausgeprägte durchschnittliche Sparneigung der Japaner ist OECD-Angaben zufolge von etwa 15 Prozent des verfügbaren Einkommens zu Beginn der 90er Jahre auf weniger als drei Prozent im Jahr 2008 gesunken. Im Gegensatz dazu liegt die durchschnittliche Sparrate in Deutschland bei rund elf Prozent des verfügbaren Einkommens. Einfach gesagt: Das Geld der Sparer wird knapper und verstärkt die Schwierigkeiten des Staates bei der Refinanzierung. Gleichzeitg dienen die Ersparnisse dem Konsum, das Inflationsrisiko steigt.Eine weitere Folge der demografischen Entwicklung: Für den japanischen Staat wird es immer schwerer, sich zu refinanzieren. Bislang waren die privaten Sparer immer sichere Abnehmer neu begebener Staatsanleihen – einerseits, weil die Zahl der Sparer zurückgeht, andererseits weil die Japaner nach schmerzlichen Erfahrungen in der Vergangenheit sehr risikoarm investieren und bislang sehr gern ihr Geld in die vermeintlich risikofreien Staatsanleihen steckten. Der Boom am Rentenmarkt ist jedoch vorbei, die Zahl der Haushalte mit staatlichen Rentenpapieren stagniert.

Japanische Staatsanleihen werden fundamental betrachtet immer unattraktiver für Investoren. Zwar ist Japan der viertgrößte Exporteur der Welt und der zweitgrößte Abnehmer von US-Staatsanleihen. Aber der staatliche Ausblick verschlechtert sich und die in der Finanzkrise sehr niedrigen Inflationsrisiken haben bereits wieder das Niveau von 2007 erreicht. Das Haushaltsdefizit von Japans Regierung beträgt inzwischen 40 Prozent der gesamten Staatsausgaben. Rund 35 Prozent der gesamten Einnahmen aus dem Handel mit Staatsanleihen fließt in den Schuldendienst. Für das nächste Jahr erwartet das japanische Finanzministerium, dass die Refinanzierung mit Staatsanleihen mehr zu den Einnahmen des Staates beiträgt als Steuereinnahmen. Der Staatshaushalt basiert also ganz wesentlich auf neuen Schulden. Angesichts der Risiken bieten die Staatsanleihen aber gemessen an den Risiken mit 1,5 Prozent viel zuwenig Rendite. Ausländische Investoren, die für die japanischen Sparer einspringen müssten, verlangen angesichts der Risiken aber deutlich höhere Zinsen.Versagt die Finanzierung mit neuen Staatsanleihen, muss Japan seine hohen Bestände an US-Staatsanleihen abbauen und die Notenpresse anwerfen. Die Folge wäre eine hohe Inflation, die zunächst auch den US-Rentenmarkt und später weitere Industriestaaten und Märkte erreichen würde.

Versagt die Finanzierung mit neuen Staatsanleihen, muss Japan seine hohen Bestände an US-Staatsanleihen abbauen und die Notenpresse anwerfen. Die Folge wäre eine hohe Inflation, die zunächst auch den US-Rentenmarkt und später weitere Industriestaaten und Märkte erreichen würde.Der japanische Rentenmarkt wird durch psychologische Faktoren erheblich gestützt. Die jüngsten Erfahrungen der Japaner sprechen dafür, dass sie die Sicherheit der Staatsanleihen zu hoch und die Inflationsrisiken zu niedrig einschätzen. Denn Japan erlebte eine Phase der Deflation, also sinkender Preisniveaus, als die demografische Entwicklung Mitte der 90er eine neue Richtung einschlug. In der Folge waren Japaner vor allem in Staatsanleihen investiert, als zu Beginn der Nuller-Jahre die Technologieblase an den Aktienmärkten platzte und die langjährige Börsen-Baisse begann – und somit zählten die Sparer mit Staatspapieren lange Jahre zu den Gewinnern. Staatanleihen gelten seitdem als hervorragendes Sparvehikel. Ändert sich diese Einschätzung, bleibt Japan auf seinen Anleihen sitzen.

Auch historisch betrachtet besteht in Japan angesichts der hohen Verschuldung ein signifikantes Risiko einer Hyperinflation, die auf die anderen Industriestaaten überspringen könnte. Die Analyse der Société Générale unterstreicht dabei nur Überlegungen, die schon länger bei Kapitalmarktexperten kursieren: Japan muss als möglicher Verursacher einer nächsten Finanzkrise gelten. Ebenso wie andere hochverschuldete Staaten, wie etwa Griechenland, Irland und die USA. Auch wenn die enorm hohen Schulden und Haushaltsdefizite einiger Staaten lange Jahre nicht zu einer galoppierenden Inflation geführt haben, heißt das nicht, dass dies nie passiert. Unter Berücksichtigung nicht gedeckter zukünftiger Ausgaben des Sozialstaats erreicht Japans Schuldenlast schon heute das Vierfache des Bruttoinlandsprodukts. In Griechenland erreicht dieser Wert sogar fast das Neunfache. Das könnte man auch schon als Staatsbankrott bezeichnen.

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