Finanzkrise Pleitewelle bei US-Banken in der Provinz

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Immobilienmarkt bereitet nachwievor große Sorgen

Lehman-Brothers-Zentrale in Quelle: dpa

Gerard Cassidy von der Royal Bank of Canada, ein Veteran unter den Branchenanalysten, rechnet in den USA mit mindestens 300 Bankpleiten in den kommenden drei Jahren. Ihm bereitet vor allem die anhaltende Erosion der Bilanzqualität vieler Regionalbanken große Sorgen. Das Verhältnis von faulen Krediten zu Kapital und Rückstellungen für Verluste habe sich dramatisch verschlechtert. Vor zwei Jahren hatte dabei unter den 50 größten US-Banken nur eine eine Relation von mehr als 25 zu 100 – in seiner letzten Analyse Ende Juli waren es bereits zwölf.

Die größte Sorge bereitet nach wie vor der Immobilienmarkt. Der Preisverfall bei Wohnimmobilien hat sich zuletzt zwar abgeschwächt. Doch bei einem Überangebot, das dem Verkauf von Häusern und Wohnungen für einen Zeitraum von fast einem Jahr entspricht, ist mit einer Umkehr des nun bereits zwei Jahre andauernden Negativtrends nicht so schnell zu rechnen. Ökonomen wie Jan Hatzius von Goldman Sachs gehen davon aus, dass es um mindestens weitere zehn Prozent nach unten geht. Gleichzeitig steigt die Zahl der Zwangsversteigerungen weiter stark an.

Damit drohen nicht zuletzt junge Institute in Schwierigkeiten zu geraten: Die Goldgräberstimmung auf dem US-Immobilienmarkt hatte rund um die Jahrtausendwende sogar zu einem kleinen Gründungsboom bei Banken geführt. Viele dieser Neulinge in Florida, Kalifornien und Nevada stürzten sich in Immobilienfinanzierungen. Zunächst mit Erfolg: Solange die Preise stiegen, konnte kaum etwas passieren.

Die Timberland Bank aus El Dorado in Arkansas, gegründet im Jahr 2000, ist ein Paradebeispiel für ein Geldinstitut, das dem Immobilienrausch erlag. Sie musste zwar noch keine Pleite anmelden, doch die Wahrscheinlichkeit, dass die Bank auf der schwarzen Liste der FDIC mit den Problemfällen steht, liegt bei nahe 100 Prozent. Denn Ende Juli schickten die Bankaufseher Vorstandschef und Gründer Tandy Menefee unter dem Zeichen FDIC 08–145b eine „Order to Cease and Desist“, eine Art Unterlassungserklärung. Darin werden unsichere Bankpraktiken und die Verletzung von Gesetzen und Regelungen angeprangert, die wie ein Sündenregister der gesamten Branche wirken: unzureichende Kapitalausstattung, zu viele faule Kredite, zu geringe Rückstellungen, unzureichende Kontrollen bei der Kreditvergabe, mangelhafte Dokumentation, keine adäquate Kontrolle des Managements durch das Board of Directors, eine Art Aufsichtsrat.

Fehler im Detail

„Wir hatten über die vergangenen sechs Jahre ein außerordentliches Wachstum und waren wirklich aggressiv bei der Suche nach neuem Geschäft. Dabei war unsere Aufmerksamkeit fürs Detail unvollständig“, gibt Vorstandschef Menefee kleinlaut zu. Ob die Timberland Bank die Krise überleben wird, hängt wie bei vielen Regionalinstituten davon ab, ob es Menefee gelingt, frisches Kapital aufzutreiben. Die FDIC hat ihm eine brutale 60-Tage-Frist gesetzt.

Doch die Timberland Bank hat einen großen Nachteil. Sie gehört nicht zu den großen Wall-Street-Banken. Die konnten in den vergangenen Monaten Milliarden bei ihren Aktionären und vor allem den Staatsfonds, den sogenannten Sovereign Wealth Funds, aus Dubai, China und Singapur einsammeln und so ihre Kapitalbasis wieder stärken. Den Regionalbanken hingegen fällt es schwer, an frisches Kapital zu kommen. Auch Silver State, die Bank aus Nevada, bei der McCains Sohn Andrew eine Weile mitspielte, versuchte noch im Juni, 40 Millionen Dollar einzusammeln. Obwohl die zehn Direktoren der Bank geschlossen bei der Kapitalerhöhung mitziehen wollten, bekamen sie das Geld nicht zusammen.

Kreditkrise alles andere als vorüber

Im Schatten der Walls Street

„Sie müssen einfach akzeptieren, dass die Kreditkrise alles andere als vorüber ist“, redete FDIC-Chairman Bair Anfang September in Florida versammelten Regionalbankern ins Gewissen. Es sei „absolut kritisch“, dass die Anwesenden ihre „Bilanzen in Ordnung bekommen“. Sollte die Krise in den nächsten Monaten anhalten oder sich gar weiter verschärfen, können sich aber auch Wall-Street-Banken nicht sicher fühlen. Denn die Bereitschaft der Investoren schwindet, ihnen weiter frisches Geld zur Verfügung zu stellen. Lehman Brothers ist bei den Sovereign Wealth Funds bereits abgeblitzt. Mit ihren frühen Investments in Citi Group, Merrill Lynch, Morgan Stanley und Konsorten, die bereits ein Dreivierteljahr zurückreichen, haben diese Investoren sich bereits heftig die Finger verbrannt.

Zudem ist das einige Jahre äußerst lukrative Geschäftsmodell der Branche, mit billigem Geld und großem Hebel an den Finanz- und Kreditmärkten zu operieren, weitgehend zerstört. Ken Rogoff, ehemaliger Chefökonom des Internationalen Währungsfonds, erwartet deshalb neben dem Schwelbrand in der Provinz noch einen dicken Pleite-Brocken: „Das Schlimmste kommt erst. Wir werden nicht nur mittelgroße Banken untergehen sehen.“ Es werde auch noch eine große Geschäftsbank oder Investmentbank erwischen.

Welchen Zündstoff eine Bankenpleite auch für Politiker haben kann, erfuhr Präsidentschaftskandidat McCain Ende der Achtzigerjahre. Damals musste er sich wegen einer zweifelhaften Beziehung zu einem Banker und nach der Pleite einer Regionalbank, die den US-Steuerzahler mehr als zwei Milliarden Dollar kostete, vor einer Ethikkommission des Senats verantworten. Die Untersuchung der „Keating-Affäre“ ergab zwar, dass sich McCain im juristischen Sinne nichts zuschulden hatte kommen lassen. Doch die Kommission bescheinigte ihm „ein schwaches Urteilsvermögen“.

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