Forscher warnen Arbeitsmarkt droht Spaltung

Die Machtverhältnisse auf dem deutschen Arbeitsmarkt verändern sich massiv, die Position der Arbeitnehmer verbessert sich stetig. Forscher warnen aber vor einer Spaltung und mehr instabilen Beschäftigungsverhältnissen.

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Forscher warnen vor einer Spaltung des Arbeitsmarktes. Quelle: handelsblatt.com

Sinkende Arbeitslosigkeit und Fachkräftemangel verändern die Machtverhältnisse auf dem deutschen Arbeitsmarkt. „Das wird generell die Position der Arbeitnehmer verbessern“, sagte der Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), Joachim Möller, am Donnerstag in Berlin. Zugleich warnte er vor einer Spaltung des Arbeitsmarktes.

„Wir müssen Qualifizierung ganz ganz groß schreiben“, forderte der Chef des bei Bundesagentur für Arbeit (BA) angesiedelten Instituts. Andernfalls werde es einen nicht zu befriedigenden Fachkräftebedarf und gleichzeitig eine Ausweitung instabiler Beschäftigungsverhältnisse geben.  

„Es wächst die Zahl derer, die nur befristete Stellen oder Tätigkeiten in der Leiharbeit finden“, stellte Möller fest. Fast jede zweite Neueinstellung sei befristet, gegenüber jeder Dritten vor zehn Jahren. Gemeinsam mit IAB-Vizedirektor Ulrich Walwei legte er eine Bilanz vor, nach der das  Normalarbeitsverhältnis kein Auslaufmodell, aber auf dem Rückzug ist. Dies seien sozialabgabenpflichtige, ungeförderte Vollzeitjobs außerhalb der Zeitarbeit. Ihr Anteil an der Erwerbstätigkeit habe vor 15 Jahren zwei Drittel betragen, heute seien es noch 60 Prozent.

„Dies darf man nicht einfach mit einer Prekarisierung der Arbeitswelt gleichsetzen“, sagte Walwei. So sei Teilzeitarbeit häufig gewollt. Als „prekäre“ Jobs kritisieren Gewerkschaften vor allem Leiharbeit, Mini-Jobs und befristete Stellen, aber auch Teilzeitarbeit. Die Entwicklung der Erwerbsformen könne zudem durch die Politik gesteuert werden. Ob Familien stärker erwerbstätig seien, hänge auch von der Kinderbetreuung ab. Auch die Höhe der Sozialabgaben sowie Vergünstigungen für Mini-Jobs hätten demnach eher negativen Einfluss.     

„Unter Arbeitsmarktgesichtspunkten wäre sicher eine stärkere Steuerfinanzierung (der sozialen Sicherungssysteme) sinnvoll, und es wäre die Begünstigung der Mini-Jobs zu beseitigen“, sagte Walwei. Für die Zeitarbeit schlug das IAB ein Stufenmodell vor, um Leiharbeitern schrittweise den gleichen Lohn wie Stammbeschäftigten zu verschaffen. Die Lohndifferenz würde in drei Zwei-Monats-Schritten um jeweils ein Drittel verringert, so dass nach sechs Monaten der Grundsatz gleicher Bezahlung griffe.  

Auch „Mindestlöhne mit Augenmaß“ etwa in der Zeitarbeit wären hilfreich. „Eine bessere Bezahlung im unteren Bereich würde zu einer Stabilisierung der Beschäftigungsverhältnisse beitragen“, sagte IAB-Direktor Möller.

Die Erwerbsbiografien sind unsteter geworden. Die durchschnittliche Beschäftigungsdauer in einem Betrieb liege mit 10,8 Jahren zwar sogar leicht höher als 1992 (10,3 Jahre). Aber: „Wir haben mehr Leiharbeit, mehr Teilzeit und mehr befristete Beschäftigungsverhältnisse“, sagte Möller. Derzeit 2,7 Millionen befristet Beschäftigte seien eine Million mehr als Mitte der 90er Jahre. Die Teilzeitbeschäftigten seien mit 8,7 Millionen doppelt so viele wie vor 15 Jahren.  

Sogar mehr als verfünffacht hat sich die Leiharbeit, von 140.000 Beschäftigten 2004 auf knapp 800.000 im Jahr 2008. Derzeit nähert sie sich der Millionenmarke. Das vielfach genannte Argument, Leiharbeit biete eine Brücke in den Arbeitsmarkt und zu regulärer Beschäftigung, sehen die Wissenschaftler in der Praxis nur als Ausnahme bestätigt: Vom Brücken- und Klebeeffekt profitiere jeder zehnte Leiharbeiter.

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