Geraint Anderson im Interview Ex-Investmentbanker über Exzesse und Aussichten

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Rechnen Sie weiter mit so hohen Bonus-Zahlungen, die auch Sie kassiert haben?

Ja. Die Frage bei den gegenwärtigen Kürzungen ist nämlich, ob hier auf Dauer wirklich gekürzt wird oder ob sich nur die Zusammensetzung des Gehalts ändert. Man wird sehen, ob zum Beispiel die flexiblen Leistungsprämien reduziert und gleichzeitig die Festgehälter angehoben werden.

Wenn mindestens 70.000 Banker, wie Schätzungen sagen, ihren Job verlieren, wird es da nicht ein Überangebot geben, das die Gehälter drückt?

Das Bankgeschäft verläuft zyklisch, und es kommt dort viel mehr als in anderen Branchen auf das Geschick jedes Einzelnen an. Es ist eben ein „peoples business“, ein Geschäft, das von den Menschen und ihren Beziehungen abhängt, und das wird auch so bleiben. Eine echte Obergrenze für Top-Gehälter einzuführen schmeckt im Übrigen viel zu stark nach Sozialismus.

Welche Investmentbanker und Analysten haben die besten Chancen, auch in diesen Zeiten die ganz dicken Boni einzustreichen?

Diejenigen, die im Devisen- und Rohstoffhandel sowie im Handel mit Unternehmensanleihen arbeiten. Sie sagen, wir haben im vergangenen Jahr Millionen für unsere Bank gemacht, und wir erwarten, dass wir einen Anteil davon ausgezahlt bekommen. Die Einstellung ist: Warum sollen wir eigentlich für den Mist bestraft werden, den die Kollegen von den strukturierten Finanzprodukten und den verbrieften Hypotheken angestellt haben?

Also bleibt letztlich alles beim Alten?

Nicht ganz. Das eigentliche Problem war doch, dass die Höhe der Boni lediglich an kurzfristige Ziele geknüpft war. Die Leistung der letzten zwölf Monate war ausschlaggebend. Die Aktionäre der Banken werden darauf drängen, dass ihre langfristigen Interessen und die kurzfristigen Interessen der Investmentbanker künftig besser in Einklang gebracht werden. Aber das Verhandlungsgeschick des einzelnen Bankers und die Gier werden immer noch eine Rolle spielen.

Werden der öffentliche Druck und die Entschlossenheit der Politiker, etwas zu ändern, nicht doch einen grundsätzlichen Wandel bringen?

Politiker reden viel, sie müssen ihren Wählern beweisen, dass sie irgendetwas tun. Oft sind die Änderungen, die dabei her-auskommen, jedoch nur kosmetisch. Und vergessen Sie nicht: Letztlich waren die Politiker auch dafür verantwortlich, dass es so weit gekommen ist.

Wieso auf einmal die Politiker? Wir dachten an der Finanzmisere seien so gierige Leute wie Ihresgleichen Schuld?

Ex-Premierministerin Margaret Thatcher hat mit der schlagartigen Deregulierung des Aktienhandels in der City, dem sogenannten Big Bang vom Oktober 1986, die Grundlagen für die Exzesse gelegt. Und New Labour, also die Labour Party unter dem ehemaligen Premier Tony Blair, wollte nach dem Machtwechsel 1997 um jeden Preis vermeiden, als sozialistisch zu gelten. Deshalb hat sie hier in London eine sehr laxe Regulierung eingeführt und alles unternommen, um die Cityboys zufriedenzustellen.

Weshalb sollte sich das nicht zurückschrauben lassen?

Betrachten Sie doch mal solche Dinge wie Insiderhandel, Steuerhinterziehung und die gezielte Verbreitung falscher Gerüchte, um Aktienkurse zu manipulieren. Das alles passiert doch immer noch. In der Vergangenheit wurde fast keiner wegen Insiderhandels geschnappt, erst recht nicht be-straft. Das Risiko für den Einzelnen war gering, riesige Summen konnten verdient werden. Insiderhandel ist sehr schwer nachzuweisen. Zudem halte ich die Experten der Londoner Börsenaufsicht FSA für recht inkompetent, und es gab dort nie genug Personal.

Es ist leicht, die Verantwortung auf andere oder auf ein abstraktes System zu schieben. Wo sehen Sie Ihre ganz persönliche Mitverantwortung für die Finanzkrise?

Ich war zweifellos Teil des Systems. Ich spielte im selben Wildwest-Kasino, nur schlürfte ich meinen Wodka an einem anderen Roulette-Tisch. Klar, dass wir gierige, egoistische Schweine sein können. Die Kultur der City ermöglichte uns, das in extremer Weise auszuleben.

Hat die Finanzkrise Sie für Ihr Mitmachen bestraft?

Ich habe die City mit Ersparnissen von rund drei Millionen Pfund verlassen, aber in den vergangenen sechs Monaten ungefähr 400.000 Pfund eingebüßt. Leider habe ich die guten Ratschläge, die ich anderen erteilte, nicht selbst befolgt und vergessen, meine Aktien rechtzeitig zu verkaufen.

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