Geraint Anderson im Interview Ex-Investmentbanker über Exzesse und Aussichten

Der ehemalige Aktienanalyst und Buchautor Geraint Anderson über die Exzesse und Aussichten der Investmentbanker vor und nach der Finanzkrise.

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Ex-Analyst Geraint Anderson vor einem Selbstporträt Quelle: Chris Gloag für WirtschaftsWoche

WirtschaftsWoche: Herr Anderson, wenn man Ihr Buch liest, muss man den Eindruck gewinnen, die „City“, also der Finanzplatz London, sei die Hölle, Warum haben Sie sich denn dort hineinbegeben?

Anderson: Wegen des Geldes.

Wie viel haben Sie bei Dresdner Kleinwort, der Investmentabteilung der Dresdner Bank, verdient, bevor Sie ausgestiegen sind?

Mein letztes Jahresgehalt belief sich auf 120.000 britische Pfund, damals knapp 160.000 Euro. Hinzu kamen in meinen letzten beiden Jahren noch jeweils 500.000 Pfund, also 650.000 Euro, Garantiebonus. Macht zusammen mehr als 800.000 Euro im Jahr, ganz schön viel Kohle für einen alleinstehenden Mann von Mitte 30.

Da hebt man vielleicht mal gern ab. Wissen Sie noch, wie viel Sie für Ihre teuerste Flasche Wein ausgegeben haben?

500 Pfund.

Das alles soll jetzt der Vergangenheit angehören?

Ja, ich werde nie wieder für eine Bank arbeiten, nie wieder einen Anzug tragen.

Was sagen Ihre vielen Ex-Kollegen aus der Abteilung Equity Research bei Dresdner Kleinwort, die kürzlich entlassen worden sind? Werden auch sie aus der City aussteigen?

Wohl kaum. Viele glauben, dass sie keine Alternative haben, wollen auch keinen neuen Beruf erlernen. Sie müssen ihre Ex-Frauen und die hohen Schulgebühren ihrer Kinder finanzieren.

Man liest aber auch, dass Ex-Banker Lehrer werden wollen.

Ich kenne keinen Fall. Geld macht süchtig. Gier ist ein ganz wichtiges Motiv, für Leute in der City gilt das besonders. Hinzu kommt der Materialismus und ein tiefsitzendes Wettbewerbsbedürfnis. Männer wollen sich gegenseitig beweisen, dass sie besser sind als andere.

Was sagen Sie Ihren Ex-Kollegen, wenn Sie mit ihnen sprechen?

Ich kann sie nicht verstehen. Warum nutzen Banker, die im Zuge der Finanzkrise ihren Job verloren haben, das nicht als Chance, um ihre gesamte Lebenssituation zu überdenken? Sie sollten die Freuden schätzen lernen, die es kostenlos gibt, Sex und Liebe zum Beispiel.

Wie bitte, ausgerechnet Sex und Liebe? Sie selbst nennen doch viele Frauen „Goldgräberinnen“, weil sie sich nur des Geldes wegen an die Cityboys heranmachen.

Sie haben natürlich recht. Wer in Bars oder Pubs mit einem großen Geldschein wedelte, kam zum Zug – egal, wie dick und unattraktiv.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Analysten und Investmentbanker wichtige Kunden in Striplokale ausführten und im Kollegenkreis gemeinsam sogenannte Gentlemen´s Clubs besuchten. Dazu gehörte angeblich auch ein Wochenendausflug nach Ibiza mit einer Gruppe von Hedgefonds-Managern – inklusive Limousine mit nackten Prostituierten. Alles erfunden? Gab es das auch bei den deutschen Banken, für die Sie gearbeitet haben?

Ich habe einen Roman geschrieben, kein Sachbuch. Zwölf Jahre war ich bei verschiedenen Banken, unter anderem bei der Commerzbank und insgesamt acht Jahre bei der Dresdner Kleinwort. In das Buch sind viele Dinge eingeflossen. Nicht alles habe ich selbst erlebt. Vieles ist erfunden oder zugespitzt. Manches wurde mir auch von anderen erzählt. Im Übrigen würde ich allein aus rechtlichen Gründen niemals eine Bank beim Namen nennen.

Wie steht es mit Drogen bei Analysten und Investmentbankern? Wurde tatsächlich so viel gekokst, wie Ihr Buch den Leser Glauben macht?

London ist voller Drogen, sie werden in allen Gesellschaftsschichten konsumiert. Der Installateur schnupft ebenso wie der Rechtsanwalt oder der Banker. Vergessen Sie nicht, wir sprechen über junge Männer, die enorm unter Druck stehen und Geld haben.

Was ändert sich für Ihre Ex-Kollegen jetzt?

Die City wird in den nächsten paar Jahren ein grässlicher Arbeitsplatz sein.

Wieso das?

Sie wird langweiliger, stärker reguliert und weniger lukrativ. Politiker und Aufsichtsbehörden werden mehr kontrollieren. Es wird weniger feuchtfröhliche Mittagessen geben, und viele Striplokale sind jetzt schon leer. Die sind übrigens ein gutes Barometer für das Wohlergehen des Finanzplatzes, weil sie von so vielen Cityboys frequentiert werden.

Alles eine Folge der Finanzkrise?

Nein. Die Spesenkonten wurden schon vorher beschnitten, und der Nachwuchs, der zuletzt von den Universitäten kam, war strebsam und viel ernsthafter, als meine Generation von Cityboys das früher war.

Rechnen Sie weiter mit so hohen Bonus-Zahlungen, die auch Sie kassiert haben?

Ja. Die Frage bei den gegenwärtigen Kürzungen ist nämlich, ob hier auf Dauer wirklich gekürzt wird oder ob sich nur die Zusammensetzung des Gehalts ändert. Man wird sehen, ob zum Beispiel die flexiblen Leistungsprämien reduziert und gleichzeitig die Festgehälter angehoben werden.

Wenn mindestens 70.000 Banker, wie Schätzungen sagen, ihren Job verlieren, wird es da nicht ein Überangebot geben, das die Gehälter drückt?

Das Bankgeschäft verläuft zyklisch, und es kommt dort viel mehr als in anderen Branchen auf das Geschick jedes Einzelnen an. Es ist eben ein „peoples business“, ein Geschäft, das von den Menschen und ihren Beziehungen abhängt, und das wird auch so bleiben. Eine echte Obergrenze für Top-Gehälter einzuführen schmeckt im Übrigen viel zu stark nach Sozialismus.

Welche Investmentbanker und Analysten haben die besten Chancen, auch in diesen Zeiten die ganz dicken Boni einzustreichen?

Diejenigen, die im Devisen- und Rohstoffhandel sowie im Handel mit Unternehmensanleihen arbeiten. Sie sagen, wir haben im vergangenen Jahr Millionen für unsere Bank gemacht, und wir erwarten, dass wir einen Anteil davon ausgezahlt bekommen. Die Einstellung ist: Warum sollen wir eigentlich für den Mist bestraft werden, den die Kollegen von den strukturierten Finanzprodukten und den verbrieften Hypotheken angestellt haben?

Also bleibt letztlich alles beim Alten?

Nicht ganz. Das eigentliche Problem war doch, dass die Höhe der Boni lediglich an kurzfristige Ziele geknüpft war. Die Leistung der letzten zwölf Monate war ausschlaggebend. Die Aktionäre der Banken werden darauf drängen, dass ihre langfristigen Interessen und die kurzfristigen Interessen der Investmentbanker künftig besser in Einklang gebracht werden. Aber das Verhandlungsgeschick des einzelnen Bankers und die Gier werden immer noch eine Rolle spielen.

Werden der öffentliche Druck und die Entschlossenheit der Politiker, etwas zu ändern, nicht doch einen grundsätzlichen Wandel bringen?

Politiker reden viel, sie müssen ihren Wählern beweisen, dass sie irgendetwas tun. Oft sind die Änderungen, die dabei her-auskommen, jedoch nur kosmetisch. Und vergessen Sie nicht: Letztlich waren die Politiker auch dafür verantwortlich, dass es so weit gekommen ist.

Wieso auf einmal die Politiker? Wir dachten an der Finanzmisere seien so gierige Leute wie Ihresgleichen Schuld?

Ex-Premierministerin Margaret Thatcher hat mit der schlagartigen Deregulierung des Aktienhandels in der City, dem sogenannten Big Bang vom Oktober 1986, die Grundlagen für die Exzesse gelegt. Und New Labour, also die Labour Party unter dem ehemaligen Premier Tony Blair, wollte nach dem Machtwechsel 1997 um jeden Preis vermeiden, als sozialistisch zu gelten. Deshalb hat sie hier in London eine sehr laxe Regulierung eingeführt und alles unternommen, um die Cityboys zufriedenzustellen.

Weshalb sollte sich das nicht zurückschrauben lassen?

Betrachten Sie doch mal solche Dinge wie Insiderhandel, Steuerhinterziehung und die gezielte Verbreitung falscher Gerüchte, um Aktienkurse zu manipulieren. Das alles passiert doch immer noch. In der Vergangenheit wurde fast keiner wegen Insiderhandels geschnappt, erst recht nicht be-straft. Das Risiko für den Einzelnen war gering, riesige Summen konnten verdient werden. Insiderhandel ist sehr schwer nachzuweisen. Zudem halte ich die Experten der Londoner Börsenaufsicht FSA für recht inkompetent, und es gab dort nie genug Personal.

Es ist leicht, die Verantwortung auf andere oder auf ein abstraktes System zu schieben. Wo sehen Sie Ihre ganz persönliche Mitverantwortung für die Finanzkrise?

Ich war zweifellos Teil des Systems. Ich spielte im selben Wildwest-Kasino, nur schlürfte ich meinen Wodka an einem anderen Roulette-Tisch. Klar, dass wir gierige, egoistische Schweine sein können. Die Kultur der City ermöglichte uns, das in extremer Weise auszuleben.

Hat die Finanzkrise Sie für Ihr Mitmachen bestraft?

Ich habe die City mit Ersparnissen von rund drei Millionen Pfund verlassen, aber in den vergangenen sechs Monaten ungefähr 400.000 Pfund eingebüßt. Leider habe ich die guten Ratschläge, die ich anderen erteilte, nicht selbst befolgt und vergessen, meine Aktien rechtzeitig zu verkaufen.

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