Gewalt in Kenia eskaliert Frauen und Kinder in Kirche angezündet

Grausame Eskalation der Gewalt nach der umstrittenen Präsidentenwahl in Kenia: Dutzende Frauen und Kinder sind in einer Kirche bei lebendigem Leibe verbrannt. Mit Macheten und Knüppeln gehen Menschen aufeinander los. Der Vielvölkerstaat droht im Chaos zu versinken.

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Kenia droht nach dem umstrittenen Wahlergebnis im Chaos zu versinken. Quelle: Reuters

HB NAIROBI. Beißende Tränengaswolken, schwarze Rauchschwaden über Wellblechhütten - Kibera, einer der größten Slums Afrikas in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, ist in diesen Tagen noch trostloser und gewalttätiger. Die Präsidentenwahl vom vergangenen Donnerstag hat das Land tief gespalten, und in den Armenvierteln Nairobis, in denen die Landflüchtlinge aus den armen Provinzen im Westen ebenso leben wie die alteingesessenen Habenichtse, entladen sich Wut, Frustration und ethnischer Hass in Gewalt.

Vorläufiger Höhepunkt: In einer Kirche werden Menschen bei lebendigem Leib verbrannt. Nach Medienberichten suchten die Opfer Zuflucht vor einem gewalttätigen Mob, der das Gotteshaus jedoch in Brand steckte. Der britische Sender BBC berichtete unter Berufung auf Polizei und Augenzeugen von mindestens 30 Toten, darunter 25 Kinder. Die kenianische Zeitung "Daily Nation" sprach sogar von bis zu 40 Menschen, die in den Flammen gestorben seien.

Der Vorfall ereignete sich im Ort Eldoret im Westen des ostafrikanischen Landes, wo Oppositionskandidat Raila Odinga besonders viele Anhänger hat. Der 76 Jahre alte Amtsinhaber Mwai Kibaki war am Sonntagabend zum Sieger erklärt worden. Odinga akzeptiert das Wahlergebnis nicht und spricht von Manipulation. Er rief für Donnerstag zu Massendemonstrationen im ganzen Land auf. Den Wahlsieg Kibakis bezeichnete er als "zivilen Putsch". Nur gestützt auf das Militär könne der 76-Jährige regieren.

Der Pastor in Eldoret, Boaz Mutekwa, sagte der BBC, insgesamt rund 400 Menschen hätten sich in das Gotteshaus geflüchtet. Die meisten Opfer gehörten wie der wiedergewählte Präsident Kibaki der Volksgruppe der Kikuyu an, sagte er.

Vor der Gewalt in den Slums in der Hauptstadt Nairobi und im Westen des Landes flohen tausende Menschen. Nach Angaben eines Polizeisprechers kamen mindestens 145 Menschen bei Gewaltausbrüchen seit der Wahl am vergangenen Donnerstag ums Leben. Kenianische Medienberichten sprachen von rund 200 Todesopfern.

Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. Die Europäische Union forderte ein Ende der Gewalt. Die USA äußerten sich besorgt über "Unregelmäßigkeiten" bei der Stimmenauszählung. Auch die EU-Wahlbeobachter in Kenia sprachen sich für eine unabhängige Untersuchung des Wahlergebnisses aus.

Bei der Auszählung sei es zu "schweren Anomalien" gekommen, sagte Alexander Graf Lambsdorff, der deutsche Leiter der Beobachtermission, in Nairobi. Bereits nach der Wahl hatte Lambsdorff beklagt, dass Beobachter in mehreren Wahlbezirken nicht zur Stimmenauszählung zugelassen worden waren. Am Dienstag führte er im vorläufigen Bericht der Beobachtermission weitere Unregelmäßigkeiten auf. Die Berichte der Beobachter riefen Zweifel am offiziellen Ergebnis auf, sagte er.

So hätten EU-Beobachter in einem Wahlbezirk 50 000 Stimmen für den offiziellen Wahlsieger Kibaki gezählt. Die Wahlkommission nannte aus diesem Bezirk jedoch 75 000 Stimmen für Kibaki. Mindestens ein weiterer derartiger Vorfall sei den EU-Wahlbeobachtern bekannt.

Selbst in der kenianischen Wahlkommission ist der angebliche Sieg Kibakis mittlerweile umstritten. Mehrere Kommissionsmitglieder fordern eine richterliche Untersuchung.

Nach diesen Wahlen scheinen die ethnischen Gräben im Vielvölkerstaat tiefer denn je. Das ostafrikanische Land galt international als Pfeiler der Stabilität in einer Region, die durch die Dauerkrisen in Somalia, im Sudan oder den noch ungelösten Bürgerkrieg in Uganda geprägt ist. Nun aber droht Kenia seinen Ruf als eines der wenigen halbwegs demokratischen Länder zu verlieren. Mit Macheten und Knüppeln gehen Männer der Volksgruppen der Luo und Kikuyu aufeinander los.

Unterdessen wurden Lebensmittel und Benzin knapp. Viele Geschäfte haben seit den Wahlen geschlossen. In Supermärkten, die wenigstens vorübergehend geöffnet hatten, kam es zu Hamsterkäufen, berichtete die Zeitung "The Standard".

Die Wahlkommission hatte Kibaki am Sonntagabend mit 230 000 Stimmen Vorsprung vor Odinga zum Wahlsieger erklärt. Etliche Unstimmigkeiten bei der Auszählung konnten zu diesem Zeitpunkt nicht überprüft werden. Nach der Auszählung von 90 Prozent der Wahlkreise hatte noch Odinga in Führung gelegen.

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