Milliarden-Verluste Finanzkrise: Die Spur des Monsters

Die Finanzkrise wütet, die Angst vor einer Rezession geht um, Bundespräsident Horst Köhler beschimpft die Finanzmärkte als Monster. Doch wie ernst ist die Krise wirklich? Wer sind ihre Opfer, wer räumt auf, wer vertuscht? Wer profitiert gar? Eine weltweite Spurensuche von Whiteland in Indiana bis zu Dongguan in China, vom badischen Achern bis nach New York, London und Frankfurt.

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Bear-Stearns-Zentrale: Großer Quelle: AP

Gift aus den Türmen

Jim Maschmeyer ist fürchterlich stolz auf seine Tochter Allison. Sie ist noch keine 30 Jahre alt und hat es doch schon zu etwas gebracht. Und das sogar in der Finanzmetropole New York, weit weg von zu Hause, dem kleinen Ort Whiteland in Indiana, ein paar Meilen südlich von Indianapolis, wo die Familie, deren Vorfahren aus Deutschland stammen, seit Generationen eine Baumschule betreibt.

Doch in den Stolz mischt sich zuletzt oft genug auch Ärger, wenn er mit der Tochter spricht, wie es so läuft in seinem kleinen Betrieb. Allison arbeitet für die Bank of America, die größte Bank der USA. Die ist zwar hier im Mittleren Westen nur spärlich vertreten, und so hatte er als Geschäftsmann bisher nichts mit ihr zu tun. Und doch ist es eine jener gierigen Wall-Street-Banken, die in seinen Augen Mitverantwortung trägt für den ganzen Schlamassel, für die leichtfertige Kreditvergabe, für die vertrackten Finanzkonstrukte mit den Drei-Buchstaben-Kürzeln, die hier auf dem platten Land zwar kaum jemand richtig versteht, deren Gift sich aber aus den Türmen der Finanzzentren bis hierher ausgebreitet hat. „Natürlich haben auch wir das zu spüren bekommen,“ sagt Maschmeyer, „plötzlich war es sehr schwierig, überhaupt noch einen Kredit von der Bank zu bekommen.“ Von Pontius zu Pilatus musste er laufen, um frisches Geld zu bekommen, damit seinem kleinen Unternehmen nicht die Luft ausgeht. Antragsprozeduren veränderten sich, lange gekannte Ansprechpartner verschwanden plötzlich, Kreditrahmen wurden gekürzt. Schließlich konnte er sich nur retten, indem er eine weitere Hypothek auf den Grund der Baumschule aufnahm. „Zum Glück sind die Preise für Farmland wegen des Ethanol-Booms stark gestiegen“, sagt er, „sonst hätte es richtig düster ausgesehen.“

Wut auf alle

Patricia möchte sich nicht bei Devon & Blakely, dem Deli gegenüber des Haupteingangs des Brokerhauses Bear Stearns, treffen. „Dort holen sich zu viele Kollegen einen Snack“, sagt sie, und sie möchte nicht gesehen werden, wie sie mit einem Journalisten spricht. Sie schlägt stattdessen Blake & Todd Fine Foods vor, zwei Blocks entfernt, an einer Straßenecke auf dem Weg zum Bahnhof. Da sitzt sie in ihrem dunklen Bankerkostüm an einem der Holztische ganz hinten in der Ecke, mit übergeschlagenen Beinen und nippt nervös an einem Milchkaffee. Pat, um die 50 Jahre alt, ist ein Opfer der Finanzkrise, selbst wenn sie anders als Tausende ihrer Kollegen ihren Job behalten sollte – ein großer Teil ihrer Altersvorsorge hat sich in Luft aufgelöst. Bear beteiligte seine Angestellten stets großzügig am Gewinn. Knapp ein Drittel der Aktien befindet sich im Besitz der Mitarbeiter. „Mein Anteil war vor gut einem Jahr noch einen ordentlichen sechsstelligen Betrag wert“, sagt Pat, „heute bekomme ich dafür nicht mal mehr einen halbwegs tauglichen Gebrauchtwagen.“ Der Kurs von Bear betrug vor einem Jahr noch mehr als 170 Dollar, stürzte mit der Zwei-Dollar-Offerte von JP Morgan auf unter vier ab und erholte sich mit der Nachbesserung auf rund elf kümmerliche Dollar. Die Optionen sind wertlos.

Pat versteht nicht, wie das passieren konnte. „Uns bei Bear Stearns hat stets beruhigt, dass unsere Bosse selbst so viel Geld in die Firma investiert haben“, sagt sie, „die mussten doch wissen, wie es um die Bank steht.“ Natürlich habe man von den Gerüchten gehört, und der steile Rückgang des Aktienkurses in den Wochen vor dem Kollaps habe alle nervös gemacht. „Doch die Leute schienen sogar noch enger zusammenzurücken, die Gerüchte um Liquiditätsengpässe wurden als Attacke von Hedgefonds angesehen, die aber mit ihren Spekulationen auf einen fallenden Kurs auf die Nase fallen würden.“

Dann das Horror-Wochenende. Eine Kollegin rief an, Pat solle sofort CNBC einschalten, den Wirtschaftssender. Dort entfaltete sich das Drama. „Als es hieß, JP Morgan werde zwei Dollar pro Aktie bezahlen, hab ich erst gedacht, ich hätte mich verhört. Dann blieb mir die Luft weg, als ich realisierte, wie viel Geld ich verloren hatte.“ Sie bekam einen Heulkrampf. Doch am nächsten Morgen hatte sie „nur noch Wut im Bauch“. Wut auf Jamie Dimon, den Chef von JP Morgan, der es gewagt hatte, dieses „unverschämte Angebot abzugeben, das einer Enteignung gleichkommt“. Wut auf die Fed, die US-Notenbank, die den Deal stützte, Wut auf Finanzminister Hank Paulson, Wut auf alle, die irgendetwas damit zu tun haben. Wut, die sie heute noch spürt.

"Ein Bauernopfer"

Es war der Freitagabend vor Silvester, als die Eurohypo. Mit der hatte Döpp nichts zu tun. „Döpp ist ein Bauernopfer“, sagt einer der Commerzbanker, die in Manhattan im World Financial Center mit knapp 300 Leuten sitzen, „die Zentrale in Frankfurt hat ihm die Verantwortung für die Subprime-Investments bereits im Frühjahr 2007 entzogen.“ Und selber lange offenbar tatenlos dem Preisverfall zugesehen, wie sich aus dem Geschäftsbericht ergibt. Man habe bereits im März 2007 eine Arbeitsgruppe gebildet, die die „Ausfallrisiken der zugrunde liegenden Credit Pools von Subprime-Investments zum Ziel hatte“, heißt es dort.

Damals hätte man diese obskuren Investments noch abstoßen können, mit Verlust zwar, aber lange nicht mit so hohen Verlusten wie am Ende des Jahres, als man Döpp schließlich vor die Tür setzte. Döpp ist der einzige deutsche Leiter einer New Yorker Banken-Niederlassung, dem man offenbar die Schuld für das USA-Debakel ankreidet. Der 53-Jährige selbst will sich nicht äußern. „Es laufen noch immer die Verhandlungen über meine Abfindung“, sagt er. Bis heute gibt es zwischen ihm und der Commerzbank keine Einigung.

Größter Schaden

Dieser Montagmorgen, der 30. Juli 2007, hat es in sich. Auf dem Weg zu ihrem Büro im Hauptgebäude der IKB Deutsche Industriebank in Düsseldorf erfahren die Mitarbeiter, dass ihr Arbeitgeber in einer schweren Krise steckt. Dem Institut geht es so schlecht, dass am Wochenende der Mehrheitsgesellschafter, die KfW Bankengruppe, eine Bürgschaft in Höhe von 8,1 Milliarden Euro für das kriselnde Institut übernehmen musste.

Viele sind fassungslos. Am Freitag waren sie noch in einer heilen Welt nach Hause gegangen, doch mit der Krise der IKB bricht sich nun das globale Finanzbeben schier unaufhaltsam Bahn. Noch am gleichen Tag findet eine Mitarbeiterversammlung im großen Konferenzsaal der IKB statt, der 300 Menschen Platz bietet. Der braune Parkettboden und die dunklen Wände verstärken die düstere Stimmung.

Ans Rednerpult tritt Günther Bräunig, der am Sonntag erst vom Aufsichtsrat zum Vorstandschef bestellt wurde. Seine Rede wird direkt in die Niederlassungen der Bank übertragen. Viel hat er nicht zu sagen. Er entschuldigt sich, dass er nur einen Text vortragen könne, der mit den Hausjuristen abgestimmt ist. Bräunig erklärt, dass die Bank am Markt für US-Hypothekenkredite investiert habe, die Papiere massiv an Wert verloren habe und die KfW mit einer Bürgschaft einspringen müsse.

Walter Krüger kann es nicht fassen. Mehr als 30 Jahre lang hat er für die IKB gearbeitet, davon 16 Jahre Jahre im Vorstand des Düsseldorfer Instituts. An diesem „schwarzen Montag“ ist er gerade in Heidelberg. Am Morgen ruft ihn sein Schwiegersohn an, der für einen Chemie-Konzern in Korea arbeitet und sagt „mit eurer Bank gibt es ein Problem“. Krüger ist bestürzt. „Das kann nicht sein“, denkt er.

Wenige Tage zuvor war er noch beim damaligen Chef der IKB, Stefan Ortseifen, zu Besuch. Der versicherte ihm, es drohe keine Gefahr für die Bank durch die Verbriefungen. Die Risiken seien abgesichert. „Er war völlig entspannt. Für mich gab es keinen Grund zur Sorge“, sagt Krüger. Der 82-Jährige ist nicht nur ehemaliger Chef der IKB, er ist auch Aktionär. An dem besagten Montag überlegt er kurz, seine Wertpapiere zu verkaufen, lässt es aber. „Ich wäre mir wie ein Fahnenflüchtiger vorgekommen“, sagt er. „Natürlich habe ich jetzt jede Menge Geld verloren.“

Die IKB ist für ihn mehr als irgendeine Bank. Sie ist sein Lebenswerk, eine Herzensangelegenheit. Seit 1990 ist er nicht mehr im Amt, trotzdem schaut er noch einmal die Woche bei seinem alten Arbeitgeber in Düsseldorf vorbei. Bei der Hauptversammlung Ende März hält er eine bewegende Rede. „Es erfüllt mich mit Emotion, wenn ich jetzt von Ihrer, unserer und meiner Bank spreche“, sagt er und versucht vor allem, einige der aufgebrachten Aktionäre für sich zu gewinnen, die damit drohen, die IKB zu verklagen. Die Bank habe immer noch eine hochmotivierte Mannschaft, die „Ihnen, sehr geehrte Aktionäre, vertraut und Sie bittet, diese Bank auch künftig zu begleiten“.

Bei Schadensersatzklagen gegen die Bank hätten den größten Schaden die Mitarbeiter und die übrigen Aktionäre. „Geben Sie den hochmotivierten Mitarbeitern und dem einmaligen Know-how dieser Bank eine Chance für eine gute Zukunft“, bittet der alte Mann.

Die Verkaufszahlen seiner Baumschule sind zuletzt wegen der Krise im Vergleich zum Vorjahr bereits um 30 Prozent eingebrochen. Für seine zwölf angestellten Helfer muss er wohl bald die Vier-Tage-Woche einführen – viel Diskussionsstoff für die Gespräche mit der Tochter.

Luqman Arnold, früher selbst Quelle: AP

"Die haben mich angelogen"

IKB-Aktien werde ich sicher nicht mehr anrühren“, sagt Dietrich W., Ex-Aktionär der Düsseldorfer Bank. Für 30.000 Euro kaufte er Wertpapiere der IKB, den ersten Schwung im Juni vergangenen Jahres. „Die IKB schien mir immer solide und galt als sichere Anlage“, sagt er. W. hält sich selbst eher für einen langfristigen Anleger. Ins Portfolio nehme er „nur Qualität“. Er ist sicher, dass die IKB eine gute Adresse ist. Schließlich konzentriert sich die Bank auf das Geschäft mit deutschen mittelständischen Unternehmen. Erst recht nach einer Pressemitteilung des Instituts Mitte Juli. Darin heißt es, dass Verluste im Zusammenhang mit US-Immobiliendarlehen nur einen relativ niedrigen Betrag ausmachen und die Bank ihre Ziele erreichen werde. W. fühlt sich in seiner Einschätzung bestätigt und kauft weitere Aktien. Zwischen dem 23. und dem 27. Juli legt er ordentlich nach. „Warum hätte ich an den Angaben des Bankvorstands zweifeln sollen? Ich wusste doch gar nicht, dass die Bank riskante Geschäfte über ihre Zweckgesellschaft tätigt“, sagt er. „Wenn etwas schiefläuft, muss darüber rechtzeitig informiert werden.“ Bei der IKB sei das Gegenteil geschehen. „Die haben mich angelogen“, sagt er. W. hat rund 40 Prozent seiner Investition verloren – 12.000 Euro.

Hart getroffen

Luqman Arnold ist nicht nur Opfer der Finanzkrise – sie ist für ihn auch die Gelegenheit zu später Abrechnung. Nur für wenige Monate leitete er 2001 die Schweizer Großbank UBS, mit ihrer Zwei-Säulen-Strategie aus Investmentbanking und Vermögensverwaltung lange eines der am meisten bewunderten europäischen Institute, eine willkommene Zielscheibe. Mit Abschreibungen von umgerechnet 24 Milliarden Euro ist sie die mit Abstand am härtesten getroffene europäische Bank. Sie hat 2007 2,7 Milliarden Euro verloren, der Börsenkurs hat sich mehr als halbiert. Das kann die Bank auch durch die Hilfe von Staatsfonds aus Fernost verkraften. Doch der Imageschaden wird gerade bei der auf Seriosität bedachten Klientel der Vermögensverwaltung noch Jahre anhalten.

Hohe Kosten

Vor wenigen Monaten pendelte der Hedgefonds-Manager noch täglich ins Büro nach Soho. Sein Fonds Peloton gehörte 2007 zu den Starperformern in der Londoner City. Peloton hatte die Risiken des US-Hypothekenmarktes kommen sehen und entsprechend disponiert. Doch im Februar musste der mit zwei Milliarden Dollar dotierte Peloton ABS Fund liquidiert werden. Seitdem bekommt der Manager kein Gehalt mehr. Nun kann der Vater von vier Töchtern die Privatschule mit jährlichen Kosten von 47.000 Euro nicht mehr finanzieren. Kopfzerbrechen bereiten dem Amerikaner und seiner Frau nun die hohen Mietkosten für die Villa. Das Ehepaar überlegt, in die USA zurückzukehren. Doch es gibt ein Problem: Ein Haus besitzen die beiden in ihrer alten Heimat nicht – sie sind plötzlich selbst zu Subprime-Schuldnern geworden.

Beflissene Demut

Auf die Frage, ob er persönlich jemanden kenne, der von der Finanzkrise betroffen ist, sagt Management-Berater Bob Swanton: „Ich kenne eigentlich niemanden in New York, der noch nicht betroffen ist.“ Und erzählt von dem Ehepaar, dass den Plan aussetzte, sich mit Mitte 50 vorzeitig in den Ruhestand zu begeben, weil sich der Wert ihres Aktiendepots um mehr als 20 Prozent reduziert hat. Jeder hier kennt Läden wie Mohan’s Custom Tailors, Spezialist für maßgeschneiderte Herrenanzüge auf der 42nd Street, der „due to the current economic slowdown“ mit einem Rabatt von 33 Prozent wirbt. Und sogar die Billig-Hot-Dog-Kette Gray’s Papaya bietet ein Recession-Special: Zwei kleine Würstchen im Bröselbrötchen plus ein Getränk für 2,99 Dollar. Doppelt gekniffen stellt ein Galerist in Chelsea frustriert fest, dass vielen seiner Kunden – darunter Hedge-fonds-Manager – das Geld nicht mehr so locker sitzt. Gleichzeitig macht seine Bank Zicken und verlangt höhere Sicherheiten für einen Kredit. „Ich kann froh sein, dass sie ihn mir noch nicht gestrichen haben“, sagt er. Höhere Zinsen muss er seit der Refinanzierung ohnehin bezahlen.

Die Hoffnung, dass Ausländer mit ihrer starken Währung Schutz vor einem allzu dramatischen Preisverfall bieten könnten, hegen auch alle Beteiligten auf dem Immobilienmarkt. Doch selbst in New York hat sich der längst zugunsten der Käufer gedreht. Die Arroganz der Makler ist beflissener Demut gewichen. Der Hinweis, „über den Preis kann man sicher noch reden“ ,fällt bei vielen Besichtigungen. In den Hamptons auf Long Island, der Sommerresidenz der New Yorker Geld-Schickeria, scheinen die Makler sogar zum ersten Mal seit Jahren Schwierigkeiten zu haben, Luxusresidenzen zu vermieten. Dort kostete eine Mansion am Strand mit sechs Schlafzimmern im vergangenen Jahr noch 200.000 Dollar Monatsmiete. Doch diese Zeiten sind vorbei, die Preise für Ferienhäuser in den Hamptons seit September 2007 im Durchschnitt bereits um 20 Prozent gefallen, die Zahl der Verkäufe ist ebenfalls stark rückläufig.

Herr Lou verbrennt Geld

Lou Jiwei, Chef des chinesischen Staatsfonds China Investment Corporation (CIC), will immer noch von der Finanzkrise profitieren. Er hat den Auftrag, einen Teil von Chinas Devisenreserven in Höhe von über 1,5 Billionen Dollar gewinnbringend anzulegen. Vorerst ist der Fonds mit 200 Milliarden Dollar ausgestattet, etwa ein Drittel der Summe soll Lou im Ausland investieren. Als die Finanzkrise über Amerika hereinbrach, sah der Chinese seine Stunde gekommen. „CIC will sich als stabilisierender Faktor an den internationalen Finanzmärkten positionieren“, sagte er. Dabei wolle man eine „vernünftige Rendite“ erzielen. Für fünf Milliarden Dollar erwarb CIC im Dezember 2007 schließlich einen zehnprozentigen Anteil an der schwer angeschlagenen Investmentbank Morgan Stanley. Das Problem: Seit dem Einstieg ist der Aktienkurs um zehn Prozent gefallen. Verspekuliert haben die Chinesen sich auch bei der Private-Equity-Gesellschaft Blackstone. Für drei Milliarden Dollar hat CIC einen knapp zehnprozentigen Anteil erworben. Seitdem ist der Blackstone-Kurs um 40 Prozent eingebrochen – Lou Jiwei verbrennt Geld. Doch Lou hält an seiner Strategie fest. Von kurzfristigen Kursschwankungen lasse er sich nicht beirren.

Geschwächte Stützen

Unter der schwächelnden Konjunktur in den USA und Europa im Gefolge der Finanzkrise leiden inzwischen auch Chinas Unternehmen. Die Nachfrage nach Spielzeug, Fernsehern, Schuhen oder Laptops im Westen hat sich deutlich abgeschwächt, das schlägt auf die Bilanzen der exportorientierten Betriebe im Reich der Mitte durch. Sie waren bislang die Stütze des chinesischen Wirtschaftswunders. Lag der Zuwachs bei Chinas Ausfuhren im vierten Quartal 2007 noch bei rund 25 Prozent, verkauften die Unternehmen in den ersten drei Monaten 2008 nur noch zehn Prozent mehr Waren ins Ausland als im Vorjahreszeitraum. Einer, der den Abschwung zu spüren bekommt, ist Zhang Huarong, Gründer und Chef der Huajin-Gruppe, einem der größten Hersteller von Schuhen in China. Neben der Nachfragedelle plagen den Unternehmer steigende Lohnkosten und die Stärke der chinesischen Währung Yuan. Die Pläne zur Erweiterung seiner Fabriken im südchinesischen Dongguan und die Verdopplung der Zahl der Mitarbeiter auf 40.000 hat Zhang gestoppt. Insgesamt dürften bis zu 20 Prozent der exportorientierten Unternehmen in Guangdong die Krise nicht überleben. Die Region ist das Zentrum der chinesischen Exportindustrie.

Großvater der CDOs

Chris Ricciardi gibt keine Interviews, und beantwortet keine Fragen. Dabei könnte er so viel erzählen: Schließlich ist Ricciardi einer der Hauptprotagonisten der Finanzkrise. Ricciardi ist nicht nur Vorstandschef des Investment-Unternehmens Cohen & Co. aus Philadelphia. Er ist zugleich einer der Erfinder des mittlerweile fast trocken liegenden Geschäfts mit sogenannten Collateralized Debt Obligations (CDO), jenen im Zentrum der Finanzkrise stehenden obskuren Finanzinstrumenten.

Vor einem Jahr hatte Ricciardi noch keine Probleme, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Da blickte er lässig vom Titelblatt des britischen Fachblatts „Credit“. Die Pose sollte wohl Gelassenheit demonstrieren und den Kunden von Cohen & Co. das Gefühl geben, die „CDO-Fabrik“ habe in der sich andeutenden Subprime-Krise alles im Griff. „Wir schneiden Portfolios zurück, die ein Risiko bergen“, beruhigte er, „aber wir haben noch keine akute Verschlechterung gesehen.“ Die kam dann sehr schnell. Mehr als 36 Milliarden Dollar in solchen Produkten soll Cohen & Co. zu der Zeit unter Verwaltung gehabt haben – darunter reichlich Subprime. Zu den guten Zeiten liebte es Ricciardi, als „Großvater der CDOs“ bezeichnet zu werden – dabei war er gerade mal Anfang 30, als er 1999 bei Prudential Securities als Leiter eines Teams den ersten CDO zusammenbastelte, eines jener Finanzinstrumente, die so komplex sind, dass viele gestandene Banker sie nicht mehr verstanden. Nach seinem Wechsel zur CSFB, einer Tochter der Credit Suisse, avancierte die Bank zu einem der größten Zeichner von CDOs. Und als ihn 2003 Merrill Lynch angeheuert hatte, katapultierte Ricciardi das Brokerhaus von Platz 15 auf Platz eins unter den CDO-Spielern. Gleichzeitig stiegen Komplexität und Risiko. Als sich im vergangenen Frühjahr Probleme zeigten, soll Ricciardi seine Leute angetrieben haben: „Das sind die Geschäfte, die Leute berühmt machen“, sollen seine Worte gewesen sein. Doch diese Art von Berühmtheit, die ihn als mitverantwortlich für die globale Finanzkrise brandmarkt, hat er sich dabei sicher nicht vorgestellt.

„Niemand hatte die Traute“

Sie ist der neue Superstar unter den Analysten. Um Meredith Whitney vom Investmenthaus Oppenheimer reißen sich die US-Wirtschaftsfernsehsender, seit sie bereits im vergangenen Herbst vor hohen Verlusten bei Finanzwerten warnte und für die Citigroup eine Dividendenkürzung vorhersagte. Die Finanzmärkte kollabierten, Citigroup verlor innerhalb weniger Minuten 15 Milliarden Dollar an Wert. „Niemand hatte die Traute, schwarz auf weiß zu drucken, was ich gedruckt habe“, sagt sie. Seither korrigierte sie ihre Gewinnschätzungen für die Banken mehr als 30- mal nach unten, und „das wird nicht die letzte Herabstufung für 2008 sein“, kündigte sie gerade an. Manch einer an der Wall Street ballt die Faust in der Tasche, wenn er sie sieht. Sie soll sogar Todesdrohungen bekommen haben. Doch fürchten muss sich die 38-Jährige nicht – sie ist mit einem Profi-Catcher verheiratet.

„Pfahl im Fleisch“

Gammesfeld ist ein kleines Dorf in der Nähe von Rothenburg ob der Tauber. Ein paar Handwerksbetriebe, einen Edeka-Markt und eine der kleinsten Volksbanken Deutschlands gibt es hier. Bis zum Sommer ist hier Fritz Vogt von dienstags bis samstags zum Dienst erschienen – als Bankchef und Putzfrau in einer Person. Bei ihm gibt es weder Geldautomaten noch einen Computer. Doch der 78-Jährige ist nicht nur berühmt, weil er sich gegen eine Zwangsfusion seiner Bank mit einem anderen Institut wehrte. Er ist auch so etwas wie die moralische Instanz der Branche.

In seiner Bank gibt es ausschließlich Kredite, Girokonten und Sparbücher. Die Kunden führen hier weder Depots noch handelt die Bank selbst mit Aktien. Das hat Vorteile: Die Finanzkrise tobt in der ganzen Welt — und an Gammesfeld zieht sie vorbei. Während er früher belächelt wurde, wäre mancher Bankchef jetzt wohl froh in seiner Haut zu stecken.

„Die Probleme an den Finanzmärkten verwundern mich nicht“, sagt Vogt. „Es ist das Ergebnis der Profitgier und des Raubtierkapitalismus der Banken.“ Was ihn allerdings noch mehr ärgert, als die riskanten Machenschaften der Kreditinstitute, ist das Versagen der Aufsichtsbehörden. „Uns Kleinen machen sie das Leben schwer, und die Großen gehen ihnen durchs Netz.“

Er weiß, wovon er spricht: Bei der jüngsten Prüfung seiner Bank habe die BaFin bemängelt, dass er drei Jahre alte Kreditanträge verwende und von seinen Kreditnehmern, darunter ausschließlich kleine Mittelständler und Landwirte aus dem Dorf, nicht vierteljährlich eine Bilanz anfordere. „Deswegen wurde mir mit Amtsenthebung gedroht“, schimpft er. Die Großen dagegen könnten offenbar machen, was sie wollen: „Das ist doch Willkür-Demokratie.“

Vor einigen Wochen ging er in den wohlverdienten Ruhestand. Seine Bank wird es weiterhin geben. Mit Peter Breiter, einem gebürtigen Gammesfelder, hat er jemanden gefunden, der seine Idee fortführen wird. „Wir werden als Pfahl im Fleisch von denen da oben erhalten bleiben.“

Finger weg

Jim Cramer ist der Guru der kleinen Investoren. Sie lieben es, wenn er in seiner schrillen Fernsehshow „Mad Money“ zur besten Sendezeit mit Stühlen um sich wirft, Lenin-Bilder von der Wand reißt und mit der Faust ein Keyboard bearbeitet, bei dem nach Tastendruck Kassen klingeln, Kinder jammern oder Geisterstimmen vor bestimmten Aktien warnen: „House of Pain!“ Bereits im Sommer vergangenen Jahres warnte er vor Finanzwerten: „Finger weg!“ Doch mit dem Zusammenbruch von Bear Stearns lädierte der Aktien-Guru seinen eigenen Ruf: Beim Internet-Portal YouTube gehört ein Video einer seiner Sendungen zu den meistgesehenen: „Seid nicht blöde“, schreit er darin, „Bear Stearns geht nicht pleite, verkauft die Aktie nicht“, beschwört der ehemalige Hedgefonds-Manager seine Anhänger. Jetzt kann er nur hoffen, dass nicht allzu viele auf ihn hörten.

Ins Auge gegangen: Sachsens Quelle: dpa

Tapfere Fragen

Die Sachsen LB ist eines der ersten großen Opfer der Finanzkrise. Sie wird nur dank einer Übernahme durch die Stuttgarter Landesbank LBBW gerettet, Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt tritt zurück, der Freistaat haftet für drohende Verluste von bis zu 2,75 Milliarden Euro. Doch das Drama hat auch seine kleinen Helden.

Einer ist Michael Weichert. Er ist Abgeordneter der Grünen im Landtag und vertritt seine Fraktion im Untersuchungsausschuss zur Sachsen LB. Er ist Einzelkämpfer ohne ein Team von Finanzexperten, das ihn auf die Sitzungen vorbereiten könnte. Als Stadtrat saß Weichert mal im Kreditausschuss der Leipziger Sparkasse. Das ist seine Expertise in Sachen Bankgeschäft.

Und jetzt dieser komplexe Fall: Angefangen hatte das Drama schon im Frühjahr 2007, bevor die Sachsen LB Geldprobleme bekam. Damals bekundet LBBW-Chef Siegfried Jaschinski erstmals Interesse an dem Institut. Aber er wird abgewiesen, denn eine Fusion der Sachsen mit der Düsseldorfer WestLB steht kurz bevor, die Verträge sind fertig, das Projekt „Schneekoppe“, wie es WestLB-intern genannt wird, ist fast perfekt. Doch dann muss WestLB-Chef Thomas Fischer wegen millionenschwerer Fehlspekulationen zurücktreten. Schneekoppe ist erledigt. Die Sachsen sind allein.

Noch kein Grund zur Panik: Am 3. August 2007 – da ist die Finanzkrise schon voll im Gang – schreibt der Vorstand der Bank an den sächsischen Finanzminister Horst Metz: „Die Liquidität der Sachsen LB ist jederzeit gesichert.“ Das versichert die Bank am 10. August auch Wolfgang Voß, dem Staatssekretär im Finanzministerium.

Intern bei der Bank grummelt es allerdings. Zwar erfüllt die Sachsen LB zu dem Zeitpunkt noch alle Liquiditätsanforderungen, doch der Vorstand ist durch die angespannte Marktlage bereits in Alarmbereitschaft. Sollte sich die Lage weiter verschärfen, wird es finanziell eng, dessen sind sich die Banker bewusst.

Bereits einige Tage später wird das Gedankenspiel Realität, am 14. August ist das Spiel der Vertuscher aus, die Sachsen LB braucht Geld. Zehn Tage später beginnen Übernahmegespräche; Jaschinski erhält nun doch den Zuschlag – am Sonntag, dem 26. August gegen halb drei Uhr in der Früh.

Am Montag beginnt das Aufräumen. „Niemand hatte einen Überblick, wo welche Papiere waren“, sagt ein Mitarbeiter. In Dublin, wo die Sachsen LB über Tochterfirmen ihren Milliardenpoker abwickelte, „war eine Zweitwelt abgekoppelt, mit eigenem System und Risikocontrolling“. Doch „jetzt spucken wir in die Hände und sehen zu, wie wir den Karren aus dem Dreck ziehen“, beschreibt einer die Stimmung.

Mühsam ist es auch für den Grünen-Abgeordneten Weichert. Eine Taktik für die Sitzungen im Untersuchungsausschuss hat er nicht. Er legt sich ein paar Themenkomplexe und Stichworte zurecht. Im Ausschuss sind erst der Vorsitzende und sein Stellvertreter zwei Stunden lang dran. Dann haben die Fraktionen je 20 Minuten Rederecht. Als Letzter darf Weichert. „Es ist schwer, überhaupt noch etwas Neues zu fragen“, sagt er.

Milbradt muss am 31. März in Saal A 600 aussagen. Fast drei Stunden redet er im großen Sitzungsraum. Der Ministerpräsident sagt, dass es ihm stets darum gegangen sei, „das Risiko der Geschäfte in Dublin für die Sachsen LB kontrollierbar zu halten“. Von riskanten Geschäften will er erst im Sommer 2007 erfahren haben. Weichert nimmt es ihm nicht ab.

Nach vielen zermürbenden Stunden kann er endlich seine Fragen stellen. Zweimal kommt er an diesem Montag dran. Im März 2005 habe Milbradt in einer Regierungserklärung zur Sachsen LB Bezug auf ein Gutachten – unter anderem der Bankenaufsicht – genommen. Da stehe, sagt Weichert, „schon eine ganze Menge über sehr große außerbilanzielle Geschäfte“. Milbradt: „Dieser Bericht enthält – ich hab ihn im Nachhinein gelesen – nicht die Bemerkung, dass die Risiken unüberschaubar, die Risiken zu hoch sind, sondern dass das Management zu wünschen übrig lasse.“

Weichert lässt nicht locker. Er habe schon 2005 über die außerbilanziellen Geschäfte in Dublin Bescheid gewusst, sagt Weichert. „Wusste ich so nicht“, antwortet Milbradt. Über Struktur und Ausmaß außerbilanzieller Geschäfte habe er im August erfahren, sagt Milbradt und kommt davon. Nach neun Stunden.

Am nächsten Tag versetzt der SPD-Abgeordnete Karl Nolle dem Ministerpräsidenten den Gnadenstoß. Er fragt, ob Milbradt persönlich Darlehen von der Landesbank für eine Fondsbeteiligung erhalten habe. Der Ministerpräsident gibt das Geschäft zu — mit dem er prächtige Gewinne einfährt, während die Steuerzahler für die Milliardenverluste einstehen müssen. Milbradt tritt zurück.

Nur: Die tapferen Fragen des Abgeordneten Weichert haben ihn nicht gestürzt.

Prügel für riskante Geschäfte

Die kommenden Wochen dürften unangenehm werden für das Duo Erwin Huber und Günther Beckstein. Dann beginnt die heiße Phase des Untersuchungsausschusses zu den Verlusten der BayernLB infolge der Finanzkrise, und die Scheinwerfer richten sich auf den CSU-Chef, der zugleich bayrischer Finanzminister ist, und den Ministerpräsidenten: Wann hat das Führungs-Duo der CSU von den drohenden Milliardenverlusten der Bank aus den Subprime-Geschäften erfahren? Beckstein gehörte bis Oktober 2007 dem Verwaltungsrat der BayernLB an, Huber ist seit Oktober Vize-Vorsitzender des Kontrollgremiums, vorher war er einfaches Mitglied. Sicher ist, dass die Opposition im Landtag die wahlkämpfenden CSU-Granden öffentlichkeitswirksam vor sich hertreiben wird.

Neun Zeugen werden am kommenden Donnerstag und Freitag gehört werden, in der Woche darauf, am 6. Juni, müssen Huber und Beckstein selbst Rede und Antwort stehen. Obwohl die Geschäfte längst in jener Zeit liefen, als auch Ministerpräsident Beckstein sie hätte kontrollieren müssen, bekommt der treue Parteisoldat Huber derzeit die meisten Prügel ab. Dabei hat er sich ebenfalls schwere Fehler vorzuwerfen: Er versäumte es, die Oppositionsparteien über die kritische Situation vertraulich zu informieren. Später verpasste Huber den richtigen Zeitpunkt, öffentlich die Risiken einzuräumen – stattdessen leugnete er die Verluste, als sie längst bekannt waren, und versucht bis heute, alle Schuld für das Debakel beim Bankvorstand abzuladen. Die Quittung für das dilettantische Vorgehen wird die CSU voraussichtlich Ende September bekommen. Dann wird in Bayern gewählt, und die erfolgsverwöhnte Partei könnte ihr 50-Prozent-plus-X-Ziel verfehlen.

Rücksichtslose Verwertung

Wenn Stefano Buck zu seinen Patienten kommt, geht es ihnen meist schon richtig dreckig. Buck ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Schultze & Braun im badischen Achern, einer der besten Adressen für Insolvenzverwaltung in Deutschland. Was ihn auf die Palme bringt: Immer öfter, wenn er in ein angeschlagenes Unternehmen kommt, hat sich dort bereits ein Hedgefonds über Problemkredite in das Unternehmen eingekauft. Kann ein Unternehmen aufgrund seiner finanziellen Schieflage Darlehen nicht mehr pünktlich bedienen, verkauft die Bank die Forderungen mit Abschlägen von bis zu 70 Prozent an einen Hedgefonds. Der Handel mit solchen Problemkrediten ist in den vergangenen Jahren rasant angestiegen. Auf über 20 Milliarden Euro summierten sich diese Deals 2007, insgesamt werden die Problemkredite in Deutschland auf 300 Milliarden Euro geschätzt. Die Finanzkrise beflügelt diesen Handel, sie zwingt die Banken, sich schnellstmöglich von Problemkrediten zu trennen. „Das Problem ist“, kritisiert Buck, „dass die Hedgefonds meist nicht die Fortführung des Unternehmens im Sinn haben. Ihnen geht es in der Regel um die schnelle und rücksichtlose Verwertung mittels Zwangsverwaltung und Zwangsversteigerung.“ Zunehmend betroffen: der ganz normale Mittelstand – das neue Opfer.

Extrem desktruktiv

Der Tsunami hat die Küste noch nicht mit voller Wucht erreicht, aber wir spüren seine ersten Ausläufer“, sagt Ralph Holtom. Die Sonne scheint durchs offene Fenstern, vom Spielplatz der Schule gegenüber klingen Kinderstimmen. Doch Psychotherapeut Holtom spricht nicht vom Wetter. Die Sturmflut, die er meint, betrifft den Finanzplatz London – dort wo Schätzungen zufolge in den nächsten Monaten bis zu 40 000 der 350 000 Stellen gestrichen werden. Bei den Bankern wächst die Angst. Die Welle der Massenentlassungen rollt an, und viele der Betroffenen werden bei jenem Institut landen, für das Holtom arbeitet. Er spielt in der Finanzkrise auch eine Aufräumer-Rolle – aber eine ganz besondere.

Eine wachsende Zahl von Unternehmen aus dem Finanzsektor kontaktierte in den vergangenen Monaten sein Institut Counselling in Companies (CiC), das im Hinterhof eines alten Klosters im edlen Stadtviertel Kensington untergebracht ist. Es bietet den Unternehmen ein Employee Assistance Programme an. Dazu gehört bei Bedarf die psychologische Beratung beim Abbau von Stellen. Denn ist der Job erst mal weg, reagieren junge Banker häufig mit Alkohol- oder Drogenexzessen – ältere würden eher depressiv, berichtet Holtom. Schmerzhafter als der materielle Verlust, den die Spitzenkräfte aus der Finanzwelt zumindest eine Weile verkraften, sind die psychologischen Folgen. Von einem Tag auf den anderen sind Status, Identität und Selbstvertrauen futsch, sitzt der Alphamann, der bisher Millionen bewegte, gedemütigt und tatenlos zu Hause.

Über Persönliches zu sprechen, Stress oder Schwächen einzugestehen ist in der von einer aggressiven Machokultur geprägten City nicht üblich. Psychologische Probleme einzuräumen kann ganz schnell zum Karrierekiller werden. „Deshalb ist es für diese Menschen enorm schwierig, die Hilfe eines Therapeuten zu erbitten.“ Dabei wäre die in Zeiten wie diesen wichtiger denn je. „Wird das Umfeld schwieriger, übt das Management mehr Druck aus; Fehlentscheidungen fallen stärker ins Gewicht, der Stress steigt.“ Fehlt das Ventil kommt es gelegentlich zu extrem destruktiven Reaktionen: Kurz vor Pfingsten erschoss die Londoner Polizei einen 32-jährigen Staranwalt, der eines Nachmittags aus heiterem Himmel in seiner Luxuswohnanlage in Chelsea mit einem Gewehr herumballerte. Zuvor sprang ein Händler bei der Besichtigung einer Wohnung im 20. Stockwerk in den Tod. Im Gegensatz dazu hat einer von Holtoms ehemaligen Klienten sich gerade einen Bauernhof gekauft. Ganz ausgestiegen ist er nicht, doch als Ausgleich verbringt er inzwischen zwei Tage in der Woche als Landwirt. Ein Einzelfall. Denn dass es nach dem Ende der derzeitigen Krise einen echten Wandel geben wird, glaubt Holtom nicht. „Leider werden sie zu ihren alten Gewohnheiten zurückkehren. Gier und Wettbewerb treiben das Geschäft an. Die City ist nun mal ein Schlachtfeld.“

Hoch gepokert

Die Rettung der IKB war für Heinrich Haasis dramatisch, den Präsidenten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands. Vielleicht auch deshalb, weil er, wie WirtschaftsWoche-Recherchen nun zutage fördern, eine Doppelrolle spielte: als Retter und Profiteur. Ohne Haasis Hilfe wäre die IKB womöglich nicht mehr zu retten gewesen — andererseits hätte eine Pleite der IKB auch die Sparkassen finanziell hart getroffen.

Am letzten Juli-Sonntag 2007, als die Finanzkrise bei der IKB einschlug, ist Haasis per Telefon zusammengeschaltet mit den Granden der Geldbranche: Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann, Klaus-Peter Müller – damals Präsident des Bundesverbands deutscher Banken und Commerzbank-Chef –, der inzwischen zurückgetretenen KfW-Chefin Ingrid Matthäus-Maier und Jochen Sanio, dem Leiter der Bankenaufsicht. Es geht darum, dass die Banken der IKB eine Milliarde Euro zur Verfügung stellen. „Es hätte Folgen für alle deutschen Banken gehabt, wäre die IKB zugemacht worden“, sagt Haasis später. „Investoren hätten das Vertrauen verloren. Es war klar, dass wir helfen mussten.“ Trotzdem soll sich Haasis Verhandlungskreisen zufolge im Gespräch stur gezeigt haben. „Die IKB ist eine private Bank und deshalb erst mal euer Problem“, habe er Müller gesagt. Die Hälfte der Summe müsse von den Privaten kommen. Darauf lässt Müller sich ein. Die restlichen 500 Millionen teilen sich Sparkassen und Volksbanken.

Haasis pokerte hoch – und gewann. Was er damals nicht sagte: Auch die Sparkassen hätten unter einer Pleite gelitten. Bankkreisen zufolge halten die deutschen Sparkassen bis heute IKB-Anleihen im hohen dreistelligen Millionen-Bereich. Bei einer Pleite wäre das Geld weg gewesen. „Die Rettung war günstiger“, sagt ein hochrangiger Vertreter eines regionalen Sparkassenverbands: Bei ihm habe die „milde Spende“ kaum zehn Prozent dessen ausgemacht, was seine Sparkassen bei einer IKB-Pleite verloren hätten.

Blumen pflegen

So gut wie Adam Applegarth, 45, hätten es die Northern-Rock-Mitarbeiter, die die Bank verlassen sollen, auch gerne. Ihr im Dezember zurückgetretener Vorstandschef bekam eine Abfindung in Höhe von fast einer Million Euro und kann nach seinem 55. Geburtstag mit einer Betriebsrente rechnen.

Dabei war Applegarth der Architekt jener riskanten Refinanzierungsstrategien, die den Baufinanzierer in die existenzielle Krise führten. Anders als andere Bausparkassen refinanzierte sich Northern jahrelang zu großen Teilen über den kurzfristigen Kapitalmarkt. Dies bescherte Northern Rock zunächst ein erfolgreich erscheinendes Wachstumsmodell, war aber dann dafür verantwortlich, dass die Bank sich im Zuge der Krise keine ausreichende Liquidität mehr beschaffen konnte. Im vergangenen September gingen die Bilder von Sparern, die Schlange standen, um ihre Einlagen bei Northern Rock abzuheben, um die Welt.

Nur eine Kreditspritze der Bank of England und die Verstaatlichung rettete den Baufinanzierer vor dem Kollaps. Nun müssen 2000 der 6500 Mitarbeiter gehen. Keiner der Betroffenen kann damit rechnen, dass ihm der Abgang finanziell versüßt wird. Nur Applegarth kam relativ ungeschoren davon und ist inzwischen abgetaucht. „Gardening Leave“ nennt man in England jene Zeit nach einem Rauswurf, bei der hochrangige Manager finanziell abgesichert dem Müßiggang frönen und ihre Blumenbeete pflegen.

Kasse gemacht

Greg Lippmann hat sich im April 2007 ein Penthouse gekauft. Doch von „subprime“ ist seine New Yorker Neuerwerbung weit entfernt. 12,5 Millionen Dollar zahlte der Chefhändler der Deutschen Bank, und nichts deutet darauf hin, dass er mit den Raten in Verzug geraten könnte. 20 bis 25 Millionen Dollar soll er 2007 verdient haben. Dass er gerade im Krisenjahr so viel Kasse machte, verdankt er auch seiner eigenen Erfindung. Er leitet bei der Deutschen Bank den Handel mit forderungsbesicherten Wertpapieren, den Asset Backed Securities, war auch verantwortlich für das Geschäft mit den Sub- prime-Papieren. Als einer der ersten erkannte er die Auswirkungen der zunehmenden Zahlungsausfälle auf dem US-Häusermarkt und sicherte sein Institut früh ab, indem er wohl seit Ende 2006 gegen den ABX-Index setzte, den er selbst mit- entwickelt hatte. Der bildet den Kurs von auf Hypotheken basierenden Papieren niedriger Bonität ab. Seine Konsequenz führte dazu, dass die Bank einen wohl dreistelligen Millionengewinn einstrich. Für die Krise fühlt er sich nicht verantwortlich. Im Gegenteil: Er habe seine Kunden früh gewarnt. Und die durch die neuen Instrumente geschaffene Transparenz habe dazu geführt, dass die Probleme schnell erkannt wurden.

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