Milliarden-Verluste Finanzkrise: Die Spur des Monsters

Die Finanzkrise wütet, die Angst vor einer Rezession geht um, Bundespräsident Horst Köhler beschimpft die Finanzmärkte als Monster. Doch wie ernst ist die Krise wirklich? Wer sind ihre Opfer, wer räumt auf, wer vertuscht? Wer profitiert gar? Eine weltweite Spurensuche von Whiteland in Indiana bis zu Dongguan in China, vom badischen Achern bis nach New York, London und Frankfurt.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Bear-Stearns-Zentrale: Großer Quelle: AP

Gift aus den Türmen

Jim Maschmeyer ist fürchterlich stolz auf seine Tochter Allison. Sie ist noch keine 30 Jahre alt und hat es doch schon zu etwas gebracht. Und das sogar in der Finanzmetropole New York, weit weg von zu Hause, dem kleinen Ort Whiteland in Indiana, ein paar Meilen südlich von Indianapolis, wo die Familie, deren Vorfahren aus Deutschland stammen, seit Generationen eine Baumschule betreibt.

Doch in den Stolz mischt sich zuletzt oft genug auch Ärger, wenn er mit der Tochter spricht, wie es so läuft in seinem kleinen Betrieb. Allison arbeitet für die Bank of America, die größte Bank der USA. Die ist zwar hier im Mittleren Westen nur spärlich vertreten, und so hatte er als Geschäftsmann bisher nichts mit ihr zu tun. Und doch ist es eine jener gierigen Wall-Street-Banken, die in seinen Augen Mitverantwortung trägt für den ganzen Schlamassel, für die leichtfertige Kreditvergabe, für die vertrackten Finanzkonstrukte mit den Drei-Buchstaben-Kürzeln, die hier auf dem platten Land zwar kaum jemand richtig versteht, deren Gift sich aber aus den Türmen der Finanzzentren bis hierher ausgebreitet hat. „Natürlich haben auch wir das zu spüren bekommen,“ sagt Maschmeyer, „plötzlich war es sehr schwierig, überhaupt noch einen Kredit von der Bank zu bekommen.“ Von Pontius zu Pilatus musste er laufen, um frisches Geld zu bekommen, damit seinem kleinen Unternehmen nicht die Luft ausgeht. Antragsprozeduren veränderten sich, lange gekannte Ansprechpartner verschwanden plötzlich, Kreditrahmen wurden gekürzt. Schließlich konnte er sich nur retten, indem er eine weitere Hypothek auf den Grund der Baumschule aufnahm. „Zum Glück sind die Preise für Farmland wegen des Ethanol-Booms stark gestiegen“, sagt er, „sonst hätte es richtig düster ausgesehen.“

Wut auf alle

Patricia möchte sich nicht bei Devon & Blakely, dem Deli gegenüber des Haupteingangs des Brokerhauses Bear Stearns, treffen. „Dort holen sich zu viele Kollegen einen Snack“, sagt sie, und sie möchte nicht gesehen werden, wie sie mit einem Journalisten spricht. Sie schlägt stattdessen Blake & Todd Fine Foods vor, zwei Blocks entfernt, an einer Straßenecke auf dem Weg zum Bahnhof. Da sitzt sie in ihrem dunklen Bankerkostüm an einem der Holztische ganz hinten in der Ecke, mit übergeschlagenen Beinen und nippt nervös an einem Milchkaffee. Pat, um die 50 Jahre alt, ist ein Opfer der Finanzkrise, selbst wenn sie anders als Tausende ihrer Kollegen ihren Job behalten sollte – ein großer Teil ihrer Altersvorsorge hat sich in Luft aufgelöst. Bear beteiligte seine Angestellten stets großzügig am Gewinn. Knapp ein Drittel der Aktien befindet sich im Besitz der Mitarbeiter. „Mein Anteil war vor gut einem Jahr noch einen ordentlichen sechsstelligen Betrag wert“, sagt Pat, „heute bekomme ich dafür nicht mal mehr einen halbwegs tauglichen Gebrauchtwagen.“ Der Kurs von Bear betrug vor einem Jahr noch mehr als 170 Dollar, stürzte mit der Zwei-Dollar-Offerte von JP Morgan auf unter vier ab und erholte sich mit der Nachbesserung auf rund elf kümmerliche Dollar. Die Optionen sind wertlos.

Pat versteht nicht, wie das passieren konnte. „Uns bei Bear Stearns hat stets beruhigt, dass unsere Bosse selbst so viel Geld in die Firma investiert haben“, sagt sie, „die mussten doch wissen, wie es um die Bank steht.“ Natürlich habe man von den Gerüchten gehört, und der steile Rückgang des Aktienkurses in den Wochen vor dem Kollaps habe alle nervös gemacht. „Doch die Leute schienen sogar noch enger zusammenzurücken, die Gerüchte um Liquiditätsengpässe wurden als Attacke von Hedgefonds angesehen, die aber mit ihren Spekulationen auf einen fallenden Kurs auf die Nase fallen würden.“

Dann das Horror-Wochenende. Eine Kollegin rief an, Pat solle sofort CNBC einschalten, den Wirtschaftssender. Dort entfaltete sich das Drama. „Als es hieß, JP Morgan werde zwei Dollar pro Aktie bezahlen, hab ich erst gedacht, ich hätte mich verhört. Dann blieb mir die Luft weg, als ich realisierte, wie viel Geld ich verloren hatte.“ Sie bekam einen Heulkrampf. Doch am nächsten Morgen hatte sie „nur noch Wut im Bauch“. Wut auf Jamie Dimon, den Chef von JP Morgan, der es gewagt hatte, dieses „unverschämte Angebot abzugeben, das einer Enteignung gleichkommt“. Wut auf die Fed, die US-Notenbank, die den Deal stützte, Wut auf Finanzminister Hank Paulson, Wut auf alle, die irgendetwas damit zu tun haben. Wut, die sie heute noch spürt.

"Ein Bauernopfer"

Es war der Freitagabend vor Silvester, als die Eurohypo. Mit der hatte Döpp nichts zu tun. „Döpp ist ein Bauernopfer“, sagt einer der Commerzbanker, die in Manhattan im World Financial Center mit knapp 300 Leuten sitzen, „die Zentrale in Frankfurt hat ihm die Verantwortung für die Subprime-Investments bereits im Frühjahr 2007 entzogen.“ Und selber lange offenbar tatenlos dem Preisverfall zugesehen, wie sich aus dem Geschäftsbericht ergibt. Man habe bereits im März 2007 eine Arbeitsgruppe gebildet, die die „Ausfallrisiken der zugrunde liegenden Credit Pools von Subprime-Investments zum Ziel hatte“, heißt es dort.

Damals hätte man diese obskuren Investments noch abstoßen können, mit Verlust zwar, aber lange nicht mit so hohen Verlusten wie am Ende des Jahres, als man Döpp schließlich vor die Tür setzte. Döpp ist der einzige deutsche Leiter einer New Yorker Banken-Niederlassung, dem man offenbar die Schuld für das USA-Debakel ankreidet. Der 53-Jährige selbst will sich nicht äußern. „Es laufen noch immer die Verhandlungen über meine Abfindung“, sagt er. Bis heute gibt es zwischen ihm und der Commerzbank keine Einigung.

Größter Schaden

Dieser Montagmorgen, der 30. Juli 2007, hat es in sich. Auf dem Weg zu ihrem Büro im Hauptgebäude der IKB Deutsche Industriebank in Düsseldorf erfahren die Mitarbeiter, dass ihr Arbeitgeber in einer schweren Krise steckt. Dem Institut geht es so schlecht, dass am Wochenende der Mehrheitsgesellschafter, die KfW Bankengruppe, eine Bürgschaft in Höhe von 8,1 Milliarden Euro für das kriselnde Institut übernehmen musste.

Viele sind fassungslos. Am Freitag waren sie noch in einer heilen Welt nach Hause gegangen, doch mit der Krise der IKB bricht sich nun das globale Finanzbeben schier unaufhaltsam Bahn. Noch am gleichen Tag findet eine Mitarbeiterversammlung im großen Konferenzsaal der IKB statt, der 300 Menschen Platz bietet. Der braune Parkettboden und die dunklen Wände verstärken die düstere Stimmung.

Ans Rednerpult tritt Günther Bräunig, der am Sonntag erst vom Aufsichtsrat zum Vorstandschef bestellt wurde. Seine Rede wird direkt in die Niederlassungen der Bank übertragen. Viel hat er nicht zu sagen. Er entschuldigt sich, dass er nur einen Text vortragen könne, der mit den Hausjuristen abgestimmt ist. Bräunig erklärt, dass die Bank am Markt für US-Hypothekenkredite investiert habe, die Papiere massiv an Wert verloren habe und die KfW mit einer Bürgschaft einspringen müsse.

Walter Krüger kann es nicht fassen. Mehr als 30 Jahre lang hat er für die IKB gearbeitet, davon 16 Jahre Jahre im Vorstand des Düsseldorfer Instituts. An diesem „schwarzen Montag“ ist er gerade in Heidelberg. Am Morgen ruft ihn sein Schwiegersohn an, der für einen Chemie-Konzern in Korea arbeitet und sagt „mit eurer Bank gibt es ein Problem“. Krüger ist bestürzt. „Das kann nicht sein“, denkt er.

Wenige Tage zuvor war er noch beim damaligen Chef der IKB, Stefan Ortseifen, zu Besuch. Der versicherte ihm, es drohe keine Gefahr für die Bank durch die Verbriefungen. Die Risiken seien abgesichert. „Er war völlig entspannt. Für mich gab es keinen Grund zur Sorge“, sagt Krüger. Der 82-Jährige ist nicht nur ehemaliger Chef der IKB, er ist auch Aktionär. An dem besagten Montag überlegt er kurz, seine Wertpapiere zu verkaufen, lässt es aber. „Ich wäre mir wie ein Fahnenflüchtiger vorgekommen“, sagt er. „Natürlich habe ich jetzt jede Menge Geld verloren.“

Die IKB ist für ihn mehr als irgendeine Bank. Sie ist sein Lebenswerk, eine Herzensangelegenheit. Seit 1990 ist er nicht mehr im Amt, trotzdem schaut er noch einmal die Woche bei seinem alten Arbeitgeber in Düsseldorf vorbei. Bei der Hauptversammlung Ende März hält er eine bewegende Rede. „Es erfüllt mich mit Emotion, wenn ich jetzt von Ihrer, unserer und meiner Bank spreche“, sagt er und versucht vor allem, einige der aufgebrachten Aktionäre für sich zu gewinnen, die damit drohen, die IKB zu verklagen. Die Bank habe immer noch eine hochmotivierte Mannschaft, die „Ihnen, sehr geehrte Aktionäre, vertraut und Sie bittet, diese Bank auch künftig zu begleiten“.

Bei Schadensersatzklagen gegen die Bank hätten den größten Schaden die Mitarbeiter und die übrigen Aktionäre. „Geben Sie den hochmotivierten Mitarbeitern und dem einmaligen Know-how dieser Bank eine Chance für eine gute Zukunft“, bittet der alte Mann.

Die Verkaufszahlen seiner Baumschule sind zuletzt wegen der Krise im Vergleich zum Vorjahr bereits um 30 Prozent eingebrochen. Für seine zwölf angestellten Helfer muss er wohl bald die Vier-Tage-Woche einführen – viel Diskussionsstoff für die Gespräche mit der Tochter.

Inhalt
  • Finanzkrise: Die Spur des Monsters
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%