Nachbeben bedrohen AKWs Japanischer Botschafter stellt Energiekonzept infrage

Japan ist zum wiederholten Male von einem schweren Nachbeben erschüttert worden. Diesmal war auch die Kühlung des Unglücksreaktors Fukushima betroffen. Unabhängig davon wird die Evakuierungszone erweitert.

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Ein Riss, der von einem der Nachbeben verursacht wurde. Quelle: handelsblatt.com

Einen Monat nach Tsunami, Erdbeben und Atomunfall sieht der japanische Botschafter in Berlin, Takahiro Shinyo, sein Land vor gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen. „Wir müssen darüber nachdenken, was der beste Mix von Energiequellen ist“, sagte Shinyo am Montag. Dabei gehe es auch um die Nutzung erneuerbarer Energien.

Beim Wiederaufbau für 300.000 Menschen könne sich die Gestaltung von Städten, Kommunen und Wohnungen verändern. Möglich seien Öko-Städte. „Das ist ein Neubeginn japanischer Lebensweise“, ergänzte der Botschafter. Über die Sicherheit von Atomenergie müsse in Japan diskutiert werden. „Im Moment kämpfen wir. Aber später müssen wir darüber nachdenken.“

Für den Wiederaufbau geht Shinyo von umgerechnet 130 bis 220 Milliarden Euro aus. Wie viel Minus die japanische Wirtschaft in diesem Jahr zu verkraften habe, sei noch nicht abzusehen. Allein bei den japanischen Fluggesellschaften sei die Zahl der Reisenden seit März um die Hälfte bis zu zwei Dritteln zurückgegangen. Zulieferungen in der Auto- und Mobilfunkbranche wolle Japan so schnell wie möglich wieder aufnehmen. Helfen würde dem Land auch ein Freihandelsabkommen mit der EU. Gespräche darüber erhofft sich Japan im Mai.

Die wichtigsten beiden Aufgaben seien nun, die Evakuierten zu betreuen und den Atomunfall in den Griff zu bekommen, sagte der Botschafter. Die Folgen der Katastrophe seien auch in Tokio zu spüren. „Wir leben in einer Stromgesellschaft. Nun müssen wir Strom sparen. Es wird dunkler in Tokio“, sagte der Botschafter. Auch das werde die Lebensweise verändern. Ein radikales Umsteuern bei Japans Atomenergie hält er „von heute auf morgen“ allerdings für unmöglich.

Shinyo dankte Deutschland ausdrücklich für die Anteilnahme, Unterstützung und Spenden. Kritik am Gastland äußerte Shinyo aber auch: „Meiner Meinung nach haben sich die Medien hier zu sehr auf die Atomkatastrophe konzentriert.“ Im Japan gebe es nur örtlich begrenzt hohe Werte. Radioaktivität werde regelmäßig gemessen.

Derweil hat ein weiteres starkes Erdbeben Japan erschüttert und neue Probleme im Katastrophen-Kraftwerk Fukushima Eins ausgelöst. Einen Monat nach dem Mega-Beben vom 11. März unterbrach der neue Erdstoß mit der Stärke 7,0 am Montag die Stromversorgung des Atomkraftwerks. Die Kühlung der kritischen Reaktoren 1 bis drei fiel für 50 Minuten aus. Das Abpumpen radioaktiv verseuchten Wassers aus der Anlage verzögerte sich. Auch das Einleiten von Stickstoff zur Verhinderung von Wasserstoffexplosionen wurde gestoppt.

Zuvor hatte die Regierung die Evakuierungszone um die Atomruine ausgeweitet. Das Risiko weiterer Strahlenlecks hat sich nach Regierungsangaben aber verringert. Im ganzen Land gedachten die Menschen mit Schweigeminuten der Opfer von Erdbeben und Tsunami, der schlimmsten Naturkatastrophe in der Geschichte Japans.

Das Beben am Montagnachmittag (Ortszeit) hatte nach Angaben der US-Erdbebenwarte sein Zentrum in der Präfektur Fukushima, wo auch das havarierte Atomkraftwerk steht. In der Hauptstadt Tokio gerieten Häuser stark ins Schwanken. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Kyodo wurde ein Mensch getötet. Der Fernsehsender NHK berichtete von mindestens zehn Verletzten.

Bereits kurz nach der Erschütterung wurden Flutwellen von einem halben Meter in der Provinz Ibaraki gemessen. Eine Tsunami-Warnung wurde jedoch nach kurzer Zeit wieder aufgehoben. Live-Bilder des japanischen Fernsehsenders NHK zeigten ein Feuer in der Stadt Iwaki. Kurz nach ersten Beben kam es zu weiteren Erschütterungen.

Bereits vor dem neuerlichen Beben hatte Regierungssprecher Yukio Edano angekündigt, dass die japanische Regierung mehrere Gemeinden außerhalb der Sperrzone um die Atomruine Fukushima Eins evakuieren lassen wolle. Vor diesem Schritt hatte die Regierung sich lange Zeit gescheut - obwohl die Internationale Atomenergiebehörde IAEA und auch Greenpeace das schon vor Wochen gefordert hatten. Bisher wurde nur eine Zone im 20-Kilometer-Radius um das Atomkraftwerk evakuiert.

„Wir haben den Einfluss radioaktiven Materials auf die menschliche Gesundheit bei dieser Entscheidung miteinbezogen unter der Annahme, dass Menschen in diesen Gebieten für sechs Monate bis zu einem Jahr leben“, erklärte Regierungssprecher Edano. Die Bewohner sollten ihre Häuser räumen, wenn die Strahlendosis in ihrer Gemeinde bei 20 Millisievert pro Jahr liegt. Zuvor lag der Wert bei 50 Millisievert pro Jahr. Bei manchen Menschen lösen bereits 100 Millisievert Übelkeit und Erbrechen aus. 1000 Millisievert erhöhen das Krebsrisiko um zehn Prozent.

In den betroffenen Regionen seien die Strahlenwerte erhöht. Dazu zählten aktuell die Orte Katsurao, Namie und Iitate, das etwa 40 Kilometer von Fukushima Eins entfernt liegt. Nach Kyodo-Angaben sollen die betroffenen Bewohner innerhalb eines Monats in andere Regionen gebracht werden. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes vom Montag weht der Wind radioaktive Stoffe aus der Atom-Ruine bis Mittwoch wieder aufs offene Meer hinaus.

Greenpeace hatte am Montag von deutlich erhöhten Strahlenwerten berichtet, die ihre Experten in bewohnten Gebieten rund 60 Kilometer von Fukushima Eins entfernt gemessen hätten. Auf einem Spielplatz in Fukushima City fand ein Team demnach Werte von bis zu vier Mikrosievert pro Stunde (0,004 Millisievert). In der Stadt Koriyama seien es 2,8 Mikrosievert pro Stunde gewesen. Laut Greenpeace ist das so viel, dass die maximal tolerierbare Dosis für die Bevölkerung von 1000 Mikrosievert pro Jahr in wenigen Wochen aufgenommen würde.

Die Erdstöße verzögerten die Arbeiten an der Atomruine Fukushima Eins. Das Einleiten von Stickstoff in das Reaktorgehäuse von Kraftwerksblock 1 wurde gestoppt. Der Stickstoff soll verhindern, dass in den zerstörten Reaktorgebäuden wie kurz nach der Havarie Wasserstoff explodiert. Bei den kritischen Reaktoren 1, zwei und drei fiel zudem zeitweise die Stromversorgung aus. Das Einleiten von Kühlwasser wurde für etwa 50 Minuten unterbrochen. Die Sicherheitslage habe sich insgesamt jedoch nicht verändert, erklärte die japanische Atomaufsichtsbehörde (NISA) laut einem Kyodo-Bericht.

Das Abpumpen radioaktiv verseuchten Wassers wurde zunächst auf Dienstag verschoben. Um weiter an dem havarierten Atomkraftwerk arbeiten zu können, muss der Betreiber Tepco rund 60.000 Tonnen stark radioaktiv belastetes Wasser aus der Anlage pumpen. Es wurde in den Kellern der Reaktoren 1 bis drei gefunden, die unter anderem wichtige Elektronik beherbergen. Nach dem Beben und dem Tsunami war dort die Stromversorgung ausgefallen, das Kühlsystem versagte. Seitdem wird zum Kühlen Wasser in die Anlage geleitet. Das nun verstrahlte Wasser erschwert jedoch die Bemühungen, die Anlage zu stabilisieren.

Am Montag sollte damit begonnen werden, das Wasser in einen Ablagebereich im Turbinengebäude von Reaktor zwei zu füllen. Zunächst sollten Behälter überprüft werden, aus denen seit dem 4. April nach NISA-Angaben rund 9070 Tonnen relativ schwach verstrahltes Wasser ins Meer abgeleitet wurde. Die Arbeiter wollten sicherstellen, dass sich dort keine Reste mehr befinden.

Nach dem Beben mussten die Arbeiter das Kraftwerk jedoch zeitweise verlassen. Nach NISA-Angaben werde mit dem Ableiten nun frühestens am Dienstag begonnen, wie Kyodo berichtete. NISA-Sprecher Hidehiko Nishiyama sagte, es sei extrem schwierig, einen Zeitplan aufzustellen. Es sei „noch keine Situation, die man optimistisch sehen kann“.

Mehr als vier Wochen nach dem verheerenden Erdbeben vom 11. März mit der Stärke 9,0 und dem folgenden Tsunami gelten 14.300 Menschen als vermisst. Rund 150.000 Menschen leben noch immer in 2400 Notunterkünften. Japan gedachte am Montag in den Notlagern, an Arbeitsplätzen und Schulen im ganzen Land mit Schweigeminuten seiner Opfer, wie die Nachrichtenagentur Jiji Press berichtete. Insgesamt wird von 28.000 Toten ausgegangen.

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