Neue Aktien an der Börse Fluch und Segen von Kapitalerhöhungen

Deutsche Unternehmen sammeln durch Kapitalerhöhungen soviel Geld an der Börse ein wie lange nicht. Für Aktionäre ist das zwiespältig: Wie Anleger von Kapitalerhöhungen profitieren und Wertvernichter meiden.

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So ein Comeback ist selten: Die größte deutsche Kapitalerhöhung seit fünf Jahren spült HeidelbergCement 2,25 Milliarden Euro in die Kasse. Noch dazu laden die Banken, bei denen der Konzern hoch verschuldet ist, ein ebenso großes Aktienpaket am Markt ab. „Das hätte ich noch vor drei Monaten nicht für möglich gehalten“, sagt ein leitender Investmentbanker. Denn HeidelbergCement galt als Pleitekandidat.

Die Kapitalspritze ändert das radikal: Am vergangenen Dienstag wurde der angeschlagene Konzern aus dem Besitz der Familiendynastie Merckle zur Börsenhoffnung. In der Euphorie dieses einen Tages, an dem der Aktienkurs um elf Prozent steigt, gibt HeidelCement-Chef Bernd Scheifele ein großes Ziel aus: „Ich will das Unternehmen 2010 in den Dax führen.“ Obwohl der Konzern Ende des Jahres noch über acht Milliarden Euro Schulden haben wird, könnte Scheifele das schon im kommenden März schaffen, sagen die Analysten von UniCredit. Chiphersteller Infineon, der ebenfalls via Kapitalerhöhung frisches Geld bekam, hat es vorgemacht: Der Untergang wurde abgewendet, seit einer Woche ist Infineon wieder im Dax.

Nicht blenden lassen

HeidelbergCement und Infineon sind zwei der spektakulärsten Rettungsaktionen der vergangenen Jahre. Wer bei ihren Kapitalerhöhungen dabei war, hat gut daran verdient.

Doch Anleger sollten sich von solchen Erfolgsstorys nicht blenden lassen: Viele Kapitalerhöhungen belasten den Kurs und senken damit das Vermögen der Altaktionäre. Acht von zehn größeren deutschen Unternehmen, die im laufenden Jahr frisches Kapital aufnahmen, haben sich seit Ankündigung der Kapitalerhöhung schlechter entwickelt als ihr Vergleichsindex (siehe Tabelle auf Seite 2).

Geldschwemme lockt Unternehmen an die Börse

Die Rally am Aktienmarkt und die Tatsache, dass viele Investoren im Moment nicht mehr wissen, wo sie ihre noch reichlich vorhandenen flüssigen Mittel anlegen sollen, lockt weitere Unternehmen an, die an der Börse Geld einsammeln wollen. „Jeder sieht, dass jetzt die Gelegenheit da ist, zu attraktiven Bewertungen Kapital aufzunehmen“, sagt Stefan Gratzer, der das deutsche Geschäft mit Aktienemissionen bei Credit Suisse leitet. „Weil niemand weiß, ob das auch in der zweiten Hälfte des kommenden Jahres noch möglich sein wird, bereiten derzeit viele Unternehmen Kapitalerhöhungen und Börsengänge vor.“

Börsenreaktion auf Kapitalerhöhungen

Die Begeisterung der Altaktionäre darüber hält sich allerdings in Grenzen. Viele reagieren auf Kapitalerhöhungs-Ankündigungen mit Verkäufen. Rheinmetall, Sky Deutschland, Air Berlin und auch Rhön Klinikum verloren in der ersten Handelswoche mehr als acht Prozent an der Börse, nachdem sie Investoren über ihre Pläne informiert hatten. „Der Gewinn des Unternehmens wird auf mehr Aktien aufgeteilt, das ist zunächst einmal schlecht“, sagt Karl Fickel, Partner der Fondsgesellschaft Lupus Alpha. Im Fachjargon spricht man von einer Verwässerung der Anteile. Wenn ein Altaktionär seinen Prozentanteil an dem Unternehmen halten will, muss er selbst neue Aktien nachkaufen. Das aber lohnt sich nur dann, wenn das Unternehmen durch das frische Geld gute Chancen hat, in absehbarer Zeit seinen Gewinn zu steigern.

Derzeit aber dient neues Kapital oft nicht dazu, Märkte zu erschließen, neue Produkte zu entwickeln oder Rivalen zu kaufen, was den Gewinn erhöhen könnte. Oft geht es um das nackte Überleben.

Grossinvestoren bevorzugt

Unternehmen mit Kapitalhunger

Aktionäre müssen daher gut abwägen, ob sie bei einer Kapitalerhöhung mitziehen, ob sie nur ihre alten Aktien behalten oder ob sie verkaufen. Altaktionäre haben gewöhnlich ein Bezugsrecht: Sie können so viele neue Aktien kaufen, dass sie ihren Anteil am Unternehmen konstant halten. Das kann sich lohnen: Neue HeidelbergCement-Aktien gab es für 37 Euro, an der Börse schloss die Aktie nach der Kapitalerhöhung mit 48,50 Euro. Der Immobilienverwalter Deutsche Wohnen bietet bis zum 7. Oktober neue Aktien für 4,50 Euro an, das ist ein Abschlag von mehr als 50 Prozent zum Börsenkurs vom vergangenen Dienstag, als das Unternehmen den Schritt ankündigte. Häufig werden Bezugsrechte separat an der Börse gehandelt. Wer nicht bei der Kapitalerhöhung mitziehen will, kann sein Bezugsrecht verkaufen und wird so für die Verwässerung des Gewinnanteils entschädigt.

Frisches Geld in Über-Nacht-Aktionen

Bei einigen der jüngsten Kapitalerhöhungen hatten Altaktionäre allerdings keine Möglichkeit, neue Aktien zu reservieren. Rheinmetall, Deutsche Euroshop, Air Berlin und Qiagen schlossen das Bezugsrecht aus und holten sich frisches Geld in Über-Nacht-Aktionen. Das ist möglich, wenn ein Unternehmen sein Kapital um weniger als zehn Prozent erhöht. „Wir wollten das sehr, sehr schnell machen — denken Sie an die Unsicherheit am Markt“, rechtfertigt Rheinmetall-Finanzchef Herbert Müller den Ausschluss des Bezugsrechts. Der Konzern habe seine neuen Aktien ohne hohen Rabatt schnell abgeben können. Rheinmetall gab die neuen Aktien zu 29 Euro aus, gut acht Prozent unter dem letzten Kurs vor Ankündigung der Kapitalerhöhung. Bei Bezugsrechtsemissionen mussten europäische Unternehmen seit März im Schnitt 50 Prozent Abschlag auf den Aktienkurs bieten, um ihre neue Aktien loszuwerden, meldet der Datenlieferant Mergermarket.

Bei Rheinmetall informierten die Investmentbanken allerdings vorab eine Handvoll große Investoren über den bevorstehenden Deal. Falls die abgewinkt hätten, hätte Rheinmetall die Notbremse ziehen müssen. Diese Sonderbehandlung von Großinvestoren verärgert Fondsmanager wie Hendrik Leber, Chef der bankunabhängigen Fondsgesellschaft Acatis. „Manche Aktionäre werden hier bevorzugt, das ist absolut nicht in Ordnung“, kritisiert Leber.

Deutsche Unternehmen sammeln Quelle: AP

Wie aber erkennen Anleger nun die Kapitalerhöhungen, die zu Kursrennern werden, so wie Infineon oder HeidelCement? Die wichtigste Frage, um aussichtsreiche Kandidaten von potenziellen Flops zu unterscheiden, ist: Wozu braucht das Unternehmen überhaupt das Geld?

„Entscheidend ist der genaue Grund für die Kapitalerhöhung“, sagt Fickel. Wenn ein Bittsteller kein überzeugendes Motiv nennen kann, liegt der Verdacht nahe: Das Management möchte den aus seiner Sicht hohen Aktienkurs ausnutzen, um günstig Kapital zu horten. Das ist legitim, aber schlecht für den Aktionär, denn er zahlt viel für die neuen Aktien. „Gerade wenn Kapitalerhöhungen gehäuft kommen, muss man vorsichtig sein“, warnt der Fondsmanager von Lupus Alpha.

Acht von zehn Kapitalerhöhungen waren schlecht für den Aktienkurs

Meist besser ist es, wenn ein Unternehmen Investitionen plant, die es auch schon genauer beschreiben kann. Neue Produkte zu entwickeln oder Märkte zu erschließen, das kann sich auch für den » » Anleger lohnen. Schon schwierigerwird es, wenn mit dem Geld Übernahmen finanziert werden sollen. Denn oft ist noch geheim, welche Firma geschluckt werden soll — der Aktionär muss also dem Management vertrauen, dass es nicht das falsche Ziel wählt oder zu viel bezahlt. Übernahmen gehören zur Strategie des Krankenhausbetreibers Rhön Klinikum. Der MDax-Konzern hat im August Geld reingeholt und muss jetzt möglichst rasch zeigen, dass er damit auch den Gewinn steigern kann, zum Beispiel durch lohnende und günstige Klinikkäufe.

Oft geht es um das nackte Überleben

Zu oft geht es aber gar nicht um Wachstumspläne – gerade in der Finanzkrise. Manche Unternehmen zapfen den Markt eher unfreiwillig an — auf Druck der Ratingagenturen. So wie Rheinmetall: Der Konzern produziert neben Panzern und elektronischen Waffensystemen vor allem Autoteile. Wegen der Krise der Autobranche drohte die Agentur Moody’s damit, den Konzern vom guten Investmentniveau auf Schrottstatus herabzustufen. „Wir haben uns entschlossen, eine Kapitalerhöhung ausschließlich aus Gründen des Ratingerhalts durchzuführen“, sagt Finanzchef Müller.

Für Aktionäre ist es die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub: Einerseits verwässert die Kapitalerhöhung ihren Anteil am Gewinn. Andererseits hätte eine einmal heruntergestufte Rheinmetall künftig deutlich höhere Zinsen zahlen müssen, was den Gewinn geschmälert hätte. Weitere Firmen dürften von den Agenturen an den Markt gedrängt werden.

Geplante Börsengänge

Braucht ein Unternehmen die Kapitalerhöhung für das nackte Überleben, ist es oft besser, mit Verlust zu verkaufen, als dem schlechten Geld auch noch gutes Geld nachzuwerfen. Infineon und HeidelCement zeigen jedoch, dass diese Grundregel nicht immer gilt. „In einer Krisenbranche, in der Wettbewerber verschwinden oder geschluckt werden, lohnt es sich, auf den stärksten Akteur zu setzen“, sagt Fondsmanager Leber.

„Die Konjunkturaussichten sind zwar grauenvoll. Aber Unternehmen, die jetzt bei den recht hohen Kursen vorsorgen und sich ein Kapitalpolster anschaffen, werden die Flaute überstehen“, erwartet Leber. „Überleben — das ist ein gutes Motiv für eine Kapitalerhöhung.“

Besonders hoch ist der Kapitalbedarf der Banken. Analysten der Citigroup schätzen, dass von 55 europäischen Banken, die sie beobachten, 13 bis Ende 2010 zu wenig Kapital haben werden, wenn sie frisches Geld aufsammeln. Strengere Regeln nach dem G20-Gipfel dürften den Druck dazu erhöhen. Zu den Kandidaten für Kapitalerhöhungen zählen sie auch die Deutsche Postbank und die Commerzbank. In Londoner Finanzkreisen gilt auch die Deutsche Bank als Kandidatin für eine Kapitalerhöhung — ebenso wie die HypoVereinsbank-Mutter UniCredit (siehe Tabelle rechts oben).

Börsenneulinge am Start

Typisch für eine sich ihrem Höhepunkt nähernde Hausse ist das Phänomen, dass kapitalsuchende Unternehmen im Kampf um das Geld der Anleger zunehmend mit neuen Wettbewerbern rechnen müssen. Nach 54 Prozent Plus im Dax seit März wagen sich die ersten Börsenkandidaten an die Öffentlichkeit (siehe Tabelle). Das chinesische Technologieunternehmen Vtion ist am 1. Oktober in den Handel gestartet.

Dicke Brocken 2010

Die 50 Millionen Euro, die Vtion eingesammelt hat, sind noch keine Konkurrenz für etablierte kapitalsuchende Firmen. Stärker ins Gewicht fallen dürfte der mehr als zehnmal so große Börsengang von Hochtief Concessions. Der Baukonzern hat bereits die Konsortialführer mandatiert, um die Infrastrukturbeteiligungen abzuspalten und noch im Herbst an die Börse zu bringen. Die Sparte Concessions umfasst Beteiligungen an den Flughäfen Hamburg, Düsseldorf und vier weiteren Airports sowie an Straßen und öffentlichen Gebäuden.

Die richtig dicken Brocken, die jeweils mehr als eine Milliarde Euro Kapital absaugen werden, stehen dann für 2010 an, unter ihnen der Chemiehändler Brenntag. Zusätzlich rollt eine Welle von Großemissionen von Unternehmensanleihen auf die Anleger zu. Allein bei HeidelbergCement werden in den kommenden zwei Jahren Anleihen über sechs Milliarden Euro fällig. Nicht nur HeidelbergCement ist noch längst nicht satt.

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