Russland Der ewige Putin

Noch bis März lenkt Wladimir Putin als Präsident die Geschicke Russlands. Danach braucht er ein neues Amt, um an der Macht zu bleiben. Als Ministerpräsident würde Putin - zumindest für eine Weile - weiter die Fäden in den Händen halten. Und politische Macht bedeutet in Russland immer auch etwas anders.

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Wladimir Putin will weiter in der russischen Politik mitmischen. Quelle: Reuters

MOSKAU. Wladimir Putin liebt Überraschungen. Die wohl größte für seine Bürger im alten Jahr war allerdings, dass er sich ausnahmsweise an das hielt, was er angekündigt hatte: Im Oktober hatte er auf einem Parteitag der Kremlpartei "Einiges Russland" erklärt, er könne sich vorstellen, nach dem Ende seiner zweiten Amtszeit als Präsident im März als zweiter Mann - als Ministerpräsident nämlich - weiterzumachen. Aber nur unter einem Präsidenten, mit dem er gut zusammenarbeiten könne.

Was wie eine politische Nebelkerze aussah, dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit Realität werden. Der Mann, auf den er damals vielleicht schon anspielte, heißt Dmitrij Medwedjew, ist Gazprom-Aufsichtsratschef, Vizepremier und neuerdings Namensgeber der Wodkamarke "Medwedjewka". Er war eine Weile aus den Medien verschwunden, doch zu der Riege der möglichen Kandidaten für Putins Nachfolge zählte er allemal. Dass nun beide das Land als eine Art Regierungsdoppel regieren wollen, mag in der Praxis schwer vorstellbar sein; Putin - der Mann, den das Magazin "Time" zur "Person des Jahres 2007" gewählt hat, noch vor dem Friedensnobelpreisträger und Klimaschutz-Helden Al Gore - hält derzeit aber wohl keinen anderen Weg für gangbar.

Als "nationaler Führer" wurde er gehandelt, als Politiker, der dank seiner moralischen Autorität - und natürlich seines Erfolgs bei den von ihm dominierten Parlamentswahlen - die Geschicke des Landes weiter bestimmen wird, auch ohne Amt. Ob er jemals ernsthaft diese Variante erwogen hat, wird wohl offenbleiben. Zum Schluss muss er zu der Erkenntnis gekommen sein, dass es trotz seiner persönlichen Autorität ohne das Instrument und den politischen Schutz eines Amtes nicht geht.

Politische Macht bedeutet in Russland immer auch wirtschaftliche: Schon seit einigen Monaten mehren sich die Anzeichen, dass hinter den Kremlmauern ein harter Kampf um Einfluss und Pfründe tobt. Die deutlichsten Signale waren die Verhaftung des stellvertretenden Finanzministers Sergej Stortschak nach Korruptionsvorwürfen sowie die Affäre um den Fondsmanager Oleg Schwarzman. Der hatte erklärt, mit dem Segen des Kremls eine "samtene Reprivatisierung" zu planen und über drei Mrd. Dollar im Auftrag des Chefs der Präsidialadministration Igor Setschin und anderer zu hüten. Das Dementi folgte prompt, doch das Rätselraten über diese Geschichte hält an.

Medwedjew ist als Apparatschik im Windschatten Putins groß geworden und verfügt offenbar nicht über eine starke Hausmacht; Beobachter in Moskau zweifeln an seiner Fähigkeit, sich im Haifischbecken hinter den Kremlmauern durchzusetzen. So dürfte klar sein, dass - zumindest für eine Weile - Putin auch als Ministerpräsident weiter die Fäden in den Händen halten würde. Immerhin: Putin hat Medwedjew in einem frühen Interview einmal als einen der drei Männer auf der Welt genannt, denen er vertraut. Der Umstand, dass der bisher so mächtige Staatschef als Regierungschef seinem politischen Ziehsohn Bericht erstatten müsste, scheint kein großes Problem darzustellen.

Doch obwohl Vertreter westlicher Regierungen die Kandidatur des als "liberal" geltenden Juristen Medwedjew begrüßen, werden in diplomatischen Kreisen hinter vorgehaltener Hand auch leise Zweifel an der künftigen politischen Stabilität des Landes geäußert. Im Falle eines Scheiterns des neuen Präsidenten könnte Putin als Ministerpräsident schnell und der Verfassung gemäß wieder auf den Chefsessel im Kreml rutschen. Legt Medwedjew aber einen guten Start hin, dürfte er früher oder später seine Machtfülle nach eigenen Vorstellungen nutzen wollen. Unvergessen ist, wie demütig einst Putin die Macht aus den Händen seines Vorgängers Boris Jelzin übernahm - und wie er sie später gegen das "System Jelzin" richtete, ohne diesen allerdings persönlich anzutasten.

Nicht nur ausländische Beobachter rätseln, wie das Duo an der Spitze des größten Flächenlandes der Erde auftreten und arbeiten wird. Wird der neue Präsident seinen Ministerpräsidenten - wie bisher üblich - vor laufenden Kameras einmal pro Woche in den Kreml bestellen und ihn maßregeln, wenn es bei der Regierungsarbeit hakt? "Vielleicht wissen Putin und Medwedjew schon ganz genau, wie sie ihre Macht aufteilen", schreibt die Boulevardzeitung "Moskowski Komsomolez", für alle anderen bleibe das aber ein Buch mit sieben Siegeln. Schon jetzt vermuten russische Kommentatoren, dass Putin als Premier den Kreml nicht verlassen wird, sondern dort sein Büro behält. Es dürfte ihm nicht zuzumuten sein, sich ins Auto zu setzen und sich vom Regierungssitz, dem "Weißen Haus", zum Kreml chauffieren zu lassen, wenn ihn Medwedjew sehen will.

Sicher ist: Die russische Öffentlichkeit wird weiterhin ihre Freude an Putin haben. Kein russischer Politiker versteht es wie er, seine Rolle zu inszenieren. Ein wenig Zarentum, garniert mit sowjetischem Großmachtgestus und russischem Machismo. Den "Muschik" hat er im Sommer nahezu legendär heraushängen lassen, als er sich auf einer Angeltour in Sibirien mit nacktem Oberkörper ablichten ließ.

In den beiden größten Städten des Landes, Moskau und St. Petersburg, machte sich angesichts der selbst für russische Verhältnisse überwältigenden Putin-Propaganda während des Duma-Wahlkampfs eine gewisse Ermüdung bemerkbar. Doch bei vielen Russen kommt der Stil nach wie vor gut an. Der schmale Anwalt Medwedjew wird es schwer haben, dem zu folgen - ihm hängt jetzt schon ein zweifelhafter Spitzname an: "Bärchen".

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