Sockelrente Rürup fordert Kurswechsel in der Rentenpolitik

Immer weniger Menschen in Deutschland sind ihr Leben lang vollbeschäftigt. Das macht sich bei den späteren Rentenzahlungen deutlich bemerkbar. Für viele Betroffenen bleibt dann nur die Grundsicherung. Der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Bert Rürup, fordert Konsequenzen.

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Bert Rürup: 'Etwa 660 Euro im Monat.' Quelle: dpa

BERLIN. Um die Ausbreitung von Altersarmut zu verhindern, plädiert der Wirtschaftsweise Bert Rürup für einen weitreichenden Kurswechsel in der Rentenpolitik: Geringverdiener und Arbeitslose, die lange in die gesetzlichen Kassen eingezahlt haben, sollten im Alter eine "steuerfinanzierte Sockelrente" erhalten, forderte Rürup im Gespräch mit dem Handelsblatt. Wer 35 Jahre mit vollen Beitragssätzen nachweise, dem müsse "eine Rente geringfügig über dem Niveau der Grundsicherung" von etwa 660 Euro im Monat garantiert werden. Niedrigere Rentenansprüche sollten auch dann aufgestockt werden, wenn ein Ruheständler über andere Einkünfte verfüge.

Mit seinem Vorstoß bringt Rürup, der die Rentenreformen des vergangenen Jahrzehnts geprägt hat, neue Bewegung in den Grundsatzstreit zwischen Befürwortern der beitragsfinanzierten Rente und den Anhängern eines Total-Umstiegs auf eine steuerfinanzierte Grundrente. Für die Bezieher höherer Renten bliebe es beim bisherigen System. Anders als derzeit würde der Staat jedoch unabhängig von der Bedürftigkeit eine gesetzliche Mindestversorgung garantieren. Diese Sockelrente orientiert sich am Beispiel Schwedens, wo 2003 eine Garantierente eingeführt wurde. Ähnliche Vorschläge hat der Arbeitnehmerflügel der CDU gemacht. Auch die Herzog-Kommission hatte eine Basisrente diskutiert, die 15 Prozent über der Sozialhilfe liegt.

Hintergrund dieser Überlegungen ist die tendenziell wachsende Zahl von Menschen, die durch eigene Beiträge nur Ansprüche auf Minirenten erwerben. Derzeit besitzt nach einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit noch deutlich mehr als die Hälfte der männlichen Langzeitarbeitslosen im Alter von 50 Jahren Rentenansprüche über dem Sozialhilfeniveau. Jüngere Jahrgänge wiesen wegen der unterbrochenen Erwerbsbiografien aber "größere Lücken in der Altersvorsorge" auf. In Zukunft verschärfe sich das Problem vor allem für Frauen und Ostdeutsche, so das IAB.

Laut Rürup benötigt ein Durchschnittsverdiener heute 25 Jahre, um einen monatlichen Rentenanspruch von 660 Euro zu erwerben. Dies entspricht etwa dem Sozialhilfe-Regelsatz für Alleinstehende plus Wohn- und Heizkosten. Bis 2030 steige die erforderliche Zahldauer durch die Rentenreformen auf 30 Jahre. Daraus, so Rürup, wachse für Geringverdiener und Teilzeitbeschäftigte der "Anreiz, sich der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Rentenversicherung zu entziehen". Schon jetzt gebe es 2,3 Millionen Solo-Selbstständige ohne Angestellte. Auch ohne Beitragszahlung haben die Betroffenen im Alter Anspruch auf die 2003 eingeführte Grundsicherung.

Derzeit leben rund 682 000 Männer und Frauen von dieser Leistung auf Sozialhilfeniveau. Eigenes Einkommen und auch etwaige Bezüge aus einem Riester-Vertrag werden bei der Grundsicherung voll angerechnet. Diese Konstruktion schrecke viele Geringverdiener ab, rechtzeitig zu sparen, moniert Rürup: "Wenn jemand damit rechnet, im Alter auf die Grundsicherung angewiesen zu sein, ist es individuell durchaus rational, nicht privat vorzusorgen." Dadurch aber steige die Gefahr der Altersarmut vor allem nach längeren Zeiten der Arbeitslosigkeit. Seit 2007 erhalten Hartz-IV-Empfänger für ein Jahr Bezug von Arbeitslosengeld II nämlich nur noch einen monatlichen Rentenanspruch von 2,19 Euro. "Das ist sehr gering", hatte kürzlich Herbert Rische, der Präsident der Deutschen Rentenversicherung moniert und die Koalition zum Handeln aufgefordert.

Mit der Sockelrente ließen sich gleich "drei Probleme gleichzeitig lösen", glaubt Rürup. So werde die Akzeptanz des gesetzlichen Rentensystems erhöht, weil langjährige Beitragszahlungen auf jeden Fall eine höhere Leistung als die Sozialhilfe begründen würden. Geringere eigene Ansprüche würden vom Staat entsprechend aufgestockt, sofern der Versicherte 35 Beitragsjahre nachweisen kann. Dadurch werde möglicher Altersarmut begegnet. Vor allem aber gewinne die private Vorsorge auch für Geringverdiener an Attraktivität, argumentiert Rürup: "Im Unterschied zur Grundsicherung würde bei der Sockelrente auf die Bedürftigkeitsprüfung verzichtet." Eine Riester-Rente bliebe also unangetastet.

Die Aufstockung müsse "ordnungspolitisch korrekt aus Steuermitteln finanziert werden", fordert der Chef des Sachverständigenrats. Die Kosten ließen sich noch nicht genau beziffern, aber: "Billiger für den öffentlichen Haushalt dürfte dieses Konzept wahrscheinlich nicht werden", räumt Rürup ein. Dies könne jedoch kein Argument sein, dem Exodus der Geringverdiener aus der gesetzlichen Rentenversicherung und den drohenden Versorgungsproblemen der Zukunft tatenlos zuzusehen.

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