Streitfall des Tages Rentner zahlen für Fehler der Finanzbeamten

Gutverdiener, die in Rente gehen, sollten ihren Steuerbescheid dringend prüfen lassen. Viele Finanzbeamte ignorieren trotz korrekter Anträge Steuervorteile. Wer keinen Einspruch erhebt, zahlt jahrelang zu viel.

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Der Fall

Tobias Schulz war 65, als die Steuerfalle für ihn beinahe zuschnappte. Als praktischer Arzt hatte er über Jahrzehnte stets zusätzlich zu den Höchstbeiträgen ins ärztliche Versorgungswerk eingezahlt. Jetzt bezieht er eine Rente von 3.000 Euro monatlich. Während 2.700 Euro davon durch Zahlungen bis zur Höchstbeitragsgrenze entstanden sind, stammen 300 Euro aus der Höherversicherung. Und weil Schulz vor 2004 länger als zehn Jahre über der Höchstgrenze eingezahlt hat, profitiert er von der so genannten Öffnungsklausel.

Danach unterliegen die 2.700 Euro zu 60 Prozent der Einkommenssteuer. Bei den 300 Euro ist hingegen lediglich der Ertragsanteil zu versteuern und das sind 18 Prozent. Schulz hatte das Splitting der Rente bei der Steuererklärung zwar korrekt beantragt. Doch laut Bescheid würde die gesamte Rente aus dem Ärzteversorgungswerk der Steuerpflicht von 60 Prozent unterliegen.

Der Arzt spart durch den Einspruch zwar anno 2010 nur wenige hundert Euro. Doch wer sich im ersten Jahr der Rente gegen einen solchen Bescheid nicht wehrt, hat später kaum Chancen, seine Ansprüche für bestandskräftige Steuerbescheide durchzusetzen. Wolfgang Wawro, Präsident des Steuerberaterverbandes Berlin-Brandenburg: „Obwohl das Finanzamt den Fehler macht, bekommt der Steuerpflichtige dann die zu viel gezahlte Steuer nicht mehr zurück.“

Die Relevanz

Vor allem Mitglieder der Freien Berufe sind in eigenständigen Versorgungswerken organisiert. Derzeit gibt es 86 Versorgungswerke mit mehr als 700.000 Mitgliedern. Für viele dieser Freiberufler ist es attraktiv, zusätzlich zum Höchstbeitrag Geld zu investieren. Denn diese Ausgaben können je nach Einkommen flexibel eingezahlt werden. Sie mindern seit 2005 zudem die Steuerlast.

Von der Öffnungsklausel profitieren alle, die bis 2004 mindesten zehn Jahre lang über den Höchstbeitrag hinaus Geld investiert haben. Dabei muss dieser Zeitraum nicht zusammenhängen. Unterbrechungen etwa auf Grund einer zwischenzeitlichen Anstellung, sind akzeptabel. Gehen solche Besserverdiener in Rente, heißt es, aufpassen! „Fehler kommen derzeit in den Bescheiden der Finanzämter trotz korrektem Antrag sehr häufig vor – und das bundesweit, “ sagt Steuerberater Wawro. 

Der Experte

Beharrlich betonen viele Finanzämter, dass 50 bis 60 Prozent der gesamten Rente steuerpflichtig seien. Wer im ersten Jahr der Rente gegen einen solchen Bescheid keinen Einspruch erhebt, kann zwar für seine künftige Rente noch die Steuerlast mindern. Er hat aber kaum Chancen ,seine Ansprüche für bereits bestandskräftige Steuerbescheide durchzusetzen.

Nur wenn aus anderen Gründen der Bescheid nicht bestandskräftig ist oder wenn er unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht, kann man nach §164 Abgabenordnung auch nachträglich das Rentenproblem geltend machen.

Fehler der Finanzbeamten: Wie sich Rentner wehren können

Die Rechtsgrundlage

Seit dem Jahr 2005 sind Renten nach dem Alterseinkünftegesetz zu versteuern. Das gilt für Altersrenten ebenso wie für Renten aus privaten Versicherungen und der betrieblichen Zusatzversorgung. Ein Schlupfloch ist die sogenannte Öffnungsklausel nach § 22 Nr. 1 S 3 bb EStG. Während der eine Anteil der Rente durch die Zahlung der gesetzlichen Höchstbeiträge entstand, speist sich ein weiterer Anteil durch die Höherversicherung, die über die gesetzlichen Höchstbeiträge hinausgeht.

Dieser weitere Anteil unterliegt jetzt der Öffnungsklausel. Das bedeutet: Bei der Besteuerung dieses Anteils wird der niedrige Ertragsanteil zugrunde gelegt. Der beträgt etwa bei einem Renteneintrittsalter von 65 Jahren anno 2010 nicht 60 sondern nur 18 Prozent Dazu muss beim zuständigen Finanzamt ein Antrag auf gesplittete Versteuerung der Rente gestellt werden - und zwar am besten im ersten Jahr des Rentenbezuges. Ein korrekter Antrag schließt eine Bestätigung des Rentenversicherungsträgers ein, um  die Jahre mit den höheren Beiträgen nachzuweisen.

Das Fazit

Wer über die Höchstbeiträge hinaus in Versorgungswerk oder in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat, sollten unbedingt im ersten Jahr der Rente das Splitting beantragen und gegebenenfalls Einspruch gegen den Steuerbescheid erheben.

Die Ratgeber

Deutscher Steuerberaterverband, bundesweite Steuerberatersuche: www.dstv.de.

Lohnsteuerhilfevereine, Suche nach Beratungsstellen in der Nähe: www.vdl-online.de.

Die Gegenseite

Das Bundesfinanzministerium sieht keinen Anlass, bei der Arbeit der Finanzämter etwas zu verbessern: „ Es ist nicht ersichtlich, dass und inwiefern über diese Antragsmöglichkeit und die Einspruchsmöglichkeit hinaus eine spezielle Verfahrensregelung erforderlich ist.“ Gegenüber Handelsblatt Online äußert sich das Schäuble-Ministerium folgendermaßen: „Im Rahmen der Steuerveranlagung ist es nicht unüblich, dass Sachverhalte, die die Steuerlast senken, durch den Steuerpflichtigen beantragt werden müssen. Bei dem Antrag auf Anwendung der Öffnungsklausel hat der Steuerpflichtige die für die Anwendung der Öffnungsklausel notwendigen Nachweise über das Vorliegen der Voraussetzungen beizufügen. Diese sind dem Finanzamt nicht bekannt.

Dem Finanzamt liegen für die gesamte Vergangenheit des Steuerpflichtigen nicht die Daten darüber vor, zugunsten welcher Versorgungseinrichtung der Steuerpflichtige welche Beiträge geleistet hat. Außerdem weiß das Finanzamt nicht, welcher Teil der ausgezahlten Rente auf den über dem Höchstbetrag beruhenden Beiträgen beruht. Ebenso kann das Finanzamt aus einer Rentenleistung nicht erkennen, wann die zugrunde liegenden Beiträge gezahlt wurden.

Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber für die Anwendung der Öffnungsklausel einen Antrag vorgesehen. Wird der Antrag nicht gestellt, kann auch die Öffnungsklausel nicht angewandt werden. Wird der Antrag gestellt und abgelehnt, ist ein Einspruch möglich. Der Steuerpflichtigen kann den Antrag auf Anwendung der Öffnungsklausel auch noch in einen späteren Veranlagungszeitraum für diesen Zeitraum und für die Zukunft beantragen. Die Frage, ob dies dann auch Auswirkungen für vorausgegangene Steuerbescheide hat, richtet sich nach den allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen.

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