Streitfall des Tages Wenn das Finanzamt Immobilienerben abkassiert

Erben von Immobilien müssen wachsam sein: Das Finanzamt bestimmt den Wert der Immobilien und damit die Höhe der Erbschaftssteuer. Häufig setzt der Fiskus den Wert viel zu hoch an. Wie sich Betroffene wehren können.

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Der Fall

Eine 50-Quadratmeter-Wohnung in einem gutbürgerlichen Viertel einer Großstadt. Laut Finanzamt ist sie 73.900 Euro wert. Laut Sachverständigen-Gutachten gerade mal 33.000 Euro.

Ein genauer Blick auf die Eigenheiten der Immobilie macht schnell klar, warum das so ist: Die Wohnung liegt im Erdgeschoss mit Blick auf die Straße. Sie hat kein Bad, die Toilette wird zur Diele hin belüftet. Geduscht wird in der Küche.

Das Finanzamt war jedoch von einem Quadratmeterpreis von 1600 Euro ausgegangen, einem Vergleichsfaktor aus einer Untersuchung mit 20.000 Kauffällen in dieser Region. Individuelle Faktoren wie Ausstattung oder baulicher Zustand blieben außen vor.

Der Experte

„Bei der Berechnung des Verkehrswerts geht das Finanzamt von Standards und Annahmen aus, die den Immobilienmarkt nicht abbilden“, kritisiert Bernhard Bischoff, der beim Bundesverband öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger e.V. (BVS) den Fachbereich Immobilienbewertung leitet.

Der Berechnung liegt ein starres Schema zugrunde. So beträgt der Liegenschaftszinssatz – ein Wert, der die Rendite beschreibt, der mit einem Grundstück zu erwirtschaften ist – bundesweit einheitlich fünf Prozent für Mietwohngrundstücke. „Dabei spielt es keine Rolle, ob das Grundstück in Schleswig-Holstein oder mitten in München liegt.“

Eine weitere Fehlerquelle stellt nach Einschätzung Bischoffs der Bodenrichtwert dar. Es ist ein durchschnittlicher Lagewert, der aus den Kaufpreisen von Grundstücken ermittelt wird. Zuständig für die Ermittlung sind die Gutachterausschüsse von Gemeinden und Landkreisen. Diese Gremien aus ehrenamtlicher Experten führen Kaufpreissammlungen und leiten daraus mindestens alle zwei Jahre einen Bodenrichtwert ab, den das Finanzamt übernimmt. Individuelle Eigenschaften eines Grundstücks kommen nicht zum Tragen. „Und in zwei Jahren“, gibt Bischoff zu bedenken, „kann sich am Immobilienmarkt viel verändern.“

Für das Finanzamt ist dieses standardisierte Verfahren am einfachsten, urteilt Bischoff. Auch wenn der angesetzte Verkehrswert dadurch mal zu hoch oder zu niedrig ausfällt – im Hinblick auf das Steueraufkommen dürfte sich das ausgleichen. Doch so unproblematisch stellt sich das aus Sicht der Erben nicht dar.

Wie Erben Steuern sparen

Rechtsgrundlage

Sollte der Verkehrswert vom Finanzamt zu hoch angesetzt sein, können Betroffene laut dem Bewertungsgesetz (§198 BewG) mit einem qualifizierten Sachverständigen-Gutachten dagegen angehen. In der Regel wird das von Finanzämtern akzeptiert.

Die Relevanz

Auffallend hoch ist die Fehlerquote bei der Ermittlung des Verkehrswerts einer Immobilie nach Einschätzung des BVS in Baden-Württemberg, Bayern und Sachsen. Als einen Grund nennt Bernhard Bischoff die Organisation der Gutachterausschüsse, die den Bodenrichtwert festlegen.

So hat in Baden-Württemberg jede kleine Gemeinde ihren eigenen Gutachterausschuss, Etwas mehr als tausend solcher Gremien finden sich im Land der Häuslebauer – und damit mehr als im ganzen restlichen Bundesgebiet. Dementsprechend gering ist die Datengrundlage, auf die die Berechnungen gründen.

Zum Vergleich: In Nordrhein-Westfalen sind Gutsachterausschüsse jeweils für einen Landkreis oder eine kreisfreie Stadt zuständig. Außerdem gibt es einen Oberen Gutachterausschuss, der einen Grundstücksmarktbericht für ganz Nordrhein-Westfalen erarbeitet und Daten von Objekten sammelt, die sonst nur vereinzelt auftreten. Diese Koordinationsstelle fehlt bislang in Baden-Württemberg, soll aber nach Auskunft des dortigen Finanzministeriums jetzt eingerichtet werden.

Die Gegenseite

Die Finanzverwaltungen der Länder sehen bei diesem Problem keinen Handlungsbedarf. „Die Wertermittlung führt in der überwiegenden Anzahl der Fälle zu zutreffenden Ergebnissen“, schreibt die Oberfinanzdirektion Rheinland in einer Stellungnahme, räumt jedoch ein: „Lediglich in Einzelfällen sind Über-, aber auch Unterbewertungen nicht ganz auszuschließen. So werden individuelle Baumängel oder Bauschäden in dem Massenverfahren nicht berücksichtigt.“

Auch das Finanzministerium Baden-Württemberg sieht in der Möglichkeit, dass Erben mit einem Gutachten einen niedrigeren Verkehrswert nachweisen können, eine befriedigende Lösung. Die hohe Zahl der Gutsachterausschüsse sei in Baden-Württemberg historisch bedingt. „Es liegen keine Erkenntnisse vor, dass deshalb die Ermittlung der Bodenrichtwerte im Land fehlerhaft wäre.“

Was Preisdaten kosten

Fazit

Steuerzahler können sich nicht darauf verlassen, dass der Fiskus bei der Wertermittlung einer Immobilie immer richtig liegt. Um eine grobe Einschätzung zu bekommen, ob der festgesetzte Verkehrswert der aktuellen Marktsituation entspricht, genügt zunächst ein Blick in den Immobilien-Teil der örtlichen Zeitungen oder ein Anruf bei einem Makler vor Ort.

Vereidigte Sachverständige bieten auch einen Beratungstermin an (Stundensatz etwa 100 Euro), bei dem schnell zu klären ist, ob sich ein Widerspruch lohnt. Wenn ja, muss ein Gutachten erstellt werden. Die Kosten sind abhängig vom Verkehrswert, betragen aber nach BVS-Richtlinie mindestens 750 Euro.

Bei einem Standard-Einfamilienhaus muss mit 1500 und 2000 Euro gerechnet werden. Feste Sätze gibt es allerdings nicht, die Honorare sind verhandelbar. Wenigstens ein kleines Trostpflaster gibt’s vom Staat für benachteiligte Erben: Die Kosten für das Gutachten lassen sich steuerlich geltend machen.

Nützliche Adressen

Adressen von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen sind bei den Industrie- und Handelskammern erhältlich. Eine bundesweite Datenbank zur Suche gibt es auch online: http://svv.ihk.de/content/home/home.ihk

Gutachter-Suche des Bundesverbands öffentlich bestellter und vereidigter sowie qualifizierter Sachverständiger e.V. (BVS): http://www.bvs-ev.de

Alle Teile der Serie "Streitfall des Tages": www.handelsblatt.com/streitfall

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