Verlegerin Kunstmann Der feine Unterschied

"Sichtbarkeit ist das wichtigste für kleine Verlage", sagt Antje Kunstmann. Der Verlegerin gelingt das mit einem ungewöhnlichen Angebot. Im Sommer bringt sie das Buch von Philipp Lahm heraus.

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Wie alles anfing: Nächte mit Bosch. Illustrationen von Michael Sowa, Antje Kunstmann Verlag Quelle: handelsblatt.com

Ein Buch von Philipp Lahm? Dem Kapitän der Fußballnationalmannschaft, dem FC-Bayern-Außenverteidiger? Im bibliophilen und gleichzeitig so gesellschaftsaufmerksamen Kunstmann-Verlag, der Bücher von Roberto Bolaño, Pierre Bayard, Fay Weldon, Noam Chomsky und Hermann Scheer im Programm hat? "Ja, der Titel erscheint Ende August mit einer Startauflage von 100.000", sagt Antje Kunstmann.

"Der feine Unterschied" soll das Buch heißen, Untertitel "Wie man heute Spitzenfußballer wird". "Mich hat das Konzept für dieses Buch, das keine Biografie werden sollte, überzeugt", erklärt die Verlegerin bei Zigarette und Cappuccino in ihrem Münchener Büro.

Antje Kunstmann weiß genau, was sie will. Sie ist lange im Geschäft, macht Verbandsarbeit im Verlegerausschuss des Börsenvereins des deutschen Buchhandels und führt den Verlag, der seit 1990 ihren Namen trägt, mit sicherer Hand. 40 bis 50 neue Bücher pro Jahr, inklusive Hörbücher, ein Stab von elf Mitarbeitern, in diesem Jahr voraussichtlich ein Umsatz von vier Millionen Euro - das sind die richtigen Dimensionen für sie.

Dass sie als Verlegerin - als Frau und Führungskraft - eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Buchlandschaft ist, kümmert sie wenig. "Warum sollte es in dieser Branche anders sein als in anderen?" antwortet sie lapidar. Humor verpflichtet - schließlich verlegt sie auch F.K. Waechter, Chlodwig Poth und Marie Marcks. Und überhaupt: "Ich habe meinen Traumberuf."

Einen Ausbau plant sie nicht. "Der Verlag hat eine gute Größe", sagt sie, "wenn man mit Inhalten handelt, ist Wachstum an sich nicht das endgültige Kriterium." Sie sieht jedes Buch, das der Verlag macht, hat fast alle der mittlerweile rund 400 lieferbaren Titel ganz gelesen und lektoriert oft selbst.

Ihre Mannschaft, die mit ihr in der Maxvorstadt in hellen, großen Räumen sitzt, in denen früher mal eine Eckkneipe war, führt sie nicht von oben, das spürt man. Sehr kollegial gehe es zu, viele seien schon lange dabei, erzählt sie selbst, aber auch, dass sie natürlich die letzte Entscheidung treffe.

Die Wahl der Bücher muss stimmen, sonst kann ein kleiner Verlag schlecht überleben. Die Konkurrenz der großen Häuser hat im vergangenen Jahr zu immer mehr Konzentration in der Buchbranche geführt. "Das Schlimmste für einen Verlag ist, wenn die Bücher nicht sichtbar sind, wenn sie in den Buchhandlungen nicht auf den Tischen liegen", sagt Antje Kunstmann. Ab Herbst erscheinen außerdem alle Neuerscheinungen und die wichtigsten Backlist-Titel auch als E-Book.

Sie habe immer ein ganz gutes Gespür für Bücher gehabt, sagt sie. Ein Sechser im Lotto war der "Kleine Erziehungsberater" des Journalisten Axel Hacke, den sie insgesamt in allen Ausgaben rund eine Million Mal verkaufte. Die Initialzündung ging von ihr aus: "Ich habe Axel Hacke bei unserer ersten Begegnung gefragt, ob er nicht Geschichten schreiben wolle. Mir war aufgefallen, dass seine Reportagen eine sehr besondere, erzählerische Qualität hatten." Sein erstes Kunstmann-Buch, "Nächte mit Bosch", wurde gerade im Frühjahrsprogramm neu aufgelegt, "ein Buch, das sich auch nach zwanzig Jahren unglaublich ,frisch' liest", schwärmt sie.

Ihr derzeitiger Favorit ist der Ire Paul Murray, dessen Roman "Skippy stirbt" in Großbritannien gerade verfilmt wird. "Er hat einen beeindruckenden Erzählkosmos und eine großartige Sprache. Von ihm wird man noch viel hören, da bin ich ganz sicher", sagt sie. So wie von "ihrer" Entdeckung Kristof Magnusson, dessen Finanzkrisen-Roman "Das war ich nicht" vor einem Jahr ganz überraschend die Bestsellerlisten stürmte.

Magnusson habe sich bei seinem Buch von der unglaublichen Geschichte des französischen Betrügers Jérôme Kerviel inspirieren lassen, der Milliarden verzockte, erzählt sie. Als ein französischer Verlag auf der Buchmesse im Herbst dann Hugues Le Brets Insiderbericht über Kerviel und die Société Générale anbot, griff sie schnell zu.

"Im Sachbuchprogramm erscheinen Bücher zu gesellschaftlich brisanten Themen", sagt sie nüchtern auf die Frage, warum sie immer mehr Wirtschaftstitel anbietet. Und zitiert Hermann Scheer, dessen letztes Buch "Der energethische Imperativ" sie kurz vor seinem Tod im Herbst herausbrachte: "Die Befreiung zum politischen Denken beginnt mit der Erkenntnis, dass Politik das Lebenselixier der Gesellschaft ist und der Sinn des Lebens nicht nur im Privaten liegt, sondern auch in politischer Mitwirkung, in welcher Form auch immer."

Das gilt für Politik wie für Wirtschaft. Für sie bestehe diese Mitwirkung in den Büchern, die bei ihr erschienen. Die Augen leuchten bei solchen Sätzen - mehr als 30 Jahre im Job haben das Engagement der Antje Kunstmann nicht verwässert.Das Buch von Philipp Lahm hat seine eigene Geschichte. "Roman Grill, sein Berater, ist auf uns zugekommen. Der Kapitän der Nationalmannschaft erzählt, wie man heute zum Spitzenfußballer wird und welche Herausforderungen das beinhaltet: Wie geht man mit Öffentlichkeit um, was bedeutet Verantwortung? Das sind interessante Themen, und er erzählt sehr lebendig." Ein Problem der Sichtbarkeit wird dieser Titel wohl nicht haben.

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