Web 2.0 Wir schalten um - zur Werbung

Jeder Nutzer einer Web-2.0-Seite hinterlässt eine breite Datenspur über sich und seine Freunde. Die sollen künftig penibel ausgewertet werden und passgenaue Werbung nach Alter, Wohnort, Vorlieben ermöglichen. Doch wenn der Aufbruch in den Werbemarkt misslingt, droht der New Economy die Bubble 2.0.

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Web 2.0 am Scheideweg: Gelingt der Schritt in den Werbemarkt? Quelle: Wirtschaftswoche

DÜSSELDORF. Top oder Flop? Für Marc Bell ist die Sache klar. "Hier ist das Geld", konstatierte der Chef der Penthouse Media Group zur Begründung, warum er Ende Dezember noch für 500 Mill. Dollar die kalifornische Various übernommen hatte. Das ist der Betreiber von Adultfriendfinder.com, einem digitalen Swinger-Paradies für Erwachsene, mit 18 Millionen registrierten Nutzern die weltgrößte sexorientierte Social-Networking-Seite. Ein Beispiel der Kontaktpflege der anderen Art im "Mitmach-Web 2.0" und der Beleg, dass "Social Networking" der heißeste Trend seit Erfindung des Hyperlinks ist.

Der Erfolg von Gemeinschaften wie Adultfriendfinder oder dem Superstar der 2.0-Szene, Facebook, ist leicht erklärt: Sie vereinen die beiden größten Strömungen im Internet: vom Nutzer gestalteten Inhalt oder "user generated content" - bekanntestes Beispiel ist Youtube - und den Wunsch nach Kommunikation und Selbstdarstellung (Networking). In persönlichen Webauftritten finden sich private Fotos, kitschige Bildchen, werden Videos präsentiert und Kommentare hinterlassen. "Social Networks sind ein Massenphänomen", bestätigt Analystin Amanda Lenhart vom PEW Internet & American Life Project. Über 55 Prozent der US-Teenager zwischen 12 und 17 nutzen bereits eine Online-Networking-Seite, belegen Studien. Zahlreiche Investoren haben sich teuer in solche Plattformen eingekauft. War 2006 das Jahr von Google, als der Internetkonzern das Videoportal Youtube für 1,6 Mrd. Dollar kaufte, gehörte 2007 Microsoft mit dem Kauf von 1,6 Prozent an Facebook für 240 Mill. Dollar.

Dagegen nimmt sich der Penthouse-Deal fast wie ein Schnäppchen aus. Aber das ist längst nicht klar. Die Web-2.0-Plattformen kämpfen notorisch mit roten Zahlen. Und weil niemand weiß, wo die Gewinne herkommen sollen, haben sich alle für Werbung und E-Commerce als Königsweg entschieden. Online-Marktforscher wie Emarketer.com sehen das Werbevolumen im Social Networking schon von aktuell einer Mrd. Dollar bis 2011 auf vier Mrd. Dollar steigen.

Kritiker wie der Web-Unternehmer und Star-Blogger Jason Calacanis schütteln da nur den Kopf. "Social Commerce" - also kommerzielle Werbung auf Social-Networking-Seiten - sei "der heilige Gral des E-Commerce, eine Illusion, der alle nachjagen, und niemand traut sich zu sagen, dass der Kaiser gar keine Kleider anhat", spottete er auf einer Podiumsdiskussion über die Ambitionen, Empfehlungswerbung ("XY hat das und das gekauft") unter Freunden zu betreiben. Sein Argument: Während Besucher bei Web-Suchmaschinen aktiv auf der Suche sind - und damit für Werbung empfänglich -, wollen Networker nur eine gute Zeit haben. Werbung stört. Stimmt das, stehen Milliardeninvestitionen auf der Kippe, die New-Economy-Bubble 2.0 wird Realität.

Lorenz Bogaert, Mitgründer und Chef der Teenager-Community Netlog, mit über 29 Millionen Mitgliedern in Europa mit führend, widerspricht entsprechend heftig. Netlog sei "profitabel", und wer, wie Netlog, mit vier Milliarden Page-Views im Monat kein Geld verdiene, der habe irgendwo anders im Geschäftsmodell einen Fehler. Die Nutzer erwarteten, dass das Internet kostenlos sei, und akzeptierten dafür Werbung - wenn sie gut ist.

Wie soll das gehen? Das Zauberwort heißt personalisierte Werbung. Jeder Nutzer einer Web-2.0-Seite hinterlässt eine breite Datenspur über sich und seine Freunde. Die sollen ab 2008 penibel ausgewertet werden und passgenaue Werbung nach Alter, Wohnort, Vorlieben ermöglichen.

Doch ein erster Vorstoß von Facebook in die Privatsphäre seiner Nutzer Anfang November endete im Desaster: Facebook protokollierte das Kaufverhalten auch außerhalb des eigenen Netzes und verteilte die Neuigkeiten an alle Freunde eines Nutzers, egal ob er eine Kinokarte gekauft hatte oder das Buch "Leben mit Aids". Wer das nicht wollte, musste es jedes Mal einzeln ablehnen. Nach massiven Protesten räumte Facebook-Gründer Mark Zuckerberg in seinem Blog Fehler ein. Heute lässt sich diese Funktion komplett abschalten. Forrester-Analystin Charlene Li warnte: "Facebook ist dabei, die Grenze zu Big Brother zu überschreiten."

Wovor Netlog-Chef Bogaert dringend warnt: "Der Kunde erwartet einfach, dass er die Wahl hat, dann willigt er meistens auch ein." Werden Basisregeln eingehalten, hat er keinerlei Zweifel, dass Werbung auf Social-Networking-Plattformen eine große Zukunft hat. Aber das heißt noch lange nicht, dass auch alle überleben werden.

Im Gegenteil: 2008 wird auch der Beginn eines erbarmungslosen Stellvertreterkrieges zwischen den Giganten Facebook (im Rücken Hunderte Millionen garantierte Werbegelder von Microsoft) und Myspace (im Rücken 900 Mill. Dollar garantierte Werbeeinnahmen auf drei Jahre von Google) sein. Auslöser war die Öffnung Facebooks für außenstehende Programmierer, die prompt Tausende Applikationen und Werbeprogramme geschrieben und so die Nutzerzahlen des einsamen Marktführers weiter dramatisch in die Höhe getrieben haben. Das wird mittlerweile sogar für Google gefährlich, und der Werberiese musste reagieren. Er startete "Open Social", eine Programmierschnittstelle, die ab 2008 alle anderen - vor Facebook zitternden - Netzwerke von Myspace über Xing bis zu Googles eigenem "Orkut.com" verbinden soll - sozusagen eine Phalanx gegen Facebook/Microsoft.

Noch ist es zu früh, über einen Gewinner zu spekulieren. Der Kampf hat noch gar nicht begonnen. Aber am Ende wird einer von beiden Blöcken auf der Strecke bleiben, mit den entsprechenden Folgen. Das muss noch nicht 2008 sein. Könnte es aber.

Der Weg zum internetfähigen Manager

Blamage: 2007 machten sich etliche deutsche Führungskräfte lächerlich in Sachen Internet. So freute sich Wirtschafts- und Technologie-Minister Michael Glos freimütig: "Ich habe Gott sei Dank Leute, die für mich das Internet bedienen." Evonik-Chef Werner Müller bekannte, er habe keinen Computer. Beide wären wohl in den USA medial gesteinigt worden ob ihrer Fortschrittsignoranz. Doch so mancher Entscheider fühlt sich in Sachen Internet eben wie Bill Murray in dem Film "Lost in Translation": als Fremder in einem Land mit unverständlichen Sprachen und Sitten. Was tun? Hier eine Liste guter Vorsätze für das Jahr 2008, die aus Ihnen einen Manager 2.0 machen.

iPhonen: Das iPhone ist sicher nicht das beste Handy aller Zeiten, und es hat viele Fehler. Doch die Eleganz und Leichtigkeit seiner Bedienung verführen selbst Technik-Hasser zu Erkundungen. Und dann will man Google Maps und andere Funktionen auf keinen Fall mehr missen .

Netzwerken: "Manager müssen nicht bei Facebook aktiv sein. Sie müssen aber wissen, warum Facebook so erfolgreich ist", sagt Web-Vordenker David Weinberger. Trauen Sie sich also einfach: Selbst unter gefälschtem Namen lohnt sich der Blick in das von Mark Zuckerberg gegründete Netzwerk, um zu erkennen, dass Datenschutz und Offenheit sich durchaus vereinen lassen. Für das Geschäftsleben ist die Mitgliedschaft bei Xing ebenfalls praktisch - sie ersetzt die Aktualisierung des Visitenkartenkastens.

Einfach machen: Das Web braucht keine Strategiemeetings und Monate der Vorbereitung: Wichtiger ist eine gute Idee, Schlichtheit siegt. Zum Beispiel beim Start-up Dopplr, mit dem sich im Handumdrehen Reisen koordinieren lassen.

Zuhören: Es gibt Firmen, die Zehntausende Euro ausgeben, um die Weblog-Szene von einem Dienstleister überwachen zu lassen. Die Alternative: Rivva.de listet die in Deutschland am meisten diskutierten Themen auf, Techmeme tut dies für die USA. Wer sich die Muße nimmt und eine Stunde lang Blogs liest, wird das Vorurteil von dilettierenden Hobbyautoren beiseiteräumen.

Mitschreiben: Was in Wikipedia steht, ist falsch? Wer das glaubt, sollte die Diskussionen im Hintergrund verfolgen, die bei jedem Artikel des Web-Lexikons verlinkt sind. Und er sollte sein Wissen einsetzen, um mitzuschreiben. Dann erkennt er: Hier ist es schwerer, die eigene Meinung durchzusetzen, als gegenüber dem Vorstandsassistenten.

Selber machen: Nach diesen ersten Schritten wird es Zeit, selbst kreativ zu werden. Eröffnen Sie ein Blog, machen Sie live Fernsehen bei Mogulus.com, produzieren Sie einen Podcast. Schwierig ist das alles nicht. Und Ihre Kollegen werden überrascht sein über die Führungskraft 2.0.

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