Zinswetten der Deutschen Bank BGH revolutioniert Derivategeschäfte der Banken

Der Bundesgerichtshof hat die Deutsche Bank wegen hochkomplexer Zinswetten zu 540.000 Euro Schadensersatz verurteilt - und eine Revolution der Finanzbranche ausgelöst: Die Institute müssen nun viel umfangreicher beraten.

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Deutsche-Bank-Tower in Frankfurt: Die Bank muss zukünftig auf ihre Interessenkonflikte hinweisen. Quelle: handelsblatt.com

Das größte deutsche Geldhaus hat verloren, der kleine Mittelständler hat gewonnen: Der Bundesgerichtshof hat der Ille GmbH, einem Hersteller von Handtuchhaltern und Hygieneartikeln aus Hessen, in ihrem Streit mit der Deutschen Bank um hochkomplexe Zinswetten Recht gegeben und das Frankfurter Geldhaus zu Schadensersatz von 540.000 Euro verurteilt.

Das Urteil geht allerdings weit über den Streit hinaus: Banken müssen in Zukunft Kunden nicht nur genauer über die Chancen und Risiken von komplexen Derivaten, sondern auch über ihre eigenen Interessenkonflikte in den Geschäften aufklären. "Das ist der Todesstoß für derartige Finanzprodukte" kommentierte Jochen Weck, der Anwalt der Ille GmbH das Urteil. "Wenn die Bank Produkte zulasten des Kunden strukturiert und ihre Chancen daraus dann am Markt weiterverkauft, muss sie ihm das künftig auch sagen. Es ist fraglich, ob die Kunden solche Wetten dann noch kaufen wollen."

Das sehen auch Verbraucherschützer so: "Wenn die Banken den Kunden künftig offen sagen müssen, dass sie beim empfohlenen Produkt in jedem Fall gewinnen und außerdem die Risikostruktur klar und verständlich erläutern müssen, dürfte der Vertrieb bestimmter hochkomplexer Derivategeschäfte künftig eigentlich nur noch schwer möglich sein", meint Dorothea Mohn vom Verbraucherzentrale Bundesverband.

Der Anwalt der Deutschen Bank sieht das skeptischer: Die Deutsche Bank werde nun sorgfältig prüfen, inwieweit künftig "mit Blick auf den Faktor Risiko der Umfang der Beratung erweitert wird", sagte Christian Duve. Dutzende Mittelständler und Kommunen haben wie die Ille GmbH Zinswetten mit der Deutschen Bank, JPMorgan, Commerzbank und HypoVereinsbank abgeschlossen und könnten sich nun ermutigt fühlen, ebenfalls zu klagen.

Weck rechnet mit Forderungen in Höhe von insgesamt rund einer Milliarde Euro gegen die Banken. Allein das streitige Produkt im vorliegenden Fall sei 700 Mal verkauft worden.

Duve erklärte nach dem Urteil dagegen, eine Klageflut sei nicht mehr zu erwarten. Beim BGH seien acht, bei unteren Instanzen 17 Verfahren anhängig. Der Streitwert sei "sehr begrenzt", man habe ausreichend Rückstellungen gebildet.

Mit dem Urteil erleidet die Bank einen empfindlichen Imageverlust, der weit darüber hinausgehen dürfte. In der ersten Verhandlungsrunde vor dem BGH hatte der Anwalt der Deutschen Bank den Richter noch gewarnt, dass ein negatives Urteil eine "zweite Finanzkrise" auslösen könnte.

Die Ille GmbH hatte von der Deutschen Bank im Jahr 2005 einen sogenannten Spread-Ladder-Swap gekauft, eine Wette auf die Differenz zwischen langfristigen und kurzfristigen Zinsen. Die Wette ging schief, der Mittelständler verlor eine halbe Million Euro - nun bekommt er sein Geld zurück.

Spread Ladder Swaps sind hochkomplexe Finanzderivate, die die Deutsche Bank, aber auch andere Institute bis zum Ausbruch der Finanzkrise intensiv an ihre Kunden verkauften. Im Kern sind es keine normalen Swaps, bei denen Bank und Kunde lang- und kurzfristige Zinszahlungen gegeneinander austauschen, sondern Wetten auf die Differenz zwischen verschiedenen Zinssätzen. Entwickelten sich die Zinsen in die vom Kunden gewünschte Richtung, machte dieser Gewinn. Andernfalls zahlte er drauf - so wie Ille und die meisten anderen Käufer.

Die Bank hätte ihre Interessenkonflikte offenlegen müssen

Der BGH urteilte nun: Die Deutsche Bank hat beim Verkauf ihre Beratungspflicht verletzt. Eine Bank müsse bei der Anlageberatung die Risikobereitschaft des Anlegers erfragen - es sei denn, diese sei ihr aus einer langjährigen Geschäftsbeziehung bereits bekannt, begründete das Gericht seine Entscheidung.

Nur weil die Geschäftspartnerin der Deutschen Bank bei der Ille GmbH eine Diplom-Volkswirtin war, heiße das nicht, dass sie die spezifischen Risiken der Wette verstanden haben müsse. Dem Kunden müsse in verständlicher und nicht verharmlosender Art und Weise klar vor Augen geführt werden, dass das Verlustrisiko für ihn nicht nur "theoretisch" sei - sondern real und ruinös sein kann.

Der Kunde müsse "im Hinblick auf das Risiko des Geschäfts im Wesentlichen den gleichen Kenntnis- und Wissensstand wie die Bank" erreichen - das muss die Bank künftig sicherstellen. Mit dem Urteil schafft der BGH also faktisch Waffengleichheit zwischen Banken und ihren Kunden bei komplizierten Geschäften.

Die weitere Begründung der Richter hat weitreichende Wirkung: Die Bank habe ihre Beratungspflicht schon dadurch verletzt, dass sie die Ille GmbH nicht darüber aufklärte, dass die Zinswette zum Abschlusszeitpunkt für die Klägerin einen negativen Marktwert des Vertrages in Höhe von ca. vier Prozent der Bezugssumme (ca. 80.000 Euro) hatte - Kosten, Risiko und Gewinn der Bank waren schon von Anfang an zu seinen Lasten eingepreist. Außerdem habe die Bank ihre Gewinnchancen aus den Swaps gleich am Kapitalmarkt weiterverkauft und ging so anders als die Ille GmbH kein Risiko ein.

Der von der Bank bewusst strukturierte negative Marktwert sei Ausdruck eines "schwerwiegenden Interessenkonfliktes", meinten die Richter: Als Beraterin sei sie verpflichtet, die Interessen der Klägerin zu wahren, urteilte das Gericht. Die Bank sei grundsätzlich nicht verpflichtet, darüber aufzuklären, dass sie mit ihren Produkten Gewinne erzielt - ihre Kosten und Marge muss sie also nicht immer offenlegen.

Sie müsse aber dann über den negativen Marktwert aufklären, wenn sie - wie im Fall der Ille GmbH - die "Risikostruktur des Anlagegeschäfts bewusst zu Lasten des Anlegers gestaltet hat, um unmittelbar im Zusammenhang mit dem Abschluss des Vertrages das Risiko gewinnbringend verkaufen zu können".

"Einem Eskimo einen Kühlschrank verkaufen"

Das Urteil hält Bankenexperte Hans-Peter Burghof von der Uni Hohenheim für richtig, die Begründung allerdings für schwach: "Das Produkt an sich war nicht unlauter: Viele Finanzprodukte haben einen negativen Marktwert, weil der Bank Kosten für Strukturierung und Vertrieb entstehen - jedem sollte klar sein, dass die Bank mit ihrem Produkt Geld verdienen will".

Fraglich sei nur, an welche Kunden die Bank es verkauft hat und ob es für sie wirklich Sinn machte: "An der Struktur dieser Swaps ist besonders auffällig, dass die Bank ihre Kunden mit neuen Risiken belastete, mit denen sie eigentlich nichts zu tun hatten. Es scheint, als hätte man hier erfolgreich versucht, einem Eskimo einen Kühlschrank zu verkaufen."

Bei den Swaps fällt auf: Normalerweise versuchen Mittelständler mit Zinstauschgeschäften variable Zinsen bei der Bank gegen feste Zinszahlungen eintauschen - so sichern sie sich gegen das Zinsänderungsrisiko ab.

Bei den Spread-Ladder-Swaps ist es jedoch genau anders herum: Die Ille GmbH bekam feste Zinszahlungen von der Bank und musste dafür im Gegenzug für die Deutsche Bank das Zinsänderungsrisiko tragen, indem sie variable Zinsen zahlte.

Die Bank sicherte sich beim Kunden ab - nicht andersherum

Alles deutet darauf hin, dass die Bank die Geschäfte nutzen wollte, um sich beim Kunden abzusichern - und nicht ihren Kunden gegen Änderungen zu schützen. Denn die Bank verkaufte die Produkte 2005 mit dem Argument, dass der Abstand zwischen kurzfristigen und langfristigen Zinsen gleich bleiben oder nur geringfügig sinken werde - ihre Kunden also feste Zinsen einstreichen und nur wenig an die Bank zahlen würden müssen. Das belegen Präsentationsunterlagen der Deutschen Bank, die dem Handelsblatt vorliegen.

Interessanterweise ging diese Rechnung ausgerechnet 2005, als die Bank das Produkt verkaufte, schnell für die Kunden verloren: In den USA und in Europa gingen die Zinsen in diesem Jahr durch die Decke - das bedeutete fallende Zinsabstände und Verluste für die Ille GmbH. Die Zinsen vorhersagen konnte auch die Deutsche Bank nicht - hatte als professionelle Kapitalmarktteilnehmerin wohl aber eine ungleich bessere Einschätzung als Kommunalmanager und hessische Mittelständler.

Außerdem hat die Bank ihre Wettchancen in vielen Fällen durch einen Trick erhöht: Sie hatte das Recht, das Tauschgeschäft nach einem Jahr vorzeitig zu beenden - ihre Kunden nicht. Entwickelte sich die Wette für die Bank nicht in die richtige Richtung, durfte die Bank also kündigen - Kunden wie die Ille GmbH mussten dagegen über Jahre stillhalten und den Versicherer für die Bank spielen. Auf das theoretisch unbegrenzte Verlustrisiko hat die Bank allerdings hingewiesen.

Jemand der so ein Produkt kauft, ist ein Zocker. Wahr ist aber auch: Eine Bank, die ein solches Produkt verkauft, hat mehr ihren eigenen Vorteil statt den des Kunden im Blick. Diese Erkenntnis dürfte aus dem Prozess hängenbleiben.

Burghof meint dazu: "Die Banken müssen einen Weg finden, klarer zu vermitteln, dass sie dem Kunden nutzen und nicht nur sich selbst. Und die Kunden werden sich stärker überlegen müssen, zu welcher Bank sie in Zukunft gehen - und ob sie nicht lieber auf bezahlte, aber dafür unabhängige Beratung setzen sollten."

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