Die Frauenversteherin Warum Frauen jetzt wissen, was sie wollen

Sexualität ist inzwischen Alltag. Und ein alltägliches Geschäft. Nachdem die Branche über Jahrzehnte die Zielgruppe Frau gar nicht angesprochen hat, trifft nunmehr das Gegenteil zu: Weiblichkeit gibt den Ton an.

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Die Autorin ist Gründerin der Business-Lifestyle-Plattform „EDITION F“.

Vor etwa einem Jahr saßen meine Mitgründerin Susann und ich mit 30 Frauen aus der Startup-Szene beim Dinner zusammen. Es ging um Finanzierungsrunden, Businessmodelle und Vibratoren.

Klingt ungewöhnlich, fühlte sich aber natürlich an. Verena Pausder, selbst Startup-Gründerin und Gastgeberin an dem Abend, hatte Lea zum Impulsvortrag gebeten. Gemeinsam mit ihrem Mitgründer Sebastian Pollok hatte Lea-Sophie Cramer Ende 2012 Amorelie gegründet. Einen Online-Sexshop, der letztlich Anfang 2013 startete und sich vor allem an Frauen richtet.

Klar hatte ich die Jahre davor schon mal von Vibratoren-Party gehört, klar gab es offene Gespräche mit Freundinnen und klar kannte ich den Hype um den Erfolg von „Fifty Shades of Grey“, als sich in den USA Gleitgels, Handschellen und Peitschen plötzlich neben Windeln und Deos in den Regalen von Discountern wie Target stapelten.

Lea, die ich mittlerweile ganz gut kenne, schien schon damals komplett schmerzlos bei dem Thema. Sie berichtete von Investoren-Pitches und schien dabei so seltsam natürlich und so wenig sexuell, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Kein Wunder. Weil Sex auf einmal alltäglich wird. Komisch wäre wahrscheinlich eher, wenn man nicht darüber spricht. Innerhalb kurzer Zeit haben Lea und Sebastian mit Amorelie eine Lifestyle-Marke geschaffen, 60 Prozent der Kunden, die in ihrem Online-Sexshop einkaufen, sind Frauen ab Ende 20 erzählte sie damals.

Bei dem Release der Bücher war das Startup noch nicht online, aber je näher der Filmstart von „Fifty Shades of Grey“ rückte, umso höher sei die Nachfrage bei den Produkten rund um das Thema Bondage und somit auch der Umsatz gewesen, heißt es von dem Unternehmen. „Das Buch und der Film scheinen das Thema Sex und sexuelle Fantasien ein Stück beziehungs- und gesellschaftsfähiger gemacht“, sagte mir Lea gerade im Gespräch.


Ein Stück Selbstbestimmung schenken

Die neuen Produkte sind dabei nicht einfach nur Sexspielzeug, sondern Designobjekte. Sogar Vibratoren als Ketten gibt es im Sortiment. Lea hat erkannt, was eigentlich auf der Hand lag: Frauen wurden bisher mit ihren Interessen von der Erotikindustrie kaum wahrgenommen. Ein Milliardenmarkt der quasi brach lag. Und ein fataler Denkfehler: 100 Millionen Frauen haben „Fifty Shades of Grey“ als Buch verschlungen.

Die Erotikindustrie hat die Augen vor diesem Bedürfnis verschlossen. Sex, eher Männersache.

Beate Uhse, war eine der einflussreichsten deutschen Frauen, sie ist eine Art Wegbereiterin gewesen zu einer offeneren und freieren Gesellschaft. Und doch hat sie etwas zentrales nicht wirklich gemacht. Sie hat Frauen als Zielgruppe kaum in den Fokus ihres Business' gesteckt. 1962 eröffnete Uhse in Flensburg den ersten Sexshop der Welt, ein „Fachgeschäft für Ehehygiene“. Sie berechnete die unfruchtbaren Tage für ihre Nachbarinnen, verkaufte Kondome. Sie schenkte Frauen damit Selbstbestimmung. Bis Mitte der 60er- Jahre hatte die Firma fünf Millionen Kunden. Doch eigentlich sah alles aus, wie gemacht für den Männerpornotraum.

Frauen wollen sich nicht durch enge Erotikshops mit Videokabinen schieben. Und so galt Amorelie für den Branchen-Primus von einst, Beate Uhse, fast so ein bisschen als Vorbild. Auch wenn das Umdenken bei dem Aktienunternehmen bereits 2012 begann. Denn auch bei Beate Uhse, kann man mittlerweile Dessous kaufen, die außerhalb von Erotikfilmen tragbar sind. Und online ist der neue Vertriebskanal Nummer eins. Beate Uhse hat nach eigenen Angaben rund 75 Prozent weibliche Kunden. Vor fünf Jahren seien es nicht einmal halb so viele gewesen, so das Unternehmen.

Sexspielzeuge sind zum gefühlten Mainstream geworden. Und auch immer mehr zur Frauensache. Und das hat ganz sicher auch etwas mit dem neuen Bewusstsein von Frauen mit Lust zu tun. Wir wollen keinen Mann, der denkt, dass der Sex vorbei ist, wenn er fertig ist. Und Unterwäsche kaufen wir schon lange nicht mehr nur für ihn.

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