Eigenstromerzeugung Zoff um den „Soli“ für Selbstversorger

Die Deutschen versorgen sich zunehmend selbst mit Strom. Vor allem Unternehmen wollen so Abgaben für die Energiewende einsparen - das erhöht aber die Strompreis-Belastungen der anderen. Selbstversorger sollen daher bald einen „Soli“ zahlen. Doch um den gibt es viel Zoff.

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Windräder und eine Solaranlage zur Selbstversorgung: Die wachsende Zahl an Eigenstromerzeugern ist zum Zankapfel geworden. Quelle: dpa

Berlin Auch die „Queen Mary 2“ ist jetzt plötzlich Teil des Ringens um den großen Wurf bei der Energiewende. Auf Druck der norddeutschen Küstenländer sollen Kreuzfahrtschiffe weitgehend von der Ökostrom-Umlage befreit sein, wenn sie bei Liegezeiten etwa im Hamburger Hafen Strom ziehen. Denn sonst ist der Strom zu teuer, und die ganze Umgebung wird mit dem Verfeuern von Diesel verpestet.

Schiffe sind dank ihrer Dieselgeneratoren Strom-Selbstversorger - in Deutschland ist die rasant wachsende Zahl an Eigenstromerzeugern nun aber zu einem zentralen Zankapfel bei der geplanten Ökostrom-Reform geworden. Der Supermarkt versorgt sich über Solarpaneele mit Strom, der Autobauer hat ein Gaskraftwerk und der Bauer seine Biogasanlage.

Nur: Wenn immer mehr Unternehmen und Bürger sich selbst versorgen, zahlen immer weniger die Umlagen zur Finanzierung der Energiewende. Ergo steigen für diese Gruppe am Ende die Strompreis-Belastungen. Auf bis zu 2,5 Milliarden Euro werden für 2014 die Ausfälle durch die zunehmende Zahl an Eigenstromerzeugern geschätzt, da sich so zum Beispiel auch die Netzentgelte auf weniger Schultern verteilen.

Im Entwurf für die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) legte Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) daher fest, dass Unternehmen des produzierenden Gewerbes für neue Eigenstrom-Anlagen 20 Prozent der im Strompreis enthaltenen EEG-Umlage (derzeit 6,24 Cent je Kilowattstunde) als „Soli“ zahlen sollen. Supermärkte oder kleinere Betriebe, die sich mit Solarstrom selbst versorgen wollen, sollen aber 50 Prozent Umlage zahlen - eine Ungleichbehandlung also.

Besonders umstritten: Bisher zahlt der Mieter in Berlin-Hellersdorf über seine Stromrechnung Renditen des Anwalts in München, der auf 20 Jahre garantiert eine Vergütung für seine Solaranlage auf dem Dach bekommt. Gerade untere Einkommen werden dabei überproportional stark belastet, es gibt hier ein offensichtliches Gerechtigkeitsproblem bei der Energiewende. Damit auch Mieter etwas von dem Großprojekt haben, wurde zum Beispiel in Hellersdorf ein Pilotvorhaben gestartet.

Die Dächer von 50 Wohnblöcken wurden dort zugepflastert mit Solarmodulen. Seit März können die Bewohner Ökostrom vom eigenen Dach beziehen, das Unternehmen Lichtblick bietet einen Mischtarif an: 30 bis 50 Prozent des Bedarfs können mit Eigenstrom abgedeckt werden, der Rest kommt aus dem normalen Netz. Die Kilowattstunde wird für 25 Cent angeboten - rund drei Cent billiger als üblich. Denn die Mieter müssen für den Solarstrom vom Dach nur eine reduzierte Umlage von 4,3 Cent je Kilowattstunde zahlen. Ausgerechnet dieses Privileg soll nun allerdings fallen, dann würden auch hier die vollen 6,24 Cent fällig.

Die Solarlobby kritisiert, dass Unternehmen, die klimaschädlichen Kohlestrom zur Eigenstromversorgung produzieren, weniger stark zur Kasse gebeten werden sollen als Vermieter oder Supermärkte, die klimafreundlichen Solarstrom zur Selbstnutzung erzeugen. Natürlich wurde dafür auch ein griffiger Kampfbegriff gefunden: „Sonnensteuer“.

Die Gegner drohen mit einer Verfassungsklage, falls das Gesetz wie vorgesehen zum 1. August in Kraft tritt. „Es kann nicht sein, dass Haushalte und Unternehmen dafür bestraft werden sollen, dass sie die Energiewende selbst in die Hand nehmen“, sagt auch Holger Krawinkel vom Bundesverband der Verbraucherzentralen. Der Verband geht davon aus, dass die bisher geplante Umlage auf selbstverbrauchten Ökostrom Haushalte ohnehin nur um 55 Cent im Jahr entlasten würde - der große Batzen an Zusatzbelastungen entstehe durch Industrie-Selbstversorger.

Diese sollten zunächst auch für bestehende eigene Kraftwerke mit einer Abgabe belegt werden, doch Gabriel kassierte das wieder. Nun soll die 20-Prozent-Abgabe nur für neue Eigenstrom-Anlagen gelten.

Auch die Bundesländer fordern Korrekturen, gerade Mieterstromprojekte dürften nicht stärker belastet werden. Und: Statt 50 Prozent der regulären Umlage (derzeit 3,1 Cent) sollten bei Kraft-Wärme-Kopplung und Ökoenergie-Anlagen zur Eigenversorgung nur noch 15 Prozent der Umlage als „Energie-Soli“ entrichtet werden - also 0,94 Cent.

Nicht zuletzt der Kampf um die Eigenstromversorgung, deren Zunahme die Antwort auf hohe Strompreise ist, zeigt: Die Energiewende wird immer komplexer. Und an allen Ecken zerren Lobbyisten und Politiker, um sich Pfründe zu sichern - bis hin zum Preis für die Stromversorgung von Kreuzfahrtschiffen im Hafen.

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