Einblick

Im Internet herrschen die Skrupellosen

Hauke Reimer
Hauke Reimer Stellvertretender Chefredakteur WirtschaftsWoche

Fake-News und Filter-Blasen statt demokratischem Diskurs, Quasi-Monopolisten statt fairem Handel: Wer vom Netz noch totale Offenheit und Transparenz fordert, ist nicht liberal, sondern naiv.

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Diese Länder haben das schnellste Internet
Breitband-Internet Quelle: REUTERS
Helsinki Quelle: dpa
Prag Quelle: dpa
Irland Quelle: gms
Riga Quelle: dpa
Platz 6: NiederlandeDen Sprung auf 14,2 Megabit pro Sekunde schaffen unsere niederländischen Nachbarn. Quelle: dpa
Schweiz Quelle: dpa

Die Hoffnung war so groß, die das Internet schürte: Informationen gebe es nun für alle, ein demokratischer Diskurs sei endlich möglich, das hierarchische Gefälle zwischen Schreiber und Leser aufgehoben. Niemand sollte mehr Meinungen unterdrücken können; die Gedanken sind frei, weltweit und auf ewig. Piraten praktizieren Basisdemokratie, und auf Wikileaks bekommen die Herrschenden eins auf die Mütze. Kommunikation läuft zielgerichtet, ich bekomme nur, was mich interessiert, kann mich mit Gleichgesinnten zusammenschließen.

Und erst in der Wirtschaft: Totale Transparenz sollte die Preise drücken. Alles wird besser, weil jeder mit jedem konkurriert. Konsumenten bündeln Einkaufsmacht, in Auktionen finden alle den fairen Preis.

Das Internet ist für Freunde, wir sind die Guten. „Don’t be evil“, sagt Google.

Anteil der Internet-User, die Soziale Medien nutzen

Das haben wir gehofft. Und was ist passiert? Innenstädte veröden, Händler werden an die Wand gedrückt von Webgiganten, von Quasimonopolisten, mit denen unsere Wettbewerbshüter nicht fertig werden. Die weltweit agieren und kaum Steuern zahlen. Mit der Transparenz ist es auch nicht weit her: Suchportale zeigen die Angebote derer, die dafür bezahlen, bevorzugt an. Und, eigentlich tröstlich, so richtig schaffen sie es noch nicht, mich zielgerichtet zu bedienen. Warum, Google, blendest du mir Werbung für Treppenlifte ein?

Noch fataler sind die politischen Folgen. Statt einer Gegenöffentlichkeit selbstbestimmter Bürger entstand die Filterblase: Jeder bekommt das zu sehen, von dem die Algorithmen zu wissen glauben, dass es ihm zusagt. Diskurs? Findet nicht statt.

Ganz zu schweigen von den kriminellen Manipulationsmöglichkeiten: Vermutlich von russischen Hackern auf Rechnern von Hillary Clinton erbeutete Papiere tauchen im US-Wahlkampf auf. Echte Dokumente und falsche News geben einen Cocktail, der Wähler besoffen macht. Sicher: Jeder Politiker sollte so handeln, dass keine Mail-Veröffentlichung ihm schaden könnte. Nur handeln die meisten Menschen nicht so.

Große Hacker-Angriffe der vergangenen Jahre

Und glaubt jemand im Ernst, Hacker hätten nicht auch bei Donald Trump Belastendes finden können? Wladimir Putin entscheidet, wo gesucht wird, und Wikileaks veröffentlicht – eine Horrorvision. Weder Putin noch Cambridge Analytica, die via Internet Psychogramme von Millionen Amerikanern gebaut haben und jeden mit passgenauer Wahlpropaganda befeuern können, haben die US-Wahl entschieden. Aber die Geschichte geht weiter. Hacker haben den Bundestag attackiert, Cambridge Analytica bietet sich europäischen Parteien an.

Wir haben hinter eine Tür geschaut, eine Ahnung davon bekommen, welches Ausmaß an Manipulation möglich ist. Nicht die Guten, sondern die Skrupellosen erringen die Vorherrschaft im Internet. Wer vom Netz in seinem heutigen Zustand noch totale Freiheit und Transparenz fordert, ist naiv.

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