Wo der Traum vom Besseren existiert, da bezaubert er Menschen. Wo die Chance winkt, den Traum zu verwirklichen, werden Menschen das versuchen. Der Ökonom Branko Milanović hat in einer Studie 2008 berechnet, dass 60 Prozent des Einkommensunterschieds zwischen der Bevölkerung in entwickelten und weniger entwickelten Ländern auf einen einzigen Faktor zurückzuführen sind: das Land, in dem man lebt.
Nicht die Familie, nicht die Gesundheit, nicht der Job sind ausschlaggebend. Es geht um das Glück, als Deutsche oder Schwede, oder das Unglück, als Burmesin oder Syrer geboren zu sein. Wenn das so ist, dann ist der Traum vom Leben in einem Land, das einem bessere Chancen bietet, unschlagbar, und dann ist Migration der Hebel für sozialen Aufstieg.
Dann wird es nichts und niemandem gelingen, diesen Hebel dauerhaft umzulegen, um das eigene Land, den eigenen Kontinent abzuschotten. Diese Erkenntnis bringt den US-Ökonomen Michael Clemens zur Schlussfolgerung: weg mit den Migrationsbarrieren!
Flüchtlinge: Das ist der Integrationskatalog der CDU
Für Asylberechtigte und anerkannte Flüchtlinge sollen Praktika mit Abweichungen vom Mindestlohn auf mindestens sechs Monate verlängert werden, um einen Berufseinstieg zu erleichtern. Schon heute sind Abstriche von den 8,50 Euro Mindestlohn pro Stunde bei betrieblichen Einstiegsqualifizierungen von bis zu zwölf Monaten möglich. Die CDU-Spitze verzichtete nach Protest der SPD und des Arbeitnehmerflügels der Union darauf, anerkannte Flüchtlinge mit Langzeitarbeitslosen gleichzustellen. Auch dann wäre eine Abweichung vom Mindestlohn von bis zu sechs Monaten möglich gewesen.
Quelle: CDU-Bundesvorstand / Reuters, Stand: 15.02.2016
Eine Anstellung in der Leiharbeitsbranche soll nach drei statt derzeit erst 15 Monaten möglich sein. Bei gemeinnützigen Organisationen soll stärker dafür geworben werden, Flüchtlinge in den von den Jobcentern geförderten Ein-Euro-Jobs zu beschäftigen.
Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge und sogenannte subsidiär Schutzberechtigte sollen ein unbefristetes Aufenthaltsrecht nur erhalten, wenn sie über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung nachweisen, keine Straftaten begangen haben und ihren Lebensunterhalt sichern können. Auch der Familiennachzug soll von der erfolgreichen Teilnahme an Integrationskursen abhängig gemacht werden.
Die Hürde für eine frühe Teilnahme an Integrationskursen oder Förderprogrammen der Arbeitsagenturen noch vor Abschluss des Asylverfahrens soll höhergelegt werden. Laut dem im Oktober beschlossenen Asylpaket I reicht dafür bisher eine "gute Bleibeperspektive" aus. Diese wird bei Asylsuchenden aus Herkunftsländern mit einer Anerkennungsquote von über 50 Prozent angenommen. Laut CDU-Papier soll "künftig eine 'sehr gute Bleibeperspektive' entscheidend sein, weil wir insbesondere Syrern und Irakern helfen wollen".
Die CDU strebt Gesetze von Bund und Ländern an, in denen verbindliche Integrationsvereinbarungen festgelegt werden sollen. In den Aufnahmeeinrichtungen sollen ein Basissprachkurs und ein Kurs zu Grundregeln des Zusammenlebens Pflicht sein und mit einem Abschlusstest versehen werden.
Asylberechtigten, anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten soll ihr Wohnsitz zugewiesen werden, wenn sie ihren Lebensunterhalt nicht aus eigener Kraft sichern können. Ausnahmen sollen möglich sein, wenn die Betroffenen am Wohnort ihrer Wahl einen Arbeitsplatz und eine eigene Wohnung nachweisen können.
Die CDU will prüfen lassen, ob die Schulpflicht für Flüchtlinge ohne Schulabschluss über das bisher geltende Alter von 18 Jahren hinausgehen soll. Im Entwurf stand noch eine angestrebte Altersgrenze von 25 Jahren.
In einem Papier von 2011 rechnet er vor, dass der Wohlstand in der Welt verdoppelt werden könnte, wenn alle Migrationshürden fielen. Der Effekt wäre größer als durch die spontane Beseitigung aller vorhandenen Beschränkungen für die vollständige Freizügigkeit von Handel und Kapital. Politische Regelungen, die Migration einschränken, sind nach Clemens „Billionen-Rechnungen auf dem Gehsteig“ der Globalisierung.
Kann die totale Freizügigkeit also die Lösung sein? Nein, kann sie nicht. Denn solange unterschiedliche Lebensstandards in den Ländern herrschen, führen sie zu Unwuchten. Je besser die Sozialleistungen eines Landes, desto mehr Zuwanderung aus ärmeren Ländern – mit den bekannten Folgen: Im Arbeits- und Wohnungsmarkt kommen in jedem Land die unter Druck, die weniger haben.
Die beiden Schweizer Ökonomen Margit Osterloh und Bruno Frey haben den Traum vom besseren Leben durch Migration durch eine interessante ökonomische Analogie auf den Boden der Gegenwart geholt. Sie wollen Länder mit ihren jeweiligen Sozialsystemen als Genossenschaften betrachtet wissen. Wer in ein Land kommen will, muss Anteilsscheine erwerben, also Eintritt zahlen. Das gilt auch für Flüchtlinge. Falls vor dem pawlowschen Aufschrei der Entrüstung Zeit zum Durchatmen bleibt, sollte man sich diese Idee genau anschauen. Sie hat vieles für sich.
Zum Ersten würde eine hoch emotionalisierte Diskussion versachlicht. Jeder, der kommt, leistet einen Beitrag. Bei anerkanntem Asylgrund wird das Geld zurückgezahlt. Geht jemand irgendwann wieder in sein Heimatland zurück, gilt Gleiches anteilig.
Zum Zweiten würde man den grausamen Schleppern das Handwerk legen. Wenn der gezahlte Eintritt in das ersehnte Land sicheren Transport und Lebensperspektive bedeutet, haben die Flüchtlinge eine Wahl. Sie werden wie autonome Individuen behandelt, nicht aber wie Schmuggelware.
Zum Dritten ließe sich bei konsequenter Umsetzung viel Geld für Grenzschutz und Registrierungsbürokratie sparen, und die Flüchtlinge müssten nicht Monate sinnlos in Aufnahmelagern herumhängen.
Dieses Genossenschaftsmodell für Lebensträume ist eine Ausformung der sozialen Marktwirtschaft in globalem Zuschnitt: Wahlfreiheit durch Wettbewerb, verbunden mit sozialem Ausgleich.
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