Asfa-Wossen Asserate Ein Lob der deutschen Tugenden

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Die Kleinstadt als Inbegriff deutscher Tugenden

So glücklich sind die Deutschen
Die Deutschen sind genauso glücklich - oder unglücklich - wie noch vor drei Monaten. Der gefühlte Wohlstand hat sich seit der ersten Berechnung des Wohlstandsindex vor drei Monaten nicht verändert; er steht nach wie vor bei 42 von 100 möglichen Punkten. Für die Analyse wurden 2000 Menschen ab 14 Jahren befragt. Der Index, den der Zukunftsforscher Horst Opaschowski und das Marktforschungsinstitut Ipsos entwickelt haben, will neben dem ökonomischen Status auch die Zufriedenheit der Deutschen messen. „Durch Deutschland gehen Wohlstands-Risse“, sagte Opaschowski. Der Ipsos NAWI-D ist ein Barometer, das die für die Deutschen wichtigen aktuellen Grundvoraussetzungen für den Wohlstand erfasst und auf der Annahme beruht, dass Glück auf vier Säulen beruht: ökonomischer Wohlstadt (sicher und ohne Geldsorgen leben), Ökologischer Wohlstand (naturnah und nachhaltig leben), gesellschaftlicher Wohlstand (frei und in Frieden leben) und individueller Wohlstadt (gesund und ohne Zukunftsängste leben). Quelle: dpa
Frauen sind glücklicherMänner favorisieren und leben ganz andere Wohlstandswerte. Sie fühlen sich erst richtig wohl, wenn sie ein sicheres Einkommen haben, Eigentum (Haus, Wohnung, Auto) besitzen und sich materielle Wünsche erfüllen können. Männer denken mehr an die Sicherung ihres Lebensstandards, Frauen eher an die Erhaltung ihrer Lebensqualität. Lebenswichtig ist offensichtlich beides – mit einem wesentlichen Unterschied: Lebensqualität trägt mehr zur Lebenszufriedenheit bei. Auch ein Grund dafür, warum jede zweite Frau (51 Prozent) von sich sagen kann: „Ich bin glücklich“ (Männer: 47 Prozent).Methode: Der quantitativen Hauptstudie mit 4000 Befragten, bei der Wohlstandsverständnis und Wohlstandswirklichkeit abgefragt wurden, beruhte auf einer qualitativen, vorgeschalteten Repräsentativstudie unter 1000 Befragten. Quelle: obs
GeldsorgenFür den Großteil der Befragten (75 Prozent) bedeutet ökonomischer Wohlstand, frei von finanziellen Sorgen zu sein. Dass das auf sie zutrifft, sagen allerdings nur 37 Prozent. Noch ganz so deutlich ist der Unterschied zwischen Wunsch und Wirklichkeit beim sicheren Einkommen: Das geben zweidrittel der Befragten als Maßstab für ökonomischen Wohlstand an, 46 Prozent - und damit nicht einmal jeder zweite Deutsche - sagen, dass das auf sie zutrifft. Nur 16 Prozent gaben an, dass für sie die Sicherheit des Arbeitsplatzes entscheidend ist - 34 Prozent immerhin halten den eigenen für sicher. Insgesamt fühlen sich demnach 42,2 Prozent im ökonomischen Wohlstand lebend. Aber: Zum Wohlstand heute gehört für mehr als die Hälfte der Bundesbürger im Alter bis zu bis 55 Jahren (53 Prozent), einen Beruf zu haben, „der Sinn macht“. Quelle: dapd
Umweltbewusst lebenÖkologischer Wohlstand ist den Befragten im Vergleich nicht so wichtig wie der ökonomische: Nur 18 Prozent gaben an, dass für sie das Verständnis von Wohlstand ist, in einer Welt zu leben, die gut mit der Natur umgeht, beziehungsweise selbst umweltbewusst (16 Prozent) zu leben. Ökologischen Wohlstand empfinden demnach 27,8 Prozent. Quelle: dpa
Meinungsfreiheit60 Prozent der Deutschen geben an, in einer Gesellschaft zu leben, in der die Meinung frei geäußert werden kann, als Wohlstandsmaßstab gaben das allerdings nur 29 Prozent an. Gesellschaftlicher Wohlstand bemisst sich für die meisten darin, in Frieden mit ihren Mitmenschen zu leben (30 Prozent), 65 Prozent sagen immerhin, dass das ihrer Lebenswirklichkeit entspricht. Nur jeder Vierte hat für sich das Gefühl in einer toleranten Gesellschaft zu leben, für nur 19 Prozent ist das indes ein Wohlstandsindikator. Gesellschaftlichen Wohlstand sehen demnach 53,4 Prozent der Befragten in ihrer eigenen Lebenswirklichkeit. Quelle: dpa-dpaweb
Geld für die medizinische VersorgungIhren individuellen Wohlstand bemessen die Deutschen zum Großteil (52 Prozent) darin, sich eine gute medizinische Versorgung leisten zu können und keine Angst vor der Zukunft zu haben, auf 42 Prozent beziehungsweise 35 Prozent (Zukunftsangst) trifft dies laut der Studie zu. Für jeden zweiten Befragten war der Aspekt, sich gesund zu fühlen ausschlaggebend für den individuellen Wohlstand, auf 49 Prozent trifft diese Wunschvorstellung gar nach eigener Aussage zu. 41,9 Prozent sehen sich demnach in individuellem Wohlstand. Quelle: dpa-dpaweb
Ein Frau hält einen Geldbeutel in Händen Quelle: dpa

Wer heute etwas werden will, lässt die Provinz schleunigst hinter sich.

Ja, ja, die alte Angst des Aufsteigers, als zurückgeblieben und spießig zu gelten. Ich habe die Kleinstadt immer als Inbegriff deutscher Tugenden wahrgenommen. Und vergessen Sie bitte nicht: Produkte von Weltgeltung entstehen in der deutschen Provinz, in Glashütte, Freudenstadt oder Herzogenaurach.

Sie outen sich auch als Anhänger des Dienstgedankens. Dienen Manager heute nicht mehr ihren Unternehmen?

In manchen Führungsetagen der deutschen Wirtschaft dient man vor allem sich selber. Wenn im alten Rom der Triumphator Einzug hielt und im offenen Wagen durch die jubelnde Menge fuhr, hatte er immer einen Sklaven hinter sich im Wagen, der den Lorbeerkranz über seinem Kopf hielt und ihm ständig ins Ohr flüsterte: Vergiss nicht, du bist nur ein Sterblicher... Diesen kleinen Mann im Ohr würde ich unseren Managern wünschen.

Wer von Tugenden spricht, darf von Lastern nicht schweigen: Wie konnte es dazu kommen, dass eine der führenden Industrienationen der Welt sich so hemmungslos der Liebe zur Natur verschrieben hat?

Selbstverständlich bin auch ich für den Schutz unserer Umwelt. Aber die Naturverehrung treibt hierzulande merkwürdige Blüten. Wir haben es mit einer Art Ökoidolatrie zu tun. Statt dem christlichen Gott dient man Mutter Erde – trennt den Müll und konvertiert zum Vegetarismus.

Weil das angeblich so gesund ist.

Sicher, Naturverehrung und Fitnesskultur gehören zusammen. In einer neuheidnischen Gesellschaft wie der unseren wird der eigene Körper zum Nabel der Welt. Ein bisschen anstrengend wird es nur, wenn dazu noch die Besserwisserei, der erhobene Zeigefinger kommen. Wir werden zwar dafür getadelt, abends noch Lust auf ein Schnitzel zu haben, aber dass einer seinen Platz in der S-Bahn der älteren Dame nicht anbietet, gilt als normal.

Neuerdings ist von der "Rüpelrepublik Deutschland" die Rede.

Eine maßlose Übertreibung. Im Vergleich zum Ausland, etwa zu England, leben wir hier im Paradies. In vielen englischen Großstädten ist das Plebejische zur Tugend erklärt worden. Mit dem Trend zur Political Correctness hat England außerdem fast alles zerstört, was es über Jahrhunderte aufgebaut hat. Es ist das politisch korrekteste Land Europas geworden. Man kann nicht mal mehr in seinem Club rauchen.

Glückliches Deutschland?

Ja, wenn ich die Wahl hätte, in einem europäischen Land zu leben, würde ich mich immer für Deutschland entscheiden. Weil es hier vergleichsweise liberaler zugeht als anderswo. Und weil auf die Handwerker und die Müllabfuhr Verlass ist.

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