Wer heute etwas werden will, lässt die Provinz schleunigst hinter sich.
Ja, ja, die alte Angst des Aufsteigers, als zurückgeblieben und spießig zu gelten. Ich habe die Kleinstadt immer als Inbegriff deutscher Tugenden wahrgenommen. Und vergessen Sie bitte nicht: Produkte von Weltgeltung entstehen in der deutschen Provinz, in Glashütte, Freudenstadt oder Herzogenaurach.
Sie outen sich auch als Anhänger des Dienstgedankens. Dienen Manager heute nicht mehr ihren Unternehmen?
In manchen Führungsetagen der deutschen Wirtschaft dient man vor allem sich selber. Wenn im alten Rom der Triumphator Einzug hielt und im offenen Wagen durch die jubelnde Menge fuhr, hatte er immer einen Sklaven hinter sich im Wagen, der den Lorbeerkranz über seinem Kopf hielt und ihm ständig ins Ohr flüsterte: Vergiss nicht, du bist nur ein Sterblicher... Diesen kleinen Mann im Ohr würde ich unseren Managern wünschen.
Wer von Tugenden spricht, darf von Lastern nicht schweigen: Wie konnte es dazu kommen, dass eine der führenden Industrienationen der Welt sich so hemmungslos der Liebe zur Natur verschrieben hat?
Selbstverständlich bin auch ich für den Schutz unserer Umwelt. Aber die Naturverehrung treibt hierzulande merkwürdige Blüten. Wir haben es mit einer Art Ökoidolatrie zu tun. Statt dem christlichen Gott dient man Mutter Erde – trennt den Müll und konvertiert zum Vegetarismus.
Weil das angeblich so gesund ist.
Sicher, Naturverehrung und Fitnesskultur gehören zusammen. In einer neuheidnischen Gesellschaft wie der unseren wird der eigene Körper zum Nabel der Welt. Ein bisschen anstrengend wird es nur, wenn dazu noch die Besserwisserei, der erhobene Zeigefinger kommen. Wir werden zwar dafür getadelt, abends noch Lust auf ein Schnitzel zu haben, aber dass einer seinen Platz in der S-Bahn der älteren Dame nicht anbietet, gilt als normal.
Neuerdings ist von der "Rüpelrepublik Deutschland" die Rede.
Eine maßlose Übertreibung. Im Vergleich zum Ausland, etwa zu England, leben wir hier im Paradies. In vielen englischen Großstädten ist das Plebejische zur Tugend erklärt worden. Mit dem Trend zur Political Correctness hat England außerdem fast alles zerstört, was es über Jahrhunderte aufgebaut hat. Es ist das politisch korrekteste Land Europas geworden. Man kann nicht mal mehr in seinem Club rauchen.
Glückliches Deutschland?
Ja, wenn ich die Wahl hätte, in einem europäischen Land zu leben, würde ich mich immer für Deutschland entscheiden. Weil es hier vergleichsweise liberaler zugeht als anderswo. Und weil auf die Handwerker und die Müllabfuhr Verlass ist.