Aufstieg Karrierechancen in Russland: Nichts für Hasenfüße

Russische Unternehmen bieten westlichen Managern spannende Karrierechancen – gerade deutschen und gerade jetzt in der Finanzkrise.

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Daniel Burkhard, Direktor für Entwicklung und Internationales am Moskauer Flughafen Domodedovo Quelle: Mikhail Galustov für WirtschaftsWoche

Daniel Burkards Revers schmückt das Privileg der Manager: Sein Firmenausweis fehlt. Wenn der 1,87 Meter große Münchner mit großen Schritten auf die VIP-Lounge des Flughafens Domodedovo zuhält, setzen die Empfangsdamen ihr VIP-Lächeln auf. „Kak djela?“, wie geht’s, fragt Burkard und lächelt zurück. „Den Demokraten“ nennen die Airport-Angestellten ihren Direktor für Entwicklung und Internationales – wegen seines umgänglichen Führungsstils.

Hinter der VIP-Schleuse sinken ausgelaugte Geschäftsreisende in weiche Korbsessel, Hostessen in fernöstlicher Garderobe servieren Tee. Keine Moskauer Flughafenlounge kann es mit der in warmen Erdfarben gehalten Komfortzone von Domodedovo aufnehmen.

Beim Durchqueren der Oase scherzt Burkard mit ein paar Lufthansa-Entsandten. Dass Spitzen-Carrier wie British Airways, Emirates, Singapore Airlines und Lufthansa sich den Flughafen Domodedovo – einen von dreien in Moskau – ausgesucht haben, ist zu einem Gutteil sein Verdienst.

Burkard ist einer jener Pioniere, die in der abenteuerlich gewachsenen russischen Wirtschaft ihre Chance ergriffen und Karriere gemacht haben. Ausländische Experten wie er sind begehrt. Sie helfen dem Land, zwei seiner größten Handicaps zu überwinden: den Mangel an internationalen Wirtschaftskontakten und an modernem Managementwissen.

Russland ist Europas größter Wachstumsmarkt, doch an allen Ecken und Enden fehlen gute Manager, die den Boom steuern können – eine Altlast des kommunistischen Wirtschafts- und Bildungssystems. Kenner raten westlichen Managern und Nachwuchskräften deshalb, einzusteigen und Russland als Karriere-Schwungrad zu nutzen: „Wer Know-how mitbringt und bereit ist, die Sprache zu lernen, hat hier hervorragende Chancen“, sagt Stephan Dertnig, Russland- und Ukraine-Chef der Boston Consulting Group.

Auch finanziell lohnt sich das: Russische Führungskräfte gehören zu den bestbezahlten der Welt.

Seit einigen Monaten ist der Job noch spannender. Bisher speiste sich Russlands Erfolg fast ausschließlich aus seinem immensen Reichtum an Bodenschätzen, Öl und vor allem Gas und aus seiner Metallindustrie. Solange die Weltmarktpreise für Öl und Metall stiegen, reichte das.

Nun aber schlägt die internationale Finanzkrise durch: Der Ölpreis hat sich in nur drei Monaten halbiert. Russland muss seine Abhängigkeit vom Energie-Export verringern und gegen andere international wettbewerbsfähige Industrien antreten.

Doch welche sollen das sein? In vielen Branchen kann die russische Industrie auf dem Weltmarkt kaum mithalten. Beispiel Automobil: Die russischen Fabrikate basieren teils noch auf der Technik der Siebzigerjahre.

Und wer soll es machen? Die meisten klugen Köpfe holten sich in der Vergangenheit die Energiekonzerne und ihre Dienstleister. Qualifiziertes Personal ist so knapp, dass selbst die Gehälter mittlerer Manager im Jahr 2007 um bis zu 50 Prozent stiegen.

Zwar gibt es einige MBA-Schulen und einen Zirkel von Milliardären, darunter Roman Abramowitsch und der TUI-Großaktionär Alexej Mordaschow, der eine neue Kaderschmiede in Moskau, die Skolkovo School of Management, finanziert. Aber das ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

Gerade jetzt, da die internationale Liquiditätskrise viele Finanzierungsquellen trockenlegt, müssen russische Unternehmen alle Register ziehen, um internationale Banken und Investoren von ihrer Kreditwürdigkeit zu überzeugen. Eine Heidrick & Struggles-Studie zeigt, dass russische Unternehmen bei Börsengängen bis zu 20 Prozent weniger Kapital anziehen als westliche. Damit steigen die Einstiegschancen westlicher Finanzexperten.

Für Ausländer, insbesondere Deutsche, hochinteressant ist auch die wachsende Autoindustrie. Im vergangenen Jahr legte der Neuwagen-Absatz 37 Prozent zu, bis zu 20 neue Autowerke sind in Planung. Schon im Jahre 2010, prognostizieren Marktforscher, wird Russland Deutschland als größten Automarkt Europas ablösen.

Gaz etwa, den zweitgrößten Autohersteller des Landes, leitet der ehemalige Volvo-Mann Erik Eberhardson; die Gaz-Auslandsgeschäfte der frühere Europachef von Ford, Martin Leach. Um die Zuliefersparte der wie Gaz von dem Oligarchen Oleg Deripaska kontrollierten Gruppe RM Systems auf Vordermann zu bringen, holten sich die Russen zeitweilig einen Deutschen: den Ex-Delphi-Manager Volker Barth. Im Aufsichtsrat sitzt der frühere BMW-Vorstand und Maserati-Chef Karl-Heinz Kalbfell.

Karl-Heinz Kalbfell, Aufsichtsratvorsitzender beim Autohersteller Gaz Quelle: Mikhail Beznosov für WirtschaftsWoche

Kalbfells Weg zu Gaz, dem Hersteller des russischen Beamten-Dienstwagens Wolga, ebnete ein zufälliges Gespräch mit Gaz-Chef Eberhardson. Der hielt den Schwaben wegen seiner internationalen Praxiserfahrung für den richtigen Mann.

Ausländische Know-how-Lieferanten, sagt Kalbfell, könnten „dazu beitragen, die russischen Unternehmen in allen Disziplinen schneller auf Weltmarktniveau zu bringen“. Dabei seien „Pioniergeist und Improvisationsfähigkeit“ gefragt – Tugenden, die in vielen westlichen Unternehmen in Vergessenheit geraten seien.

Kalbfells Auftraggeber geht durch schwierige Zeiten. Unter dem Druck der Liquiditätskrise bringt Gaz seinen Wolga Siber, die erste neue russische Limousine seit Jahrzehnten, auf den Markt, modernisiert seine Nutzfahrzeug-Palette und organisiert seine Produktion neu.

Der 58-Jährige hat sich auf kein gewöhnliches Mandat eingelassen: Lange Flüge, Zeitverschiebung und häufigere Sitzungen als bei westlichen Aufsichtsratsmandaten gehören in Russland zum Manageralltag. Der Aufbau eines eigenen Kontakt-Netzwerks dauert noch länger.

Aber Kalbfell bereut nichts: „So etwas mitgestalten zu können ist fantastisch. Gaz erwartet von seinen Aufsichtsratsmitgliedern, dass sie intensiv diskutieren und sich aktiv einmischen.“

Bei dem Lkw-Hersteller SSA-Isuzu, der von der russischen Automobil-Holding Sollers kontrolliert wird, baut der ehemalige Daimler-Manager Gerhard Hilgert die Brücken nach Fernost. Zunächst beriet der aus Koblenz stammende 59-Jährige das Unternehmen beim Ausbau seines Vertriebsnetzes – doch als die Russen den Wert seines Erfahrungsschatzes für ihre Expansionsvorhaben erkannten, drängten sie ihn, all das, was er als Berater vorgeschlagen hatte, als Generaldirektor in die Tat umzusetzen.

Hilgert, der das Nutzfahrzeug-Business von der Pike auf lernte, hat als einziger Manager im Unternehmen einen Lkw-Führerschein und setzt sich ab und zu noch selbst ans Steuer. Das macht hier Eindruck. Zudem hatte er seine Auftraggeber mit einem äußerst detaillierten Businessplan beeindruckt.

Heute, als Generaldirektor mit der Umsetzung betraut, gehören sensible Aufgaben wie Grundstückskauf und Ausschreibungen zu seinem Geschäft. „Einem Deutschen traut man wahrscheinlich am ehesten zu, dass dabei alles nach Standards abläuft“, sagt Hilgert.

An den Teutonen-Bonus knüpfen die Russen allerdings auch hohe Erwartungen: „Wenn russische Unternehmen mit Deutschen einmal schlechte Erfahrungen machen, ist die Enttäuschung besonders groß“, sagt Sergej Nikitin, der Leiter der Handels- und Industriekammer der Russischen Föderation in Deutschland.

Eigentlich erstaunlich, dass die Schar der Deutschen in russischen Unternehmen, verglichen mit angelsächsischen Managern, noch überschaubar ist. Doch es werden mehr: Reiner Müller-Hanke, zuvor Berater der europäischen Entwicklungsbank EBRD, leitet die vor drei Jahren von der Finanzgruppe Intesa übernommene Mittelstandsbank KMB.

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Wolf-Dietrich Krüger, ein ehemaliger Siemens-Mann, ist stellvertretender Generaldirektor des Energie-Anlagenbauers Power Machines. Im Aufsichtsrat sitzen zwei deutsche Siemens-Manager – Siemens ist mit 25 Prozent an dem Unternehmen beteiligt.

Als sogenannter Independent Director, also nicht mit dem Unternehmen oder der russischen Politik verbandelter Direktor, nimmt der frühere BP-Manager Rolf Stomberg ein Aufsichtsratsmandat bei dem Stahlkonzern Severstal wahr. Reinhold Schlensok, Chef der schwäbischen Dr. Scheller Cosmetics, berät als Aufsichtsratsmitglied seinen Mutterkonzern Kalina, den größten Kosmetikhersteller Russlands.

Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder leitet den Aktionärsausschuss von Nord Stream, einem vom Staatskonzern Gazprom kontrollierten deutsch-russischen Pipeline-Joint-Venture. Der frühere Bundesbank-Präsident Ernst Welteke und Andreas Zeisler von der Deutschen Investitions- und Entwicklungsgesellschaft (DEG) wiederum sitzen im Kontrollgremium der südrussischen Bank Center Invest.

Wer etwas kann und – nicht minder wichtig – wer gut mit Russen kann, den erwarten Offenheit, Respekt und oft sogar Herzlichkeit. Fallschlingen gibt es aber auch: Sachlich gemeinte Kritik wird in russischen Betrieben leicht persönlich genommen.

Netzwerke sind wichtiger als im Westen. Nichts geht ohne „Krischa“, das „Dach“ einflussreicher Partner und Gönner. Schon bei der Anrede mit Du oder Sie gelten andere Regeln: Chef duzt, Mitarbeiter siezt. Viele Unternehmen werden ausgesprochen hierarchisch geführt – ohne Plazet von oben lässt sich wenig bewegen.

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Manchmal sogar von ganz oben: Der Machtzirkel des russischen Premiers Wladimir Putin wacht mit Argusaugen über strategische Branchen wie den Energie- und Rohstoffsektor, die Rüstung und den Flugzeugbau.

Derzeit legt die Regierung fest, welche Branchen und Unternehmen in der Finanzkrise bevorzugt Bankkredite erhalten sollen. Milliardenschwere russische Eigentümer oder einflussreiche Manager – im schlimmsten Fall die eigenen Verbündeten – können über Nacht in Ungnade fallen. Erfahrene ausländische Russland-Manager verfolgen deshalb in der russischen Presse besonders aufmerksam das politische Geschehen im Land.

Russische Mitarbeiter merken indes auf, wenn sie sehen, dass deutsche Manager auch bereit sind, von Russland zu lernen. Eine Lektion heißt Tempo: Die jungen, entscheidungsfreudigen russischen Unternehmer agieren blitzschnell. Oft stechen sie – etwa im Bausektor – westliche Konkurrenten aus, die neue Vorhaben endlosen Due-Diligence-Prüfungen unterziehen müssen.

Eine andere Tugend ist die Informationssicherheit: Unternehmensdaten werden in Russland konsequent geschützt. Private Memory-Sticks an Firmenrechnern etwa, in Deutschland selten als Sicherheitsrisiko ernst genommen, sind in vielen russischen Unternehmen undenkbar.

Und russische Personaler setzen nicht nur positive Leistungsanreize: Wenn ein Mitarbeiter des Flughafens Domodedovo durch Nachlässigkeit Schaden riskiert, erhält er vorübergehend weniger Geld: Schon für eine Kaffeetasse neben der Tastatur setzt es fünf Prozent Gehaltsabzug. Erstaun-licherweise seien aber nicht Kündigungen die Folge, sagt Domodedovo-Manager Burkard, sondern „die Leute fühlen sich bei der Ehre gepackt und tun alles, um den Fehler künftig zu vermeiden“.

Obwohl der frühere Osteuropa-Chef von British Airways, der fließend Russisch spricht, schon seit 1999 in Moskau lebt, ist das Land für ihn Abenteuer pur: „Der Adrenalinspiegel ist höher. Man muss jederzeit auf ein Kräftemessen gefasst sein.“

Als ein Polizist ihn aus dem Verkehr winkte – so etwas endet meist mit Verwarnungsgeldern, bar zu entrichten für tatsächliche oder angebliche Mängel am Auto –, schüchterte der 41-Jährige ihn mit perfekt gespielter Funktionärshybris ein: Obwohl Burkard den Beamten wie selbstverständlich duzte, bestand er großspurig darauf, von ihm als Gospodin (Herr) Burkard gesiezt zu werden. Der Milizionär witterte Ärger und ließ schließlich von ihm ab.

Chuzpe im entscheidenden Moment kann sich im mal kaltschnäuzigen, mal zutiefst sentimentalen Russland genauso auszahlen wie Großmut: Noch in Lohn und Brot bei British Airways, saß Burkard versunken ins Gespräch mit dem Pächter des Flughafens Domodedovo beisammen, als – jegliche Verhaltensregeln des Berufsstandes brechend – sein Chauffeur um Aufmerksamkeit bat. Der Familienvater wollte früher gehen, um einer Ballett-Aufführung seiner kleinen Tochter beiwohnen zu können.

Burkard tat etwas nach russischem Hierarchieverständnis Unerhörtes: Er wünschte seinem Fahrer einen schönen Abend und ließ ihn ziehen. Dmitri Kamentschik, Eigentümer des Logistik-Dienstleisters East Line und Pächter des Flughafens, war sprachlos. Als er sich gefasst hatte, bot er dem Deutschen jedoch sofort einen Job an.

Zu einer neuen Stelle kommt man in Russland aber auch ganz konventionell. So wie Markus Krupp: Nach zwei Jahren als kaufmännischer Geschäftsführer von Volvo Financial Services in Moskau machte er sich als Berater selbstständig, sieht sich aber auch wieder auf dem Moskauer Arbeitsmarkt um. Die Resonanz ist gut: Krupp hat Angebote russischer und ausländischer Unternehmen. „Netzwerke, Empfehlungen, persönliche Bekanntschaften sind bei der Jobsuche das A und O – in Russland ganz besonders“, sagt der 36-Jährige.

Deutschen mit Russland-Ambitionen, die erst über wenige Kontakte verfügen, rät Krupp, sich in den Moskauer Zirkeln von Online-Netzwerken wie Xing und LinkedIn zu tummeln und deren reale Treffen zu besuchen.

Anlaufstellen sind auch Branchen-Stammtische, die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer und die Association of European Businesses in the Russian Federation, die von einem Deutschen geleitet wird. Trotz Finanzkrise und Kostensenkungs-Szenarien erlebt Krupp, „dass russische Unternehmen weiterhin offen für ausländische Fach- und Führungskräfte sind “.

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