Berliner Flughafen Deutschland kann alles - nur keinen Flughafen

Kein Zweifel: Hartmut Mehdorn leitet Deutschlands peinlichste Baustelle. Warum der Bau so grandios daneben ging.

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Über Hartmut Mehdorn ergeht seit Jahren viel Häme und Kritik - und oft auch zurecht. Doch dieses Mal muss man eine Lanze für ihn brechen. Dass einer seiner wichtigsten Leute allem Anschein nach korrupt gewesen ist - das ist dem Flughafenchef nicht anzukreiden. Kriminelle Energie ist ja gerade deshalb möglich, weil sie als solche auf den ersten Blick nicht erkennt. Auch dann nicht, wenn man Menschen ins Gesicht schaut und mit ihnen zusammenarbeitet.

Deshalb ist Mehdorns Antwort auf den jüngsten Skandal um Technikchef Jochen Großmann, der selbst keine Stellung bezieht, auch vollkommen richtig. Er schickte den leitenden Angestellten höchstpersönlich in den vorübergehenden Zwangsurlaub, bis alle Vorwürfe geklärt sind. Zudem setzte er heute eine Arbeitsgruppe ein, die sämtliche Ausschreibungen im Zusammenhang mit Großmanns Arbeit überprüfen soll. Das ist richtig und konsequent.

Deutschlands peinlichste Baustelle

Dennoch hat Deutschlands peinlichste Baustelle das Land wieder ein Stück weiter blamiert. Man mag hierzulande dichten und denken können, aber bauen gehört nicht zum Repertoire der Deutschen. Warum ist das nur so? Oder was lief eigentlich falsch am Berliner Flughafen, kurz BER? Wahr ist: Er bietet die perfekte Basis für ein Drama in fünf Akten.

Kapitel 1: Das dumme Volk

Die Bürger wollen hören, was sie hören wollen. Dazu gehört, dass Infrastruktur quasi zum Nulltarif zu haben ist. Der Flughafen Berlin stand anfangs mit nur 1,7 Milliarden Euro zu Buche - ein Preis, der der Öffentlichkeit zu vermitteln war.

Zudem neigt der gemeine Bürger auch zu einer gewissen Bequemlichkeit. Projektvorschläge, den Flughafen mitten in die brandenburgische Pampa zu setzen, schienen nicht vermittelbar. Zu weit weg. Dann hätte man zwar auch nachts fliegen können. Doch ein Hauptstadtflughafen gehört nun mal nach Berlin, wohin auch sonst. Allein die Lärmschutzanforderungen kosten nun wohl rund 750 Millionen Euro - damit mehr als ein Drittel der ursprünglichen Kosten.

Tower des Großflughafens BER Quelle: dpa

Kapitel 2: Die gierigen Politiker

Eine politische Weisheit besagt: Sage ich dem Wähler die halbe Wahrheit, trägt mein Nachfolger die Konsequenzen. So in etwa müssen auch die damals Verantwortlichen gedacht haben, als sie die Kosten des neuen Flughafens auf 1,7 Milliarden Euro taxierten. Denn wie in Deutschland üblich, sind Kostensteigerungen bei solchen Infrastrukturprojekten in den Planzahlen nicht enthalten.

Doch allein die Inflation treibt die Gesamtkosten jedes Jahr ganz automatisch um rund 2,5 Prozent nach oben. Am Ende wundert sich das Volk über die Kostenexplosion. Es wäre ehrlicher gewesen, von vorne herein transparent zu informieren. Doch diese Trendwende gibt es erst seit dem Volksaufstand gegen den Bahnhofsbau S21.

Noch schlimmer als die verheimlichte Preissteigerung ist aber das überhebliche Gehabe, die Politik könne besser bauen als die Privatwirtschaft. Es gab Zeiten, da wurde der Flughafen öffentlich ausgeschrieben. Aber die eingereichten Angebote von Baukonzernen lagen etwa 400 Millionen Euro über den eigenen Vorstellungen.

Bund und Länder lehnten ab, weil man doch selber besser und billiger bauen könne - und ganz nebenbei einen Neubau besser legitimieren könne. Nun fehlt ein Konsortialführer, der die Planungen koordiniert und die Haftung übernimmt.

Überforderte Manager, überhebliche Bauindustrie

Kapitel 3: Die überforderten Manager

Wie viel Fluggäste fliegen im Jahr 2050 von Berlin ab? Wer so eine Frage beantworten muss, muss Visionär sein oder gute Prognosemodelle haben. Für Berlin gab es weder das eine noch das andere.

Der Flughafen war zunächst für 17 Millionen Passagiere pro Jahr ausgelegt. Inzwischen wurde die Planung mehrfach korrigiert. Wenn der Airport irgendwann eröffnet, können 27 Millionen Fluggäste pro Jahr aus-, ein- und umsteigen. Die Kapazität wird also kaum ausreichen. Schon 2013 kamen mehr als 26 Millionen.

BER wurde und wird also deutlich teurer. Sollte der noch aktive Flughafen Schönefeld für bis zu neun Millionen zusätzliche Passagiere weiter betrieben werden, wie von Mehdorn inzwischen vorgeschlagen, kostet das 100 Millionen Euro extra.

Ohnehin mussten in den vergangenen Jahren immer weitere Nachrüstungen vorgenommen werden: neue Piers und Pavillons. Allein die Abfertigungen für den neuen A380 waren im ursprünglichen Planungskonzept nicht enthalten, heißt es in Aufsichtsratskreisen.

Auch das Flughafenmanagement hat versagt. Nur wenige Tage vor dem ursprünglichen geplanten Starttermin 2012 hieß es noch, es gebe keinen Grund, an der Eröffnung zu zweifeln. Die Vorgänger von Mehdorn seien gute Manager für den Betrieb eines existierenden Airports, hieß es aus Gesellschafterkreisen - aber keine Manager für den Bau eines Flughafens.

Kapitel 4: Die überhebliche Bauindustrie

Die Planer haben die erforderlichen und erwünschten Nachbesserungen zwar übernommen, aber offenbar nicht mit anderen Teilen des Flughafens aufeinander abgestimmt. So ist wohl zu erklären, dass der Flughafen zwar insgesamt größer wurde, aber die Baupläne nicht mitwuchsen. Die derzeit Verantwortlichen am Flughafen beklagen eine desolate Dokumentation der Baufortschritte.

So bereitet derzeit vor allem die Entrauchungsanlage große Probleme - intern nur noch "Monster" genannt. Entgegen der physikalischen Gesetze saugen vier große Ventilatoren den Rauch bei einem Feuer in einen unterirdischen Schacht. Noch kann die Anlage aber nicht flexibel gesteuert werden.

Die großen Schaufelräder springen also auch dann auf volle Kraft, wenn nur irgendwo ein Papierkorb brennt. Zudem hielten einige Lüftungsrohre bei Brandschutz-Tests dem gewaltigen Sog nicht Stand und bekamen Risse. Und die Steuerung der Entrauchungsklappen bleibt ebenfalls ein Problem: Wegen fehlerhafter Skizzen können die einzelnen Klappen noch nicht gezielt angesteuert werden.

Unangenehme Fragen muss sich auch die Bauwirtschaft gefallen lassen. Denn auf dem Hauptstadtflughafen wird heute nicht nach internationalen Baustandards gebaut. Noch immer tragen die Bauunternehmen zweidimensionale Bauskizzen mit auf die Baustelle.

Für ein Großprojekt dieser Art verlangen öffentliche Bauträger in Skandinavien, Großbritannien oder den USA den Einsatz digitaler Bausoftware. Gebaut wird dort zunächst digital in 3D, bis der erste Stahlträger in den Boden gerammt wird.

Doch die mittelständische Bauindustrie in Deutschland hatte nie wirklich ein Interesse an der Technik, weil es mit Zusatzkosten und mehr Personal verbunden ist. Erst in Zukunft wird "Building Information Modelling" zum Standard erhoben.

Kapitel 5: Das Ende

So wird der Hauptstadt-Flughafen wohl erst 2017 eröffnen - vier Jahre später als geplant. Flughafenchef Mehdorn hielt zwar bis vor kurzem intern noch an einem möglichen Betriebsstart 2015 fest, doch das gilt im Aufsichtsrat schon lange als unmöglich.

Bevor das erste Flugzeug abhebt, muss der Flughafen erst einmal ein halbes Jahr im Vorfeld getestet werden. Die Kontrolleure gehen intern von 2016 aus. Doch da war die Personalie des inzwischen beurlaubten Technikchefs noch unbekannt. 2017 scheint daher realistischer.

Verzögerungen schließt Mehdorn inzwischen selbst nicht mehr aus. Per Pressemitteilung ließ er verlauten: "Wir überprüfen derzeit mögliche Auswirkungen des Korruptionsverdachtsfalls auf den BER-Zeitplans."

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