Haben Ihre Kollegen das nicht bemerkt?
Zunächst nicht. Es ist erstaunlich, wie lange ich nach außen hin noch funktionierte. Und welche Methoden ich entwickelte, um meinen Zustand zu verschleiern.
Wie verschleierten Sie Ihren Zustand?
Heimlich länger bleiben. Oder: gegen 18 Uhr das Büro verlassen, erst mal eine Runde Sport machen, danach zurück ins Büro – damit es niemand merkt.
Sind Ihnen im Nachhinein weitere Fehler aufgefallen?
Es fällt mir sehr schwer, nein zu sagen – etwa wenn Kollegen Hilfe brauchen. Meistens habe ich mir das dann auch noch aufgebürdet, obwohl ich wusste, dass ich eigentlich schon zu viel zu tun habe. Aber wenn sich dieses Muster einmal einprägt, handelt man immer gleich.
Burnout
Peter Michael Roth ist seit August 2012 Chefarzt der Oberbergklinik in Wendisch Rietz. Der Psychiater weiß, dass Burnout-Patienten wie Sättele häufig eine ähnliche Persönlichkeitsstruktur haben.
Betroffen sind selten die faulen oder untätigen Mitarbeiter, sondern meist die besonders Engagierten, Perfektionisten oder solche, die sich für unersetzbar halten. „Wenn hohe Leistung in der Kindheit eine große Rolle gespielt hat, trifft es solche Menschen im Berufsleben zuerst“, sagt Roth. Denn sie muten sich häufig zu viel zu.
Im vergangenen Jahr ließen sich in Deutschland so viele Arbeitnehmer aufgrund psychischer Leiden krankschreiben wie noch nie. Wie die Deutsche Angestellten-Krankenkasse bekannt gab, fehlte 2012 wegen psychischer Beschwerden jeder 22. Arbeitnehmer – mehr als doppelt so viele wie 1997.
43 Prozent der Erwerbstätigen glauben, dass der berufliche Stress in den vergangenen zwei Jahren gestiegen ist. Das heißt aber nicht, dass heute mehr Menschen psychische Störungen haben. Vielmehr sind Ärzte und Patienten mittlerweile sensibler. Das ist auch gut so, findet Psychiater Roth: „Lieber ein Patient mehr, der sich fälschlicherweise für depressiv hält, als ein Depressiver, der sich keine Hilfe holt.“
Nun ist ja erst mal nichts falsch daran, ehrgeizig und fleißig zu sein.
Natürlich nicht. Allerdings ist es für leistungsorientierte Menschen schwierig, auch mal nichts zu tun oder Arbeit zu delegieren. Dahinter steckt oft ein Anerkennungsproblem oder Angst vor Ablehnung. Nach dem Motto: Wenn ich jetzt Nein sage, findet der andere mich blöd oder hält mich für faul...
Warum haben Sie nicht früher etwas gesagt?
Klar, so hätte ich früher auch gedacht. Aber als Betroffener denkt man anders. Man glaubt, das Problem selbst lösen zu können. Psychische Erkrankungen stoßen in der Gesellschaft auf wenig Akzeptanz. Wenn Sie Glück haben, werden Sie bemitleidet – aber das wollte ich erst recht nicht. Es ist schon ein großer Schritt zu sagen: Ja, ich bin krank.
Wann sind Sie diesen Schritt endlich gegangen?
Anfang Mai. Wobei: „Gegangen“ trifft es nicht. Es war offensichtlich, dass ich kurz vor dem Zusammenbruch stand. Deshalb sprachen die Kollegen mich eines Tages an und sagten: Es geht nicht mehr.
Sah man Ihnen das an?
Ja. Ich hatte 20 Kilo abgenommen, denn ich aß wenig und machte gleichzeitig sehr viel Ausdauersport. Da hatte ich zunächst das Gefühl, noch etwas leisten zu können. Doch am Schluss hatte der Sport gewisse Selbstbestrafungstendenzen.
Wie meinen Sie das?
Wer depressiv wird, der spürt kaum noch etwas. Sie können sich an nichts mehr erfreuen und sind völlig gleichgültig. Erfolge sind Ihnen egal, Misserfolge auch. Ich hatte das Gefühl, nichts mehr beeinflussen zu können, mein Leben zog an mir vorbei. Und um überhaupt noch etwas zu spüren, machte ich extrem viel Ausdauersport.