Wie geht man als Politikerin damit um?
Es gibt keine homogene Arbeitnehmerperspektive mehr, ebenso wenig wie es die eine Arbeitgeberperspektive noch gibt. Das mögen die großen Verbände und Gewerkschaften nicht gern hören. Aber mehr zeitliche Flexibilität beispielsweise, die es jetzt schon gibt, empfinden manche Arbeitnehmer als Zugewinn an Freiheit. Andere wiederum empfinden es als puren Druck. Zwischen diesen Gruppen müssen wir Politiker Brücken bauen, etwa bei der Arbeitszeit.
Heißt das, Sie wollen das Arbeitszeitgesetz ändern?
Das Arbeitszeitgesetz wird auch in Zukunft zum Schutz der Arbeitnehmer unverzichtbar sein, aber es sollten passgenauere Lösungen ermöglicht werden. Grundsätzlich wünsche ich mir, dass so viele Lösungen wie möglich direkt in den Betrieben gefunden werden. Die wissen am besten, was sie brauchen. Bei Bosch haben sie beispielsweise ein gutes Modell erdacht: Wer nachmittags früher gehen will, um mit den Kindern Abendbrot zu essen, und weiterarbeitet, wenn die Kleinen im Bett sind, verzichtet abends auf den eigentlich fälligen Nachtzuschlag.
Sie sind als Ministerin auch Arbeitgeberin. Wie flexibel können Mitarbeiter mit Kindern bei Ihnen arbeiten?
Unsere Morgenlagen beginnen erst um neun Uhr, damit meine Mitarbeiter – und auch oft ich – erst die Kinder in die Kita bringen können. Und es ist völlig okay für jeden, der dringend Zeit zu Hause verbringen muss, sich per Schalte einzuklinken. Manche gehen früher und setzen sich dann später zu Hause noch mal an die Arbeit. Wir machen vieles möglich. Wir reden hier nicht wie die Blinden von der Farbe.
Arbeitszeitmodelle für Familien
Das beliebteste Arbeitszeitmodell in deutschen Unternehmen für Mütter und Väter ist die Teilzeitarbeit. 79,2 Prozent der deutschen Unternehmen bieten Eltern dieses Modell an.
Ganz individuelle Arbeitszeiten können sich Arbeitnehmer mit Kindern in 72,8 Prozent der deutschen Unternehmen nehmen.
Die flexible Einteilung der Arbeitszeit innerhalb eines Tages oder einer Woche bieten 70,2 Prozent der deutschen Unternehmen Müttern und Vätern an.
46,2 Prozent der deutschen Unternehmen überlassen ihren Mitarbeitern die Planung und Einhaltung ihrer Arbeitszeit und Ergebnisse selbst: Es gibt keine Arbeitszeitkontrolle.
Die Arbeit etwa über ein Jahr hinweg individuell und flexibel gestalten können Mitarbeiter mit Familie in 28,3 Prozent der deutschen Unternehmen.
21,9 Prozent der deutschen Unternehmen erlauben Eltern, ihre Arbeit vom eigenen Schreibtisch aus zu erledigen.
Jobsharing bieten 20,4 Prozent der deutschen Unternehmen ihren Müttern und Vätern unter den Arbeitnehmern.
16,1 Prozent der deutschen Unternehmen bieten Eltern Zeit für Sabbaticals an.
Muss Ausbildung in Deutschland auch flexibler werden, gerade im Mittelstand?
Ich will, dass die Bundesagentur für Arbeit gemeinsam mit Firmen Weiterbildung entwickeln und anbieten kann. Ab August wird etwa möglich sein, Weiterbildung nicht nur während, sondern ebenso nach der Arbeit zu fördern. Das hilft gerade dem Mittelstand.
Aber der Input müsste aus den Betrieben kommen?
Ja, und das passiert überall in der Republik. Im Containerterminal in Hamburg-Altenwerder beispielsweise: Den Wandel zu einem der meistautomatisierten Häfen der Welt haben die Betreiber dort hervorragend gemeistert, indem sie weniger hoch Spezialisierte ausbilden, dafür mehr Generalisten, die flexibler sind. Das hat sich sogar mein amerikanischer Amtskollege Thomas Perez gerade extra angesehen. Er war sehr beeindruckt. An der US-Westküste hat es nämlich nicht gut geklappt, eine ähnliche Transformation ohne massive Jobverluste zu gestalten.
Sollte es einen Anspruch auf Qualifizierung geben?
Ich strebe einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung an. Im Grunde brauchen wir aber noch mehr: Qualifizierungsketten von der Kita bis zur Rente.
Fakten zur Weiterbildung
Da Bildung Ländersache ist, wird der Bildungsurlaub in den Bundesländern unterschiedlich gehandhabt. Welches Recht gilt, entscheidet sich nach dem Ort des Arbeitsplatzes. Während für Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen und Thüringen keine gesetzlichen Regelungen über den Bildungsurlaub haben, sind die Gesetze in den übrigen Ländern recht ähnlich geregelt.
In den Bundesländern, die eine gesetzliche Regelung haben, hat ein Arbeitnehmer nach sechs Monaten in einem Unternehmen Anspruch auf Bildungsurlaub. Einzige Ausnahme: Rheinland-Pfalz. Dort sind es zwei Jahre. Zudem hat Nordrhein-Westfalen für Auszubildende und Beamte sowie Mitarbeiter in Kleinbetrieben mit weniger als zehn Beschäftigten getroffen. Ihnen steht gesetzlich kein Bildungsurlaub zu.
Wer fünf Tage die Woche arbeiten geht, hat üblicherweise Anspruch auf fünf Tage Bildungsurlaub im Jahr. Wer weniger arbeitet, bekommt auch entsprechend weniger Bildungsurlaubstage. Möchte man längere Weiterbildungen besuchen als die jährlichen fünf Tage, kann der Bildungsurlaub auch verlängert werden. Dann gelten zehn Tage für zwei Jahre, die dann am Stück genommen werden können.
Wer eine Fortbildung besuchen möchte, muss seinen Arbeitgeber mindestens sechs Wochen im Voraus informieren – im Saarland sind es acht, in Niedersachsen und Bremen vier Wochen im Voraus. Der Arbeitgeber muss seine Zustimmung generell geben. Ablehnen kann er ihn nur, wenn es wichtige betriebliche Gründe gibt, die gegen einen Weiterbildungsurlaub zu diesem Zeitpunkt sprechen.
Generell fallen unter den Begriff der Weiterbildung, die einen Bildungsurlaub rechtfertigt, berufliche und politische Fortbildungsmaßnahmen. In Brandenburg, Bremen, Niedersachsen, dem Saarland und Schleswig-Holstein ist der Arbeitnehmer noch freier in seiner Wahl: Hier spricht der Gesetzgeber von Weiterbildung allgemeiner Art. In Brandenburg wird darüber hinaus auch die kulturelle Weiterbildung noch eingeschlossen.
Obwohl die Arten der Weiterbildung zunächst sehr schwammig klingen und viel Auswahl bieten, müssen Weiterbildungsgewillte doch die eine oder andere Einschränkung beachten. So gibt es verschiedene Ausschlusskriterien, die die Bundesländer festgelegt haben. Veranstaltungen, die in erster Linie der Erholung oder Unterhaltung dienen – also eher allgemeine Freizeitveranstaltungen sind – können nicht als Weiterbildungsmaßnahmen genutzt werden. Auch Angebote, die nur dadurch zugänglich werden, dass man beispielsweise einer bestimmten Gewerkschaft, Partei oder Religionsgemeinschaft angehört, werden vom Gesetzgeber zumeist ausgeschlossen. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Weiterbildungseinrichtung muss vom jeweiligen Bundesland anerkannt werden. Das gilt etwa für Volkshochschulen oder verschiedene Fortbildungswerke.
Wer Bildungsurlaub macht, bekommt zunächst auf jeden Fall seinen Lohn in voller Höhe weitergezahlt. Handelt es sich um eine betriebliche Weiterbildung trägt der Arbeitgeber zudem die Seminarkosten. Handelt es sich allerdings um eine andersartige Weiterbildung, muss der Arbeitnehmer selbst dafür aufkommen. Trotzdem lohnt es sich mit dem Arbeitgeber zu sprechen. Auch wenn dieser gesetzlich nicht dazu verpflichtet ist, übernehmen viele Chefs trotzdem die Kosten, wenn es sich für die Firma lohnt. Außerdem gibt es verschiedene Förderungen, die Arbeitnehmer für ihre Weiterbildung beantragen können. So gibt es bei der Agentur für Arbeit sogenannte „Bildungsgutscheine“, die für Fortbildungen verwendet werden können. Wer in Hessen arbeitet, kann zudem auf einen Qualifizierungsscheck vom hessischen Wirtschaftsministerium hoffen.