Ansteckende Gefühle Arbeitslose deprimieren ihren Partner

Die Psychologin Maike Luhmann hat in einer Studie herausgefunden: Wenn jemand seinen Job verliert, leidet der Partner mit. Offenbar definieren sich Menschen stärker über ihren Arbeitsplatz als bislang angenommen.

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Maike Luhmann ist Diplompsychologin und Glücksforscherin an der Universität Köln.

Frau Luhmann, „Du bist deines eigenen Glückes Schmied“, heißt es oft. Ihre Studie besagt aber, dass auch das Glück oder Unglück des Partners das eigene Glück bestimmt. Ist das Sprichwort also überholt?

Luhmann: Wie glücklich man ist, liegt nicht komplett in der eigenen Hand. Es ist das Ergebnis von vielen Faktoren, die zusammenwirken. Nur einen kleinen Teil davon kann man tatsächlich selber bestimmen. Viel wichtiger sind die eigene Persönlichkeit sowie die generellen Lebensumstände. Und dazu gehören natürlich auch die Lebensumstände des Partners. Und wenn der einen Arbeitsplatz hat und dementsprechend beschäftigt und glücklich ist, steigt auch das eigene Glück - und umgekehrt.

Arbeit wird oft mit Selbstverwirklichung gleichgesetzt, auch in Ihrer Studie. Offenbar definieren sich Menschen stärker über ihren Arbeitsplatz als bislang angenommen. Warum ist Arbeit so wichtig für unsere Psyche?

Zum einen bringt ein Job finanzielle Sicherheit. Aber gerade in der westlichen Welt reicht das nicht mehr aus, um glücklich zu sein. Studien zeigen auch, dass das Problem an Arbeitslosigkeit gar nicht der Geldmangel ist, sondern vielmehr die negativen Auswirkungen. Das Nichtstun, das Fehlen eines geregelten Tagesablaufs beeinflusst die Psyche.

Die meisten Menschen haben drei fundamentale Bedürfnisse, die sie auch auf der Arbeit erfüllen können: Kompetenz, Autonomie und soziale Beziehungen. Man will also etwas tun, wofür man Bestätigung und Lob bekommt. Man sieht dann „Aha, ich kann etwas“ und bekommt zusätzlich das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und gebraucht zu werden. Autonomie bedeutet, sich als eigenständiges Wesen zu erleben und niemandem ausgeliefert zu sein.

Ergebnisse der Studie

Gerade wenn man arbeitslos ist und Hartz IV empfängt, setzt dieses Gefühl der Abhängigkeit den Arbeitslosen sehr zu. Auch die finanzielle Autonomie ist dann eingeschränkt.

Das dritte große Bedürfnis des Menschen sind soziale Kontakte. Der Arbeitsplatz ist ein Ort, wo wir solche Kontakte knüpfen können. Mit Kollegen, Kunden, Vorgesetzten oder Patienten.

Durch die Arbeit kann ich mich also selbst verwirklichen und meine Bedürfnisse stillen. Ist dann Arbeitslosigkeit eine Attacke auf mein Selbstbild?

Das hängt ein bisschen davon ab, aus welchem Grund die Arbeitslosigkeit eingetreten ist. Also wenn man beispielsweise bei Schlecker gearbeitet hat und gleichzeitig mit der restlichen Belegschaft seinen Job verloren hat, ist das sicher leichter zu ertragen. Weil dort alle rausgeschmissen werden, ist das kein allzu großer Angriff auf den Selbstwert. Wenn man hingegen nach der Probezeit gekündigt oder als Einziger gefeuert wird, greift das das Selbstwertgefühl viel stärker an.

Was ein Jobverlust aus Menschen macht
Ein Mann betritt einen Raum hinter einer Tür, auf der steht "Zugang Agentur für Arbeit" Quelle: dpa
Eine Frau fasst sich an den Kopf Quelle: dpa
Krebs Quelle: dpa
Psychische Belastung bei Verlust des Arbeitsplatzes Quelle: dpa
Ein Mann im Anzug dreht dem Betrachter vor einem schwarzen Hintergrund den Rücken zu Quelle: dpa Picture-Alliance
Eine Frau steht in einem Treppenhaus in Hannover. Quelle: dpa
Jugendlicher liegt am 09.12.2014 in München (Bayern) gemütlich auf dem Fußboden und betrachtet die Video-Plattform "Youtube" auf seinem iPad Quelle: dpa

Aber warum sinkt dann meine Lebenszufriedenheit, wenn mein Partner seinen Job verliert? Meine Bedürfnisse werden doch weiterhin befriedigt.

Die plausibelste Erklärung ist, dass sich der Stress des Partner auch auf die andere Person überträgt - durch den täglichen Ablauf zum Beispiel. Befunde zeigen, dass sich Paare in ihren Emotionen anpassen, wenn sie länger zusammen sind. Sie fühlen dann ähnlich und ihre Gefühle übertragen sich auf den anderen. Das merkt man vor allem bei schlechter Laune. Motzt der Partner dauerhaft herum, übertragt sich das auf mich selbst.

Ist es eher der äußere Druck der Gesellschaft oder der ungenutzte innere Antrieb, der dem Paar zusetzt?

Eine Kombination aus beidem. Studien zeigen: Wer in einer Region arbeitslos wird, in der die Arbeitslosenquote ohnehin sehr hoch ist, der leidet weniger. Ich würde das „sozialen Druck“ oder „sozialen Vergleich“ nennen. Wenn man einer von vielen ist, wird man weniger stigmatisiert.

Männer leiden stärker als Frauen

Trifft das auch zu, wenn ein Partner bereits arbeitslos ist?

Dann ist die Reaktion auf die Arbeitslosigkeit nicht so ausgeprägt. Wenn ich also arbeitslos bin und mein Partner auch seinen Job verliert, wirkt sich das nicht so stark auf mich aus. Das könnte man natürlich positiv interpretieren. Fakt ist aber, dass dann eben beide, mein Partner und ich, eine geringere Lebenszufriedenheit haben. Nur der Unterschied ist dann nicht mehr so groß. Es geht also beiden gleich schlecht.

Verstärken Kinder den Effekt?

Auf jeden Fall. Wenn Kinder da sind, ist die Reaktion auf die Arbeitslosigkeit des Partner stärker und die Lebenszufriedenheit noch geringer. Das zeigt auch unsere Studie. Ich glaube auch, dass sich das auf die Kinder auswirkt und auf deren Glücksgefühl. Aber dazu haben wir noch keine Daten.

Wie kommen Paare aus dieser Situation wieder heraus? Der Partner findet einen neuen Job und dann ist alles gut?

Wenn das so einfach wäre. Die Beziehung bleibt leider dauerhaft belastet. Dem Partner geht es dann zwar wieder gut, aber bei den Betroffenen selber ist der Glückslevel immer noch niedriger als vor der Arbeitslosigkeit. Sie erleben zwar wieder einen kleinen Anstieg der Lebenszufriedenheit. Aber das kann das Unglück nicht komplett kompensieren. Ich habe dazu schon andere Studien durchgeführt, mit Personen, die zwei- oder dreimal arbeitslos werden. Das Ergebnis ist dasselbe: Die erholen sich nicht von der ersten Arbeitslosigkeit. Und bei der zweiten Arbeitslosigkeit ist die Lebenszufriedenheit dann noch geringer und so weiter. Das ist eine Abwärtsspirale.

Diese Berufe machen depressiv
MontagsbluesBesonders montags fällt es uns schwer, etwas positives am Arbeiten zu finden. Laut einer amerikanischen Studie dauert es im Durchschnitt zwei Stunden und 16 Minuten, bis wir wieder im Arbeitsalltag angekommen sind. Bei Menschen ab dem 45. Lebensjahr dauert es sogar noch zwölf Minuten länger. Doch es gibt nicht nur den Montagsblues: Manche Berufsgruppen laufen besonders stark Gefahr, an einer echten Depression zu erkranken. Allein in Deutschland haben nach Expertenschätzungen rund vier Millionen Menschen eine Depression, die behandelt werden müsste. Doch nur 20 bis 25 Prozent der Betroffenen erhielten eine ausreichende Therapie, sagte Detlef Dietrich, Koordinator des Europäischen Depressionstages. Quelle: dpa
Journalisten und AutorenDie Studie der medizinischen Universität von Cincinnati beinhaltet Daten von etwa 215.000 erwerbstätigen Erwachsenen im US-Bundesstaat Pennsylvania. Die Forscher um den Psychiater Lawson Wulsin interessierte vor allem, in welchen Jobs Depressionen überdurchschnittlich oft auftreten und welche Arbeitskriterien dafür verantwortlich sind. Den Anfang der Top-10-Depressions-Jobs macht die Branche der Journalisten, Autoren und Verleger. Laut der Studie sollen hier etwa 12,4 Prozent der Berufstätigen mit Depressionen zu kämpfen haben. Quelle: dpa
HändlerDer Begriff „Depression“ ist in der Studie klar definiert. Als depressiv zählt, wer mindestens zwei Mal während des Untersuchungszeitraums (2001 bis 2005) krankheitsspezifische, medizinische Hilferufe aufgrund von „größeren depressiven Störungen“ gebraucht hat. Händler aller Art, sowohl für Waren- als auch für Wertpapiere, gelten demnach ebenfalls als überdurchschnittlich depressiv. Platz neun: 12,6 Prozent. Quelle: dpa
Parteien, Vereine & Co.Neben den Hilferufen nach medizinischer Fürsorge flossen noch andere Daten in die Studie ein. Die Forscher beachteten außerdem Informationen wie Alter, Geschlecht, persönliche Gesundheitsvorsorge-Kosten oder körperliche Anstrengung bei der Arbeit. Angestellte in „Membership Organisations“, also beispielsweise politischen Parteien, Gewerkschaften oder Vereinen, belegen mit über 13 Prozent den achten Platz im Stress-Ranking.
UmweltschutzDer Kampf für die Umwelt und gegen Lärm, Verschmutzung und Urbanisierung ist oft nicht nur frustrierend, sondern auch stressig. Knapp 13,2 Prozent der beschäftigten Erwachsenen in dem Sektor gelten laut den Kriterien der Forscher als depressiv. In den USA betrifft das vor allem Beamte, denn die Hauptakteure im Umweltschutz sind staatliche Organisationen und Kommissionen. Quelle: AP
JuristenAls mindestens genauso gefährdet gelten Juristen. Von insgesamt 55 untersuchten Gewerben belegten Anwälte und Rechtsberater den sechsten Platz im Top-Stress-Ranking: Rund 13,3 Prozent der Juristen in Pennsylvania gelten für die Forscher der medizinischen Universität Cincinnati depressiv. Quelle: dpa
PersonaldienstleisterAuf Rang fünf liegen Mitarbeiter im Dienstleistungsbereich. Deren „Ressource“ ist der Mensch – und der ist anfällig: Denn der „Personal Service“ in Pennsylvania hat nach Lawson Wulsin und Co. eine Depressionsrate von knapp über 14 Prozent. Und nicht nur Kopf und Psyche sind von der Krankheit betroffen, sondern offenbar auch der Körper: Schon seit Jahren forscht Wulsin auf diesem Gebiet und geht von einer engen Verbindung von Depression und Herzkrankheiten aus. Gefährdeter als Menschen aus dem Dienstleistungsbereich sind nur vier andere Jobgruppen.

Nehmen wir an: Ich weiß, dass mein Partner bald seinen Job verliert. Kann ich vorbeugen, damit mir das nicht zusetzt?

Dazu können wir bisher nur Vermutungen anstellen. Wenn es darum geht, dass sich der Stress des Partners überträgt, kann man da schon etwas machen, indem man in der Partnerschaft offen darüber redet oder von außen Hilfe holt. Aber das ist ja nur ein kleiner Teil des Problems. Ich persönlich glaube nicht, dass man das komplett verhindern kann. Wäre ja auch komisch, schließlich empfinden Paare in der Regel – und im Idealfall – ja Empathie und sind sensibel für die Emotionen des anderen. Dass sich die dann übertragen, ist nur natürlich.

Glück und Lebenszufriedenheit sind so abstrakte Begriffe. Wie äußert sich das konkret?

Auf ganz verschiedene Arten. Lebenszufriedenheit ist generell mehr als nur schlechte Laune. Wir unterscheiden da zwischen emotionalem Wohlbefinden und kognitivem Wohlbefinden. Emotionales Wohlbefinden ist meine Stimmung. Wie geht es mir gerade, wie bin ich gerade drauf. Kognitives Wohlbefinden passiert, wenn man sich ganz bewusst hinsetzt und über sein Leben nachdenkt. Dann stelle man sich Fragen wie „Wie zufrieden bin ich?“

Zu den Auswirkungen von Lebenszufriedenheit gibt es noch wenig Daten. Aber es gibt zumindest einen nachgewiesenen Zusammenhang zwischen Lebenszufriedenheit und der Gesundheit. Wer glücklicher ist, ist also auch weniger anfällig für Krankheiten und hat eine bessere Stimmung. Glücklichere Menschen leben sogar länger und vor allem gesünder.

Laut Ihrer Studie sind Männer stärker von dem Phänomen betroffen als Frauen. Arbeitslose Männer leiden stärker als arbeitslose Frauen. Wie ist das zu erklären?

Männer beziehen den Verlust des Jobs stärker auf sich persönlich. Da dominiert noch ein bisschen dieses klischeehafte Bild des starken Familienernährers. Viele Männer denken noch in diesen Stereotypen: Ich bin ein Mann und muss Geld verdienen, sonst bin ich kein richtiger, vollwertiger Mann. Sie definieren ihren Selbstwert stärker über ihren Job als Frauen.

Sollten Männer, die ihren Job verlieren, einfach die Rollen tauschen und als Hausmann arbeiten?

Das würde das Problem zumindest verringern. Denn der Mann hätte dann einen geregelten Tagesablauf, eine Aufgabe und eine Alltagsstruktur. Ich kann mir vorstellen, dass ihm die Arbeitslosigkeit dann zwar immer noch zusetzt - aber nicht so stark.

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