Arbeiten 4.0 "Mitarbeiter wollen eigenverantwortlich entscheiden"

Fachkräftemangel und Digitalisierung - die moderne Arbeitswelt stellt Unternehmen vor vielfältige Herausforderungen. Was sind die entscheidenden Faktoren, um im War for Talents langfristig zu bestehen?

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Erdal Ahlatci, zweiter Geschäftsführer des Berliner Videotechnologie-Anbieters movingimage.

Der Markt für gut ausgebildete und talentierte Mitarbeiter ist hart umkämpft. Mittelständische Unternehmen konkurrieren immer stärker um die wenigen High Potentials am deutschen Arbeitsmarkt. Arbeitgeber haben längst verstanden, dass nicht nur das Geld entscheidet, sondern auch die Attraktivität des Arbeitgebers. Viele deutsche Unternehmen haben daher begonnen, ihr Arbeitsmodell zu überarbeiten. Dabei machen sie aber einen entscheidenden Fehler: Sie kopieren Methoden aus den USA, ohne sie anzupassen.

Zur Person

Die Trends aus dem Silicon Valley werden einfach übernommen – in der Hoffnung, dass die Mitarbeiter genauso kreativ werden wie ein Steve Jobs. Diese Einzelmaßnahmen bewirken aber wenig, weil die Arbeitswelt des Unternehmens wie ein Flickenteppich zusammengeschustert wird und es kein einheitliches Bild ergibt. Dadurch werden nicht nur Arbeitnehmer verwirrt, sondern auch potenzielle Bewerber.

Anstatt auf Einzelmaßnahmen zu setzen, sollten Unternehmen ein Gesamtkonzept etablieren und eine Unternehmenskultur herausbilden. Im Idealfall sind dann alle Elemente der Arbeitswelt aufeinander abgestimmt und unterstützen sich gegenseitig, anstatt sich zu behindern.

Elf Strategien für mehr Motivation am Arbeitsplatz
Die Gründe für Motivationstiefs können vielfältig sein – umso wichtiger ist es, die Ursachen zu reflektieren, sie zu verändern oder zu kompensieren. Die Haufe-Akademie beschreibt 11 Strategien, die dabei helfen sollen. Je nach Persönlichkeitstypus greifen dabei verschiedene Methoden und sogenannte Motivationsverstärker: Ein Mensch, der impulsiv reagiert und oft bildlich denkt, benötigt Motivationstechniken, die mit Imagination und Visualisierung arbeiten. Für rational handelnde Personen eignet sich hingegen eher eine analytische Vorgehensweise. Quelle: dpa
1. Reflektieren: Wo liegen die Ursachen?Woher kommt das Motivationstief: Liegt es an der Stimmung im Team? Wünschen Sie sich mehr Austausch mit Kollegen oder Vorgesetzten? Macht Ihnen Zeit- oder Konkurrenzdruck zu schaffen? Bekommen Sie nicht genügend Anerkennung für Ihre Leistung? Oder sind Sie mit Ihrem Arbeitspensum permanent am Limit? Die Ursachenforschung erfordert natürlich etwas Zeit und genaues Nachdenken, um die mutmaßlichen Faktoren ausfindig zu machen. Am besten legen Sie die Punkte schriftlich nieder, so gewinnt Ihr Problem Struktur. Quelle: dpa
2. Kompetenzen aneignen und erhöhenHaben Sie das Gefühl, Ihre Leistungen und Engagement werden nicht genug gewürdigt? Dann sollten Sie unbedingt das Gespräch mit Ihrem Vorgesetzten suchen. Konzentrieren Sie sich auf Ihre Stärken und belegen Sie Ihrem Vorgesetzten, wie das Unternehmen von Ihrer Arbeit profitiert. Um mehr Anerkennung zu erlangen, bietet es sich außerdem an, sich weiter zu qualifizieren. Natürlich müssen Sie Ihr Vorhaben zuerst mit Ihrem Vorgesetzten besprechen, schließlich investiert Ihr Unternehmen in Sie. Außerdem gibt es staatliche Fördermaßnahmen, die Sie in Anspruch nehmen könnten. Quelle: dpa
3. Umfangreiche Projekte in Arbeitsschritte einteilenEinen gewaltige Berg Arbeit vor sich zu sehen ist zunächst mal fast immer deprimierend. Hilfe bietet gutes Zeit- und Projektmanagement. Um nicht den Überblick über bereits geleistete Arbeit zu verlieren, sollten umfangreiche Aufgaben in mehrere Schritte unterteilt werden. Das Projekt wird so einerseits übersichtlicher, zum anderen winkt ein kleines Erfolgserlebnis, sobald ein Arbeitsschritt abgehakt ist. Außerdem gelangen Erfolge auf diese Weise immer wieder ins Bewusstsein. Hat sich schon ein bestimmtes Handlungsmuster eingebürgert, sollte dieses noch einmal auf Schwachstellen überprüft werden, rät die Haufe-Akademie. Oft hilft es auch, Stress als Herausforderung zu betrachten. Wer es trotz Trubel und Hektik schafft, mit kühlem Kopf ein Projekt zu steuern, der kann mit Recht stolz auf sich sein. Generell ist es hilfreich, sich Grundlagen im Projektmanagement anzueignen, um von erprobten Methoden zu profitieren. Quelle: dpa-tmn
4. Visualisierung von Teilschritten, Erfolgen und ZielenUm motiviert zu bleiben, ist es hilfreich sich den fortlaufenden Prozess der Arbeit stets vor Augen zu führen - mit Hilfe von Tabellen, Grafiken, Zeichnungen. Das zeigt nicht nur Ihnen selbst, wie weit Sie gekommen sind, sondern auch den Kollegen und Vorgesetzten. Visualisierung bedeutet aber auch, geistige Bilder entstehen zu lassen. Denn Imaginationen setzen Anker im Unterbewusstsein fest. Je realistischer die Vorstellung gelingt, desto größer ist die Motivation. Quelle: Getty Images
5. Selbstwürdigung und SelbstbelohnungOhne Rückmeldung über geleistete Arbeit sinkt die Motivation. Wenn Chefs ihre Mitarbeiter dagegen loben, steigern sie deren Leistungsbereitschaft. Doch nicht jeder Vorgesetzte zeigt sein Lob in Worten, nicht immer erkennen wir Zeichen der Anerkennung. Eventuell fragen Sie Ihren Vorgesetzten einfach, was er oder sie von Ihrer Arbeit in den letzten Wochen hält. Gleichzeitig können Sie sich auch selbst helfen: Laut aktueller Studien spielt es keine Rolle, ob die Anerkennung von außen erfolgt, also durch Vorgesetzte und Kollegen, oder von innen durch einen selbst, so die Haufe-Akademie. Sorgt der Chef nicht für positives Feedback, dann belohnen Sie sich selbst mit einem guten Essen oder einem Shoppingbummel. Quelle: Getty Images
6. Autosuggestion mittels positiver FormulierungenDas letzte Projekt ist gründlich schiefgegangen? Das Motivationsloch tut sich auf. Wir setzen einen Fehler mit Versagen gleich, lassen negative Gedankenschleifen à la „ich kann das nicht“ zu. Man sollte sich jedoch davor hüten, seine Fähigkeiten nach einzelnen Rückschlägen gänzlich in Frage zu stellen. Fehler passieren und haben auch eine gute Seite: den Lerneffekt. Beim zweiten oder dritten Durchgang lässt sich eine Aufgabe meist besser lösen als beim ersten Mal. Lieber denken: „Ich schaffe das!“ Quelle: Getty Images

Agiles Arbeitsmodell

Eine gute Unternehmenskultur kann ein wahrer Talent-Magnet sein. Doch eine Graffiti-Wand im Eingangsbereich allein macht noch keine moderne Arbeitswelt. Vielmehr muss das Unternehmen auf Prinzipien aufgebaut sein, die auch die Mitarbeiter tragen und gestalten.

Zu diesen Prinzipien gehört in erster Linie das Konzept des agilen Arbeitens: Das Internet hat unsere Kommunikation verändert. Wir sind es gewohnt, sofort Feedback zu bekommen und Prozesse verfolgen zu können. Dies ist auch der Anspruch eines agilen Arbeitsmodells. Nichts ist frustrierender, als monatelang an einem Projekt zu arbeiten um am Ende festzustellen, dass das Produkt nicht den Wünschen des Kunden entspricht. Beim agilen Arbeiten gibt es sofort Feedback. Der Besteller bekommt zum Beispiel alle zwei Wochen eine Version des Produktes. So arbeitet der Dienstleister nicht einfach für, sondern mit dem Besteller.

So motiviert die Konkurrenz ihr Team

Beim agilen Arbeiten sind die Mitarbeiter auch Herr über den Prozess. Talentierte Mitarbeiter wollen nicht einfach Befehlsempfänger sein, sondern eigenverantwortlich entscheiden, ihre Prozesse planen und auch die Aufgaben inhaltlich selbst definieren. Wer ein attraktiver Arbeitgeber sein möchte, der kommt um ein agiles Arbeitsmodell nicht herum.

Ein weiteres wichtiges Prinzip ist Transparenz und Offenheit des Unternehmens. Wenn Bonuszahlungen beispielsweise nur an Vertriebsmitarbeiter gezahlt werden, haben andere Mitarbeiter den Eindruck, dass sie nichts zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Das schürt Rivalitäten. Um mehr Transparenz zu erreichen, können Unternehmen den gesamten Bonuspool auf alle Mitarbeiter gleichwertig verteilen. Der Vertriebsmitarbeiter bekommt dann den gleichen Bonus wie Mitarbeiter in anderen Bereichen – denn alle haben ihren Beitrag geleistet. Die monatlichen Bonuszahlungen könnten im Intranet des Unternehmens für alle Mitarbeiter einsehbar präsentiert werden. So entsteht kein Unmut über „Privilegierte“ und jeder Mitarbeiter spürt, dass er ein wichtiges Glied der Kette ist.

Mitarbeiterbindung durch T-Shape-Prinzip

Zu dieser Transparenz gehört auch, dass Arbeitnehmer wissen, woran die Kollegen arbeiten. In vielen Unternehmen herrschen Rivalitäten zwischen Abteilungen. Der Vorwurf ist immer der gleiche: Die Anderen arbeiten kaum, wir leisten die ganze Arbeit. Sogenannte „Scrum“-Boards in offenen Büros leisten hier Abhilfe.

Auf diesen ist zu sehen, woran das jeweilige Team arbeitet. Im Vorbeigehen bekommt man schnell einen Eindruck, welches Projekt gerade ansteht – es gibt keine Geheimniskrämerei und es kann auch Hilfe angeboten werden, falls Kollegen überfordert sind.

Ein weiteres Element der Mitarbeiterbindung ist das sogenannte T-Shape-Prinzip. Damit Talente nicht in einen engen Rahmen gepresst werden, gibt es T-Shape. Dabei breitet der Mitarbeiter bildlich gesprochen seine Arme wie ein T aus und lernt von seinen Kollegen. So soll ein Wissensaustausch stattfinden, der den Mitarbeitern einen Blick fürs große Ganze gibt. Außerdem können Kollegen dadurch leichter füreinander einspringen. Ein „das gehört nicht zu meinen Aufgaben“ gibt es nicht. So entstehen in einem Unternehmen Multitalente, die trotzdem Experten auf ihrem Gebiet sind.

Besonders förderlich für die Unternehmenskultur sind Veranstaltungen, bei denen das gesamte Unternehmen zusammenkommt und jede Abteilung ihre aktuellen Projekte vorstellen kann. Mitarbeiter bekommen durch diese Events Lob und Anerkennung ihrer Kollegen – für viele ist das eine größere Motivation als Geld.

Ein wichtiger Wettbewerbsvorteil ist außerdem die Lage des Unternehmens. Zwar wollen es viele nicht wahrhaben, doch das Unternehmen oder das Produkt allein überzeugen Bewerber nur selten. Zur Lage gehört nicht nur die Stadt, sondern auch das konkrete Umfeld und die Räumlichkeiten. Kein Mitarbeiter sitzt gerne im Keller bei trübem Licht vor einem Bildschirm. Ein attraktiver Arbeitsplatz, eine angenehme Atmosphäre und abwechslungsreiche Essensmöglichkeiten sind nicht zu unterschätzen.

Grundsätzlich gewinnen Unternehmen den War for Talents, wenn sie sich von starren Prozessen und Modellen abwenden und sich hin zu den Menschen wenden. Ein Modell darf niemals über den Mitarbeitern stehen. Wenn ein Arbeitsmodell nicht funktioniert, wird es abgeschafft – egal wie modern oder ausgefeilt es auch sein mag. Das “Scrum”-Arbeitsmodell setzt auf effektives und agiles Arbeiten. Allerdings ist es nur ein Modell, kein Selbstzweck und auch keine heilige Kuh, die nicht angetastet werden darf. Ganz im Gegenteil: Modelle müssen immer an das eigene Unternehmen angepasst werden.

Wenn Unternehmen anfangen, ihre Arbeitsstrukturen kritisch zu betrachten und an den Mitarbeitern auszurichten, dann wird sich eine angenehme Unternehmenskultur etablieren – und diese Kultur macht am Ende den Unterschied.

Movingimage24 ist ein Berliner Videotechnologie-Anbieter. Das Unternehmen setzt auf das aus den USA stammende "Scrum"-Arbeitsmodell. Im April 2015 besuchte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) im Rahmen ihrer Initiative "Arbeiten 4.0" Movingimage, um sich über innovative Arbeitsmodelle zu informieren. Der Dialogprozess läuft bis Ende 2016. Nahles fordert eine neue Führungskultur im digitalen Zeitalter. Am Dienstag besuchte sie die Firmenzentrale von Microsoft Deutschland in Unterschleißheim, um sich über die flexiblen Arbeitsmodelle des Konzerns zu informieren.

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