Eine Sekunde, ich muss noch rasch ... wo war ich stehen geblieben? Richtig, der Text.
Aber wissen Sie, da kam gerade eine Nachricht bei WhatsApp, und außerdem ist mein Rechner heute so langsam, man kommt praktisch zu nichts. Zum Glück bin ich da nicht allein.
Das Marktforschungsinstitut Censuswide fand kürzlich heraus: Jeder deutsche Angestellte verdaddelt eigenen Angaben zufolge an jedem Arbeitstag etwa 38 Minuten wegen zu langsamer Technik. Mal fährt der Rechner zu langsam hoch, mal streikt der Drucker.
Wie es weltweit um die Work-Life-Balance bestellt ist
Bessere Zeugnisse stellen die Spanier ihren Arbeitgebern aus. Dort fühlt sich mehr als die Hälfte (56 Prozent) vom Arbeitgeber unterstützt.
Noch weniger Vertrauen in ihren Arbeitgeber als die Deutschen haben die Franzosen. Dort meinen nur 41 Prozent der Mitarbeiter, dass ihr Unternehmen sie dabei unterstützt, Arbeits- und Privatleben miteinander in Einklang bringen zu können.
Die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland fühlt sich beim Thema Work-Life-Balance von ihrem Arbeitgeber im Stich gelassen, wie eine Umfrage der Unternehmensberatung Hay Group zeigt.
Weltweit ist die Zufriedenheit in Zentral- und Nordamerika am höchsten. So geben 70 Prozent der Zentralamerikaner an, dass ihr Arbeitgeber für eine gute Work-Life-Balance sorgt. In Nordamerika sind es 65 Prozent.
Und dann auch noch diese ständigen E-Mail-Bombardements! Studien zufolge erhält ein Angestellter jeden Tag zwischen 18 und 37 E-Mails, die an ihn persönlich gerichtet sind. 60 Prozent der Menschen sind davon genervt und ignorieren sie weitgehend, angeblich wird nur jeder dritte E-Mail-Anhang vom Empfänger geöffnet. Und da sind all jene Mails noch nicht mit eingerechnet, die man nur deshalb erhält, weil irgendein geltungsbedürftiger Kollege wieder auf die fatale Funktion „Allen antworten“ geklickt hat.
Diese Unterbrechungen wären ja halb so wild. Doppelt so schlimm ist jedoch, dass wir uns danach erst mit Verzögerung wieder konzentriert an die Arbeit machen.
Aber welche Störungen sind schlimmer? Jene, für die wir selber verantwortlich sind? Also die WhatsApp-Mitteilung an den Partner, der Besuch bei Facebook, die Lektüre neuer Nachrichten, der Gang zum Kaffeeautomaten. Oder solche, für die wir nichts können, weil eine externe Quelle schuld ist – das klingelnde Telefon, der hilfebedürftige Kollege, die neue E-Mail?
Antworten auf diese Frage suchte nun Ioanna Katidioti, Doktorandin an der Universität von Groningen. Die Probanden ihrer Studie (.pdf) sollten eine Stunde lang E-Mails bearbeiten, in denen sich eine andere Person nach dem Preis für gewisse Produkte erkundigte. Diese sollten sie in einem simulierten Internetbrowser nachschlagen.
Zwischenzeitlich wurden die Freiwilligen abgelenkt – und zwar auf zwei Arten. Bei der einen Gruppe ploppte plötzlich ein weiteres Programm auf dem Bildschirm auf: In einem Chat sollten die Teilnehmer banale Fragen beantworten, etwa nach ihrer Lieblingsfarbe oder ihrem Lieblingsbuch. Die andere Gruppe konnte selbst entscheiden, wann sie das entsprechende Fenster öffnete und die Fragen beantwortete.
Katidioti stoppte nun, wie lange beide Gruppen für die gesamte Aufgabe brauchten. Und siehe da: Die unfreiwilligen Unterbrechungen waren deutlich harmloser.
Konnten die Testpersonen die Ablenkung selbst bestimmen, brauchten sie im Schnitt 1,5 Sekunden länger für eine E-Mail. Dasselbe Resultat erhielt Katidioti in einem zweiten Versuch. Hier saßen die Testpersonen vor einem Monitor, dadurch konnte die Wissenschaftlerin die Pupillenbewegungen aufnehmen. Und dabei entdeckte sie: Lenkten sich die Teilnehmer selbst ab, bewegten sich ihre Pupillen jedes Mal einen Sekundenbruchteil früher. Beinahe so, als spiegele sich die Entscheidung, sich einer Störung hinzugeben, in ihren Augen wider. Und dieser vermeintlich kurze Moment wirkte sich negativ auf die Leistung aus.
Kurze Zerstreuungen fördern die Kreativität
Wer sich selbst von der Arbeit abhält, der bereitet sich gedanklich darauf vor - indem er sich kurz fragt, ob er sich einer Ablenkung hingeben soll. Diese Überlegung fällt bei unfreiwilligen Unterbrechungen weg. Das macht sie zwar nicht zwingend besser. Es erklärt aber, warum sie mitunter weniger schädlich sind.
Offenbar ist es also doch sinnvoll, die Benachrichtigungsfunktion von E-Mails und SMS zu aktivieren. Das mag zwar bisweilen nervig erscheinen, auch dann lassen wir uns verführen. Aber immerhin sparen wir uns die Zeit, darüber nachzudenken.
Nun soll es immer noch Unternehmen geben, die ihren Angestellten die private Nutzung des Internets untersagen. Das Kalkül: Wer E-Mails an die Freunde schreibt oder Urlaubsfotos der Verwandten bei Facebook kommentiert, verschwendet wertvolle Arbeitszeit.
Diesen Stellenwert hat die Arbeit im Leben der Deutschen
Eine repräsentative Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung im Auftrag der Bertelsmann Stiftung zeigt, was den Deutschen im Leben am wichtigsten ist. An erster Stelle stehen bei den Befragten Familie und Partnerschaft mit 39 von 100 Punkten.
Quelle: Studie „Bedeutung der Arbeit“
Arbeit hat eine hohe Bedeutung im Leben der Deutschen. Mit 34 von 100 möglichen Punkten rangiert sie auf Platz zwei. Selbst ein hoher Geldgewinn wäre nur für jeden fünften Arbeitnehmer ein Grund, aus dem Berufsleben auszusteigen. Und selbst wenn das Arbeitslosengeld sehr hoch wäre, würden fast drei Viertel der Deutschen demnach lieber zur Arbeit gehen als Transferleistungen beziehen.
An dritter Stelle nannten die Deutschen ihre Freizeit. Wenig verwunderlich war der Wert bei der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen mit 23 Punkten etwas höher, doch auch für die Jungen sind Familie und Job wichtiger als der Kinobesuch.
Ein gesellschaftliches Engagement rangiert bei allen Altersgruppen am Ende der Bedeutungsskala. Männern ist das Engagement jedoch ein bisschen wichtiger als Frauen. Sie vergaben 8 von 100 Punkten, Frauen nur 6.
Von wegen – denn in Wahrheit sind es genau diese kurzen Ablenkungen, die die Angestellten brauchen. Solche kurzen Zerstreuungen können sogar die Kreativität fördern.
Dieses Fazit zog vor einigen Jahren Benjamin Baird, Doktorand an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara. In seiner Studie sollten 145 Testpersonen im Alter zwischen 19 und 32 einen Kreativitätstest lösen. Dabei sollten sie zu einem Wort, etwa "Backstein", möglichst viele Einsatzmöglichkeiten notieren. Denkbar wäre zum Beispiel: als Briefbeschwerer, Türstopper oder Waffe.
Nach zwei Minuten stoppte Baird die Übung und unterteilte die Freiwilligen via Zufallsprinzip in vier Gruppen: Die einen durften zwölf Minuten nichts tun, die anderen setzten sich sofort an den nächsten Test. Die dritte Gruppe bekam eine andere Aufgabe gestellt, die ihre volle Aufmerksamkeit forderte. Und der vierten legte Baird einen eher simplen Test vor.
Auf einem Bildschirm sahen sie Ziffern von eins bis neun. Sie mussten nur sagen, ob die Zahl gerade oder ungerade war. Aus früheren Studien war bekannt, dass diese Aufgabe die Teilnehmer zu Tagträumen verleitet. Denn er beschäftigt sie zwar eine Weile lang, ist aber zu banal, um ihre geistigen Ressourcen vollständig zu beanspruchen.
So stellen Sie fest, ob die Arbeitsqualität stimmt
Können die Beschäftigten Einfluss auf die Arbeitsmenge nehmen?
Ist es ihnen möglich, die Gestaltung ihrer Arbeitszeit zu beeinflussen?
Können sie ihre Arbeit selbstständig planen?
Quelle: Gute-Arbeit-Index 2015
Bietet der Betrieb berufliche Weiterbildungsmöglichkeiten?
Können die Beschäftigten eigene Ideen in ihre Arbeit einbringen? Ihr Wissen und Können weiterentwickeln?
Haben Sie Aufstiegschancen?
Gibt es Wertschätzung durch Vorgesetzte? Hilfe von Kolleginnen?
Ein offenes Meinungsklima? Wird rechtzeitig informiert? Planen die Vorgesetzten gut?
Wird Kollegialität gefördert?
Haben die Beschäftigten den Eindruck, dass sie mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft leisten? Einen wichtigen Beitrag für den Betrieb?
Identifizieren sie sich mit ihrer Arbeit?
Wird am Wochenende gearbeitet? In den Abendstunden? In der Nacht?
Wird von den Beschäftigten erwartet, ständig für die Arbeit erreichbar zu sein?
Leisten sie auch unbezahlte Arbeit für den Betrieb?
Sind die Beschäftigten respektloser Behandlung ausgesetzt?
Müssen sie ihre Gefühle bei der Arbeit verbergen?
Kommt es zu Konflikten oder Streitigkeiten mit Kund/innen, Patient/innen, Klient/innen?
Muss in ungünstigen Körperhaltungen gearbeitet werden? Bei Kälte, Nässe, Zugluft?
Müssen die Beschäftigten körperlich schwer arbeiten?
Sind sie bei der Arbeit Lärm ausgesetzt?
Widersprüchliche Anforderungen und Arbeitsintensität?
Gibt es Arbeitshetze? Unterbrechungen des Arbeitsflusses? Schwer zu vereinbarende Anforderungen?
Werden alle arbeitswichtigen Informationen geliefert?
Müssen Abstriche bei der Qualität der Arbeitsausführung gemacht werden?
Wird die Arbeit leistungsgerecht bezahlt?
Hat das Einkommen ein Niveau, dass sich davon leben lässt?
Wird die Rente, die sich aus der Erwerbstätigkeit ergibt, später zum Leben reichen?
Gibt es ausreichend Angebote zur Altersvorsorge im Betrieb?
Werden Maßnahmen zur Gesundheitsförderung offeriert?
Werden Sozialleistungen geboten, z.B. Kinderbetreuung, Fahrtkosten- oder Essenszuschüsse?
Beschäftigungssicherheit / Berufliche Zukunftssicherung?
Sind die Beschäftigten in Sorge, dass ihr Arbeitsplatz durch technische Veränderungen oder Umstrukturierungen überflüssig wird?
Machen sie sich Sorgen um ihre berufliche Zukunft? Um den Arbeitsplatz?
Im Anschluss setzte Baird alle vier Gruppen wieder an die Ursprungsaufgabe. Die Hälfte aller Teilnehmer bekam neue Begriffe vorgelegt, die andere Hälfte die Begriffe vom ersten Mal. Mit anderen Worten: Letztere beschäftigten sich mit demselben Problem.
Und siehe da: Wer die Zwischenzeit mit einer simplen Aufgabe verbracht hatte, konnten seine Leistung erheblich steigern – und zwar um durchschnittlich 41 Prozent. Allerdings nur dann, wenn er denselben Begriff vorgesetzt bekam. Alle anderen Gruppen blieben konstant, egal ob bei alten oder neuen Begriffen.
„Wenn wir uns ablenken und die Gedanken schweifen lassen, fördern wir damit unsere Kreativität“, sagt Baird. Vermutlich verknüpfen solche Tagträume verschiedene Gehirnregionen miteinander und bringen uns erst auf neue Ideen für alte Probleme. Ein weiteres Plädoyer dafür, warum Unternehmen ihren Angestellten Zeit zur Entfaltung gönnen sollten.