Arbeitsalltag Das Problem der Ablenkungen

Wird Ihre To-do-Liste niemals leer? Vielleicht sind sie zu undiszipliniert. Eine neue Studie resümiert: Selbst gewählte Ablenkungen sind schädlicher als äußere Unterbrechungen.

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Das Problem mit der Aufmerksamkeit. Quelle: Getty Images

Eine Sekunde, ich muss noch rasch ... wo war ich stehen geblieben? Richtig, der Text.

Aber wissen Sie, da kam gerade eine Nachricht bei WhatsApp, und außerdem ist mein Rechner heute so langsam, man kommt praktisch zu nichts. Zum Glück bin ich da nicht allein.

Das Marktforschungsinstitut Censuswide fand kürzlich heraus: Jeder deutsche Angestellte verdaddelt eigenen Angaben zufolge an jedem Arbeitstag etwa 38 Minuten wegen zu langsamer Technik. Mal fährt der Rechner zu langsam hoch, mal streikt der Drucker.

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Und dann auch noch diese ständigen E-Mail-Bombardements! Studien zufolge erhält ein Angestellter jeden Tag zwischen 18 und 37 E-Mails, die an ihn persönlich gerichtet sind. 60 Prozent der Menschen sind davon genervt und ignorieren sie weitgehend, angeblich wird nur jeder dritte E-Mail-Anhang vom Empfänger geöffnet. Und da sind all jene Mails noch nicht mit eingerechnet, die man nur deshalb erhält, weil irgendein geltungsbedürftiger Kollege wieder auf die fatale Funktion „Allen antworten“ geklickt hat.

Diese Unterbrechungen wären ja halb so wild. Doppelt so schlimm ist jedoch, dass wir uns danach erst mit Verzögerung wieder konzentriert an die Arbeit machen.

Aber welche Störungen sind schlimmer? Jene, für die wir selber verantwortlich sind? Also die WhatsApp-Mitteilung an den Partner, der Besuch bei Facebook, die Lektüre neuer Nachrichten, der Gang zum Kaffeeautomaten. Oder solche, für die wir nichts können, weil eine externe Quelle schuld ist – das klingelnde Telefon, der hilfebedürftige Kollege, die neue E-Mail?

Antworten auf diese Frage suchte nun Ioanna Katidioti, Doktorandin an der Universität von Groningen. Die Probanden ihrer Studie (.pdf) sollten eine Stunde lang E-Mails bearbeiten, in denen sich eine andere Person nach dem Preis für gewisse Produkte erkundigte. Diese sollten sie in einem simulierten Internetbrowser nachschlagen.

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Menschen, die häufig lächeln, haben weniger oft Herzkrankheiten und leben länger, schreibt Ilona Bürgel in ihrem Buch „Die Kunst, die Arbeit zu genießen“. Selbst wenn wir uns zwingen, den Mund zu einem Lächeln zu verziehen, erkennt das Hirn den Unterschied nicht und empfängt die Botschaft, dass wir glücklich sind. Quelle: getty images
Glückliche Menschen verbringen 30 Prozent weniger Zeit vor dem Fernseher und sind lieber mit anderen unterwegs. Kino, Kirche oder Tanzen egal: Das Beisammensein mit anderen Menschen zählt. Quelle: dpa
Ob Fotos, Steine oder eben Hasen - die Erinnerungsstücke an schöne Momente tragen zu späteren Glücksgefühlen bei und sorgen für die Erwartung weiteren Glücks. Quelle: dpa
Bewegung baue das Stresshormon Cortisol ab und vertreibe Depressionen, so die Autorin. Wenige Minuten pro Tag reichen bereits. Noch besser ist die Wirkung im Freien, da dann zusätzlich Vitamin D produziert wird, das gesund und glücklich macht. Quelle: dpa
Bürgel zitiert eine Studie mit 160 Yoga-Lehrern. Diese ergab, dass regelmäßiges Yoga die Glücksblutwerte um 27 Prozent steigert. Quelle: REUTERS
Nicht nur negative Informationen, Gefühle und Haltungen stecken an - Glücklicherweise funktioniert das Prinzip auch umgekehrt. Wer bei der Arbeit positive Gefühle hat, nimmt diese mit nach Hause und überträgt sie so ins Privatleben. Und weiter bewirkt ein glückliches Privatleben auch gute Gefühle im Job - der Kreis schließt sich. Quelle: Handelsblatt Online
Massagen sollen die Abwehrkräfte steigern und Stresshormone im Körper abbauen. Quelle: Handelsblatt Online

Zwischenzeitlich wurden die Freiwilligen abgelenkt – und zwar auf zwei Arten. Bei der einen Gruppe ploppte plötzlich ein weiteres Programm auf dem Bildschirm auf: In einem Chat sollten die Teilnehmer banale Fragen beantworten, etwa nach ihrer Lieblingsfarbe oder ihrem Lieblingsbuch. Die andere Gruppe konnte selbst entscheiden, wann sie das entsprechende Fenster öffnete und die Fragen beantwortete.

Katidioti stoppte nun, wie lange beide Gruppen für die gesamte Aufgabe brauchten. Und siehe da: Die unfreiwilligen Unterbrechungen waren deutlich harmloser.

Konnten die Testpersonen die Ablenkung selbst bestimmen, brauchten sie im Schnitt 1,5 Sekunden länger für eine E-Mail. Dasselbe Resultat erhielt Katidioti in einem zweiten Versuch. Hier saßen die Testpersonen vor einem Monitor, dadurch konnte die Wissenschaftlerin die Pupillenbewegungen aufnehmen. Und dabei entdeckte sie: Lenkten sich die Teilnehmer selbst ab, bewegten sich ihre Pupillen jedes Mal einen Sekundenbruchteil früher. Beinahe so, als spiegele sich die Entscheidung, sich einer Störung hinzugeben, in ihren Augen wider. Und dieser vermeintlich kurze Moment wirkte sich negativ auf die Leistung aus.

Kurze Zerstreuungen fördern die Kreativität

Wer sich selbst von der Arbeit abhält, der bereitet sich gedanklich darauf vor - indem er sich kurz fragt, ob er sich einer Ablenkung hingeben soll. Diese Überlegung fällt bei unfreiwilligen Unterbrechungen weg. Das macht sie zwar nicht zwingend besser. Es erklärt aber, warum sie mitunter weniger schädlich sind.

Offenbar ist es also doch sinnvoll, die Benachrichtigungsfunktion von E-Mails und SMS zu aktivieren. Das mag zwar bisweilen nervig erscheinen, auch dann lassen wir uns verführen. Aber immerhin sparen wir uns die Zeit, darüber nachzudenken.

Nun soll es immer noch Unternehmen geben, die ihren Angestellten die private Nutzung des Internets untersagen. Das Kalkül: Wer E-Mails an die Freunde schreibt oder Urlaubsfotos der Verwandten bei Facebook kommentiert, verschwendet wertvolle Arbeitszeit.

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Von wegen – denn in Wahrheit sind es genau diese kurzen Ablenkungen, die die Angestellten brauchen. Solche kurzen Zerstreuungen können sogar die Kreativität fördern.

Dieses Fazit zog vor einigen Jahren Benjamin Baird, Doktorand an der Universität von Kalifornien in Santa Barbara. In seiner Studie sollten 145 Testpersonen im Alter zwischen 19 und 32 einen Kreativitätstest lösen. Dabei sollten sie zu einem Wort, etwa "Backstein", möglichst viele Einsatzmöglichkeiten notieren. Denkbar wäre zum Beispiel: als Briefbeschwerer, Türstopper oder Waffe.

Nach zwei Minuten stoppte Baird die Übung und unterteilte die Freiwilligen via Zufallsprinzip in vier Gruppen: Die einen durften zwölf Minuten nichts tun, die anderen setzten sich sofort an den nächsten Test. Die dritte Gruppe bekam eine andere Aufgabe gestellt, die ihre volle Aufmerksamkeit forderte. Und der vierten legte Baird einen eher simplen Test vor.

Auf einem Bildschirm sahen sie Ziffern von eins bis neun. Sie mussten nur sagen, ob die Zahl gerade oder ungerade war. Aus früheren Studien war bekannt, dass diese Aufgabe die Teilnehmer zu Tagträumen verleitet. Denn er beschäftigt sie zwar eine Weile lang, ist aber zu banal, um ihre geistigen Ressourcen vollständig zu beanspruchen.

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Im Anschluss setzte Baird alle vier Gruppen wieder an die Ursprungsaufgabe. Die Hälfte aller Teilnehmer bekam neue Begriffe vorgelegt, die andere Hälfte die Begriffe vom ersten Mal. Mit anderen Worten: Letztere beschäftigten sich mit demselben Problem.

Und siehe da: Wer die Zwischenzeit mit einer simplen Aufgabe verbracht hatte, konnten seine Leistung erheblich steigern – und zwar um durchschnittlich 41 Prozent. Allerdings nur dann, wenn er denselben Begriff vorgesetzt bekam. Alle anderen Gruppen blieben konstant, egal ob bei alten oder neuen Begriffen.

„Wenn wir uns ablenken und die Gedanken schweifen lassen, fördern wir damit unsere Kreativität“, sagt Baird. Vermutlich verknüpfen solche Tagträume verschiedene Gehirnregionen miteinander und bringen uns erst auf neue Ideen für alte Probleme. Ein weiteres Plädoyer dafür, warum Unternehmen ihren Angestellten Zeit zur Entfaltung gönnen sollten.

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