Arbeitsethos Warum sich Japaner zu Tode arbeiten

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Gruppendruck für Überstunden

Aus westlicher Perspektive ist dieser Arbeitsethos nur zu verstehen, wenn man den anderen kulturellen Maßstab berücksichtigt. „In Japan geht es bei der Arbeit nicht darum, eine Aufgabe zu erledigen, sondern um die freundlichen Beziehungen in einem Team“, erläutert Seijiro Takeshita, Leiter der School of Management and Information an der Universität Shizuoka.

Die meisten Japaner blieben so lange an ihrem Schreibtisch sitzen, weil sie eine tiefe Angst spürten, sonst aus ihrer Gruppe ausgestoßen zu werden. „Wer früh nach Hause gehen will, spürt stillen Druck und wird schikaniert“, erzählt eine japanische Angestellte im Freundeskreis.

Schon im Kindergarten lernen Japaner, dass sie mit den anderen Kindern harmonisch auskommen und ihre Gruppe unterstützen müssen, analysiert Professor Takeshita. Dieses Verhalten stammt noch aus der Zeit, als die Japaner beim Anbau von Reis auf die Hilfe ihrer Nachbarn angewiesen waren.

Aber heutzutage werden auch die Entscheidungen in japanischen Unternehmen im Konsens getroffen und die Beiträge jedes Einzelnen zur Gruppe betont. In dieser Kultur fehlt vielen Beschäftigten die psychische Kraft, gegen den Druck zu Überstunden aufzubegehren. Lieber ruinieren sie ihre Gesundheit bis zum Tod oder flüchten in den Selbstmord.

Nicht nur die menschlichen Kosten dieser Arbeitsweise sind hoch: Japanische Unternehmen sind notorisch ineffizient. Je Arbeitsstunde erzeugen Japaner nach OECD-Angaben in Dollar gerechnet fast ein Drittel weniger Wirtschaftsleistung als Deutsche, weil sie für die gleiche Arbeit viel mehr Zeit brauchen. Dabei sind die nicht registrierten Überstunden noch nicht einmal eingerechnet. Zum Beispiel arbeiten viele Japaner weiter, nachdem sie ihre Stechkarte abends abgestempelt haben. „Die unvernünftig langen Arbeitszeiten beweisen, dass japanische Arbeitgeber dumm sind“, kommentiert Karoshi-Anwalt Kawahito. Schließlich sei längst bekannt, dass ab einer gewissen Arbeitsdauer die Leistung sinke.

Rocky-Hymne zum Feierabend

Tatsächlich bringen die Verantwortlichen in Japan bisher nicht den nötigen Mut auf, sich von dieser ineffizienten und ungesunden Arbeitstradition zu verabschieden. Zwar einigten sich Regierung, Arbeitgeber und Gewerkschaften im Frühjahr auf ein Gesetz, dass die Zahl der Überstunden auf 720 pro Jahr begrenzen soll. Aber das wären immer noch 60 im Monat oder drei Überstunden pro Tag. Zudem sind bei hohem Arbeitsanfall weiter bis zu 100 Extrastunden im Monat zulässig. Dennoch nannte Premier Shinzo Abe die Vereinbarung einen „historischen Durchbruch“.

Einige Unternehmen haben inzwischen begriffen, dass sich etwas ändern muss. Sie machen ihre Arbeitszeiten attraktiver, damit sie trotz der Verknappung an Arbeitskräften gutes Personal finden. In den Büros des Fertighaus-Herstellers Mitsui Home zum Beispiel erschallt um 18 Uhr abends die Rocky-Hymne „Gotta fly now“ aus den Lautsprechern. Die Beschäftigten stehen dann auf und müssen laut mitteilen, ob sie länger arbeiten werden. Dann erhalten sie Hilfe und Ratschläge von der Gruppe, damit sie ihre Aufgaben schneller erledigen.

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Auch der Werbekonzern Dentsu, der durch den Selbstmord der 24-jährigen Takahashi in die Schlagzeilen geriet, will die Arbeitszeit seiner Mitarbeiter um ein Fünftel verringern und schaltet dafür die Bürolichter in der Tokioter Konzernzentrale um 22 Uhr zentral aus. Doch die Einsicht der Manager in ihre Mitverantwortung hält sich in Grenzen. „Wir verlangen eben 120 Prozent Einsatz“, hatte der damalige Konzernchef Tadashi Ishii bereits kurz nach dem Todesfall zynisch erklärt.

Zwar fand ein Tokioter Gericht am 6. Oktober Dentsu der Verletzung des Arbeitsgesetzes für schuldig. Aber die Geldstrafe von umgerechnet 3.700 Euro fiel lächerlich milde aus. Unterdessen müssen neue Mitarbeiter eifrig weiter das Dentsu-Handbuch „Die zehn Prinzipien des Teufels“ studieren. Darin heißt es wörtlich: "Gib niemals auf, bis Du das Ziel erreichst, selbst wenn Du dabei stirbst."

Wer viel arbeitet, wird gelobt, wer noch mehr arbeitet, wird befördert. Was in unserer Leistungsgesellschaft gängig ist, begünstigt eine gefährliche Erkrankung: die Arbeitssucht. Was Unternehmen dagegen tun können.
von Katja Joho

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