Arbeitsplätze Was Ihr Schreibtisch über Sie verrät

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Der Computer ist das neue Statussymbol

Nur wenigen Berufsgruppen wird ein gewisses Maß an Chaos am Arbeitsplatz zugestanden. Von Professoren, Schriftstellern und Künstlern im Allgemeinen wird ein kreatives Chaos vielleicht sogar erwartet. Würde man bei einem Arzt oder Anwalt einen drei Meter hohen Aktenstapel samt Kaffeeflecken auf dem Tisch entdecken – das Vertrauen in deren Arbeitsweise würde dadurch nicht unbedingt bestärkt.

Ob jemand wirklich Ordnung hält, fällt heutzutage schneller auf – weil generell weniger Schnickschnack herumliegt. Die meisten Accessoires sind entweder der Mode zum Opfer gefallen oder wurden in den Computer integriert. Stempelkissen, Adressen-Rollkartei, Analoguhr, Briefbeschwerer und Taschenrechner sind von den Tischen verschwunden. Was früher greifbar sein musste, ist heute oft zwei Klicks entfernt in der Cloud gespeichert. Das Statussymbol ist heute eher der Computer – und nicht mehr die Platte, auf der er steht.

Vielbeschäftigte Menschen haben leere Schreibtische

Über das Pensum an anstehender Arbeit lassen sich anhand der Tischordnung auch keine Rückschlüsse ziehen: Die mächtigsten und vielbeschäftigsten Menschen haben stets die leersten Schreibtische. Leitz-Ordner auf Angela Merkels Tisch? Bunte Post-its auf Barack Obamas Resolute Desk? Zettelwirtschaft auf dem Platz des CEO eines großen Automobilherstellers? Undenkbar. Dafür haben diese Menschen Assistenten und Referenten (und deren Tische). Die meisten Schreibtische der deutschen Politiker und Topmanager sehen auffallend gleich aus: groß, sauber und leer. Das soll allerdings nicht heißen, dass jeder seinen Arbeitsplatz dermaßen klinisch rein halten soll, dass darauf theoretisch Herztransplantationen denkbar wären. Wer Telefon, Stift und Papier drapiert, signalisiert ungewollt: Was nicht in mein vorgefertigtes Raster passt, muss ich unbedingt verhindern.

Der Schreibtisch im Wandel der Zeit
Die 70er-JahreAkten, Stempel, Telefon mit Wählscheibe: ein typischer Schreibtisch aus den 1970er Jahren. Rauchen am Arbeitsplatz war kein Problem, auch ein Gläschen Alkohol war nicht tabu.
Die 1980er-JahreTaschenrechner und Digitaluhren halten in den 1980er-Jahren Einzug ins Büro. Das Telefon bekommt Tasten - geschrieben wird aber noch weitgehend auf der Schreibmaschine.
Die 1990er-JahreIn den 1990er-Jahren löst der Computer die Schreibmaschine ab. Briefe werden am eigenen Arbeitsplatz ausgedruckt und per Fax verschickt, die Daten auf kleinen Disketten gespeichert.
Die 00er-JahreNotebooks lösen stationäre Computer ab. Das Faxgerät kann nun auch drucken, kopieren und scannen. Der Kaffee kommt nicht mehr aus der Büroküche, sondern vom Coffeeshop um die Ecke.
Die 10er-JahreDer eigene Schreibtisch wird zur Ausnahme, die Arbeitsfläche kleiner, gearbeitet wird auch mal im Stehen. Daten werden elektronisch archiviert, der Bildschirm wird größer, die Tastatur schrumpft.

Ein schönes Pendant war jahrzehntelang der Schreibtisch von Helmut Kohls Büroleiterin Juliane Weber. Sie stapelte an ihrem Platz im Vorzimmer eine Elefantenherde aus Stein, Glas und Edelmetall – und verpasste trotz des Nippes kaum einen Termin des Altkanzlers.

Zwischen Edel-Schreibtisch und Laptop

Heute kann man die Arbeitswelt in zwei Gruppen unterteilen. Die einen sitzen immer noch an kunstvollen Tischlerarbeiten, an Biedermeier-Sekretären, Designklassikern oder an einem aufgebockten Türblatt. Für sie ist der Arbeitsplatz das Epizentrum ihres Schaffens, morgens reicht ein Blick auf die Platte, und sie wissen, was zu tun ist.

Die zweite Gruppe sind jene, die außer ihrem Laptop kein anderes Arbeitsgerät (mehr) benötigen oder so viel unterwegs sind, dass sie ihre Computer ohnehin nur auf den kleinen Klapptischen in Flugzeug oder Bahn balancieren. Sie können oder wollen es sich nicht erlauben, ihre Produktivität von einem Möbelstück abhängig zu machen.

Schriftsteller Thomas Mann Quelle: Laif

Diese Schreibtischverweigerer bekommen Zuwachs: In Zeiten, in denen das kostenlose WLAN nicht mehr nur im Büro zu finden ist, kann man die Arbeit sprichwörtlich überall mit hinnehmen. Die festen Arbeitsplätze kämpfen um ihre Daseinsberechtigung.

Im vergangenen Oktober erschien im Verlag Seltmann + Söhne der Bildband „Über Schreibtische“. Darin erinnern der berühmte Porträtfotograf Konrad Müller und der Schriftsteller Sten Nadolny mit nostalgischem Blick und schwarz-weißen Fotografien an prominente Menschen und ihre seltsamen Plätze. Es sei „viel Eigentümliches auf Schreibtischen zu finden, das weniger Nutz- als Selbstdarstellungswert hat“, schreibt Nadolny, „oder es kommt dem Besitzer einfach nur hübsch vor“.

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