Viele kennen das noch aus ihrer Schulzeit. Wer zu oft fehlt, dem verordnen die Lehrer eine Attestpflicht und zwar ab dem ersten Tag der Krankheit. Damit wollen sie verhindern, dass Schüler unter Vorgaukeln einer Grippe die Schule schwänzen. Im Arbeitsleben ist es üblich, dass ein kranker Angestellter nach dem dritten Ausfalltag eine ärztliche Bescheinigung vorlegen muss. Vorher reicht es aus, in der Firma Bescheid zu sagen, dass man aus gesundheitlichen Gründen nicht kommen kann.
Anders erging es einer Redakteurin des Westdeutschen Rundfunks. Ihr Arbeitgeber verlangt von der Frau seit Ende 2010 bereits ab dem ersten Fehltag einen Krankenschein. Der Grund: Die Frau hatte sich krankgemeldet, nachdem ihr Chef einen ihrer Dienstreiseanträge abgelehnt hatte. Die Krankheit war von kurzer Dauer. Einen Tag später erschien die Journalistin wieder ganz gewohnt zur Arbeit.
Das kam dem Sender komisch vor und veranlasste ihn dazu, die Krankmeldepraxis bei der betroffenen Redakteurin zu verschärfen. Das wollte diese nicht hinnehmen und klagte gegen die neue Vorschrift. Sie war der Meinung, es bedürfe einer sachlichen Begründung, warum sie schon am ersten Tag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegen müsse.
Heute lehnte das Bundesarbeitsgericht ihren Antrag ab, nachdem schon das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht in Köln dem WDR Recht gegeben hatten. Die Begründung: Eine solche Verschärfung der Attestpflicht liege im Ermessen des Arbeitgebers. Doch was bedeutet das nun für andere Arbeitnehmer und Arbeitgeber? Ist es sinnvoll von allen Arbeitnehmern einen Krankenschein ab dem ersten Fehltag zu fordern? Welche Nachteile brächte das den Unternehmen? Was wenn der Mitarbeiter keinen Arzttermin bekommt oder sich die Praxisgebühr bei einer Magenverstimmung eigentlich sparen wollte? Diese und andere Fragen beantwortet Eva Wißler von der Kanzlei Schmalz. Die Partnerin ist Fachanwältin für Arbeitsrecht.
WirtschaftWoche: Darf der Arbeitgeber jetzt wirklich von jedem einen Krankenschein ab dem ersten Fehltag verlangen?
Eva Wißler: Ja, im Prinzip schon und das war auch bislang immer so. Allerdings gibt es einzelne Tarifverträge, in denen das Recht des Arbeitgebers dahingehend ausdrücklich eingeschränkt ist. Für Angestellte mit Tarifvertrag lohnt es sich also mal nachzuschauen, ob eine solche Regelung auch ihren Arbeitgeber daran hindert, ein Attest ab dem ersten Fehltag zu fordern.
Wenn das nicht der Fall ist, wäre es für den Arbeitgeber doch sinnvoll eine solche Attestpflicht für alle Arbeitnehmer einzuführen, oder? Schließlich könnte dann kein Arbeitnehmer mehr blau machen.
Davon rate ich in der Beratungspraxis ab, denn stellen Sie sich folgendes vor: Ein Mitarbeiter hat Migräne und geht am ersten Krankheitstag zum Arzt. Der Mediziner kann noch überhaupt nicht einschätzen, wie lange die Kopfschmerzen andauern und schreibt den Mitarbeiter vorsorglich erst mal für drei Tage krank. Wäre der Arbeitnehmer nicht zum Arzt gegangen, wäre er vielleicht am nächsten Tag direkt wieder zur Arbeit gegangen, wenn die Schmerzen aufgehört hätten. Ich glaube, dass sich der Krankenstand durch eine Verschärfung der Attestpflicht also sogar erhöht.
Misstrauen schreckt Bewerber ab
Gibt es noch weitere Nachteile für den Arbeitgeber?
Ja. Schreibt ein Arbeitgeber eine Klausel in den Arbeitsvertrag, in der steht, dass jeder Mitarbeiter ab dem ersten Fehltag einen Krankenschein vorlegen muss, spricht das nicht gerade für ein gutes Verhältnis zwischen Chefetage und Belegschaft. Gegenseitiges Misstrauen schreckt viele potentielle Mitarbeiter ab.
In welchen Fällen würden Sie dem Arbeitgeber dennoch empfehlen, über eine Attestpflicht ab dem ersten Krankheitstag nachzudenken?
Ich rate nur in besonders auffälligen Fällen dazu.
Welche wären das?
Wenn ein Mitarbeiter immer wieder an Brückentagen fehlt oder in den Sommerferien, wenn das Wetter so schön ist und die Kinder zu Hause sind, der Arbeitnehmer aber keinen Urlaub bekommen hat. Beliebte Tage zum Schwänzen sind auch Karneval und die Tage danach.
Was ist, wenn ein Arbeitnehmer am ersten Krankheitstag keinen Termin bei seinem Arzt bekommt?
Das kommt so gut wie nie vor, da jeder Hausarzt einmal am Tag eine offene Sprechstunde hat. Und eine Bescheinigung von dem Allgemeinmediziner reicht aus. Für den Krankenschein muss niemand zum Spezialarzt. Im Normalfall hat der Arbeitnehmer das Problem, wenn er nicht rechtzeitig das Attest beschafft.
Sie sagen im Normalfall. Was wäre denn ein Ausnahmefall?
Nehmen wir an der Mitarbeiter hat eine Magen-Darm-Grippe und ist nicht in der Lage das Haus zu verlassen. In diesem Fall hätte der Arbeitnehmer seine Pflicht, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu beschaffen, nicht verletzt. Die Beweispflicht würde umgekehrt und der Arbeitgeber müsste dem Mitarbeiter wiederum nachweisen, dass er sehr wohl zum Arzt hätte gehen können. Die Arbeitnehmer sollten morgens am Telefon, wenn sie sich krankmelden, direkt sagen, dass sie aus diesen oder jenen Gründen nicht zum Arzt gehen können. Das wird in der Praxis dann meistens auch akzeptiert.
Was droht dem Arbeitnehmer, wenn er einfach keinen Krankenschein abgibt?
Das führt meistens zu einer Abmahnung, kann aber auch Grund für eine Kündigung sein.
Es gibt ja auch Fälle, bei denen ein Arzt nicht helfen kann, zum Beispiel wenn der Betroffene etwas Falsches gegessen hat. Dann muss der Arbeitnehmer ganz ohne Not zehn Euro Praxisgebühr zahlen. Kann er sich diese Ausgabe vom Arbeitgeber erstatten lassen?
Dieser Fall ist mir bislang noch nicht begegnet. Allerdinge halte ich eine Erstattung auf den ersten Blick für unwahrscheinlich. Ab 2013 wird die Praxisgebühr aber sowieso abgeschafft.