"Ich kann noch nicht Feierabend machen. Muss erst noch den Text fertig machen, noch die Präsentation abschließen.
Morgen wäre natürlich auch noch etwas Zeit, da hat der Kollege zwar Recht, aber in dieser Zeit kann ich mich dann stattdessen dem anderen Projekt widmen.
Und wenn ich in einer Stunde gehe, dann kann ich danach noch die Stunde zum Sport und dann ist der Abend durch.
Und morgen dann wieder früh im Büro sein – für das nächste Projekt. Da ist die Abgabefrist noch ein Weilchen hin – aber es kommt sicher etwas Neues, das erledigt sein will..."
So sieht es im Kopf eines Arbeitssüchtigen aus – das selbstgeschaffene Hamsterrad dreht sich fleißig: Immer in Aktion. Immer unter Druck. Als „inneren Drang, ständig beschäftigt zu sein", beschreibt Ute Rademacher, Professorin für Wirtschaftspsychologie an der ISM Hamburg, diesen Zustand.
Die Arbeitssüchtigen, sogenannte Workaholics, sind nämlich nicht süchtig nach einer Substanz, die ihnen positive Gefühle verschafft, von der sie abhängig werden. „Es geht um ein Verhalten, das einem so positive Erlebnisse beschert, dass man sich daran gewöhnt und nicht mehr davon loskommt, es immer wieder macht und irgendwann die Kontrolle verliert", beschreibt Rademacher. „Nicht zuletzt nehmen Arbeitssüchtige auch gesundheitliche und soziale Nachteile in Kauf, um den Wunsch nach solchen positiven Erlebnissen zu erfüllen."
Zur Person
Ute Rademacher ist Professorin für Wirtschaftspsychologie an der ISM Hamburg. Zuvor arbeitete sie als Managerin für international tätige Unternehmen. Heute unterstützt und berät sie Menschen im psychologischen Berufs-Coaching dabei, berufliche Herausforderungen zu meistern und Potenziale in einer erfüllenden Karriere zu entfalten, ohne sich dabei zu verausgaben.
Ute Rademachers Buch "Arbeitssucht. Workaholismus erkennen und verhindern" soll unter anderem "Leitlinien für Führungskräfte und Personalverantwortliche" bieten, sowie eine "praxisnahe Orientierung für den Umgang mit Arbeitssucht". Es ist im Springer Fachmedien Wiesbaden (essentials) erschienen. Es kostet 9,99 Euro als Softcover. Da eBook kostet 4,99 Euro.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert Sucht nach den folgenden Kriterien:
- ein unbezwingbares Verlangen nach einem „Mittel“ mit der Tendenz zur Dosissteigerung,
- eine psychische, häufig physische, Abhängigkeit von der Wirkung,
- eine Schädigung des Abhängigen und der Gesellschaft,
- Vernachlässigung anderer Interessen
- sowie der Kontrollverlust über das eigene Verhalten.
„Alle diese Eigenschaften sind bei Arbeitssucht erfüllt", sagt Rademacher. Vergleichbare Verhaltenssüchte sind Einkaufssucht, Glücksspielsucht, Sexsucht oder Computersucht. Arbeitssucht ist in Deutschland keine anerkannte eigenständige Krankheit, weshalb es keine konkreten Informationen zur Anzahl der Betroffenen gibt. Trotzdem ist sie ein Problem.
Eine Studie der Krankenkasse AOK schätzte vor einigen Jahren, dass etwa jeder neunte Arbeitnehmer arbeitssüchtig sein könnte. Der Bonner Wirtschaftspsychologe Stefan Poppelreuter nimmt aktuell einen Näherungswert von 12 bis 13 Prozent Arbeitssucht-Gefährdeter an. Die Zahl der tatsächlich Arbeitssüchtigen wird laut Poppelreuter auf 400.000 bis 500.000 Menschen geschätzt.
Echte Arbeitsfreude statt mantraartiger Selbstmotivation - so geht's
Wenn wir etwas Neues in Angriff nehmen, sind wir hellwach und lebendig. Herausforderungen stellen deshalb eine ausgezeichnete Glücksquelle dar. Wir können Zusammenhänge erforschen, wir lernen, wir gehen Risiken ein, müssen improvisieren, erfinderisch sein, Hindernisse aus dem Weg räumen usw. Das Erleben steht im Vordergrund. Wer so arbeitet, denkt nicht daran, zwischendurch auf die Uhr zu sehen und der Feierabend kommt überraschend.
Quelle: Diplom-Psychologin Marion Lemper-Pychlau
Das, womit sich der Geist beschäftigt, das wächst. Konzentrieren wir uns auf all die Faktoren, die Anlass zur Unzufriedenheit geben, dann wächst unweigerlich die Unzufriedenheit. Empfinden wir hingegen Dankbarkeit für die Dinge, die in Ordnung sind, wächst die Zufriedenheit. Alles nur eine Frage der Wahl...
Als soziale Wesen sind wir auf nährende Beziehungen angewiesen. Gerade im beruflichen Stress tut es gut, öfter mal ein Lächeln und ein aufmunterndes Wort geschenkt zu bekommen. Eine lockere Plauderei, gemeinsames Lachen, ein bisschen Anteilnahme – es braucht nicht viel, um Verbundenheit herzustellen. Jeder kann damit anfangen, solch eine Kultur der Freundlichkeit und des gegenseitigen Wohlwollens zu etablieren. Ein wenig Wärme im rauen Tagesgeschäft ist ein wertvoller Wohlfühlfaktor.
In der Arbeitswelt geht es den meisten um Gewinn und groß ist die Befürchtung, man könnte zu kurz kommen. Dahinter steht die unreflektierte Überzeugung, dass wir um so glücklicher sein werden, je mehr wir bekommen. Diese Überzeugung ist falsch. Denn wir sind alle Opfer des Gewöhnungseffekts: Was auch immer wie bekommen, wir gewöhnen uns daran und wollen dann um so mehr. So werden wir zu Getriebenen.
Beständiger hingegen ist das Glück des Gebens, ebenfalls eine Erfindung der Evolution. Wenn wir etwas für andere tun, nutzt das häufig mehr uns selbst als dem Empfänger unserer Wohltaten. Die Natur belohnt Selbstlosigkeit mit Glücksgefühlen, weil sie früher einmal unmittelbar dem Überleben der Art diente. Der Mechanismus funktioniert auch heute noch hervorragend. Und ganz nebenbei erweist sich großer Einsatz oft auch als sehr förderlich für die eigene Karriere...
Fremdbestimmung ist der Arbeitsfreude abträglich. Das Gefühl, nur ein Befehlsempfänger zu sein, lässt kein Glück zu. Wir können in solch einer Situation jedoch zum versierten Detektiv für Spielräume werden. Kleine Spielräume finden sich immer. Es ist sehr beglückend, sie auf persönliche und eigenwillige Weise zu nutzen. Wir wollen gestalten und der Welt unseren eigenen Stempel aufdrücken – das liegt in unserer Natur. Auch wenn es nur im Kleinen geschieht, so fühlt es sich doch sehr gut an.
„Treffen kann es jeden", erklärt Rademacher. „Selbst Arbeitslose können in ein solches Muster verfallen, in dem sie ständige Aktivität suchen durch Aufgaben, Verantwortung oder besondere Projekte, durch die sie von morgens bis abends spät auf den Beinen sind, nicht mehr abschalten und nicht mehr entspannen können."
Dabei geht es ist nicht um die reine Arbeitszeit, an der sich Arbeitssüchtige erkennen lassen. „Arbeitssucht kann sich auch darin zeigen, dass sie zwar nur sechs Stunden arbeiten, aber in denen ohne Pause unter enormem Druck stehen. Im Anschluss dann die Joggingschuhe anziehen und mit dem gleichen Elan und der gleichen Unnachgiebigkeit zweieinhalb Stunden laufen gehen", beschreibt es Rademacher.