Es klang nach einer guten Idee. Jahrelang hatte Elke Wagner in der Düsseldorfer Altstadt gelebt, sie mochte den Trubel. Doch nachdem sie Kinder bekam, schien ihr das Haus am Stadtrand die bessere Alternative. Mehr Platz zum Spielen, weniger Straßen zum Sorgenmachen.
Also zog sie mit der Familie nach Angermund im Norden der Stadt. Theoretisch Düsseldorf, praktisch Einfamilienhäuser, Felder, eine Eisenbahn. Wagner wusste, worauf sie sich einließ – und bereitete sich vor. „Ich habe damals extra beim Eisenbahn-Bundesamt angerufen und mich erkundigt, wann hier Lärmschutz kommt“, sagt Wagner, „und die sagten mir: Da machen Sie sich mal keine Sorgen.“
Seitdem sind elf Jahre vergangen. Und das Einzige, was sich verändert hat, ist die Zahl der Züge, die an Wagners Haus vorbeifahren. Früher waren es 300 am Tag, heute sind es 500. Wenn der Rhein-Ruhr-Express kommt, dürften es gar 700 werden.
Deutschland ist Pendlerrepublik
Ob Tag für Tag oder Wochenende für Wochenende, ob mit Auto, Flugzeug oder Zug: Andere Lebensformen, billigere Flüge, neue ICE-Strecken und ein dichtes Autobahnnetz, die Verdichtung der Arbeitswelt und die Hoffnung auf Karriere haben Deutschland in eine Pendlerrepublik verwandelt.
59 Prozent aller Arbeitnehmer, 18,4 Millionen Menschen, verlassen tagsüber die Grenzen ihres Wohnortes – so viele wie nie zuvor. Damit nähert sich das Land im internationalen Vergleich den Spitzenreitern an. Nur in Belgien, den Niederlanden, Schweden, Dänemark und Großbritannien ist der Pendleranteil höher.
So wird Pendeln erträglicher
Regeln Sie den Umgang mit Verspätungen, fragen Sie nach Heimarbeit und Gleitzeit.
Klären Sie familiäre Probleme am Feierabend. Genießen Sie das Wochenende.
Nicht am Wochenende nachholen, was unter der Woche wegen des Pendelns liegen geblieben ist. Erholen Sie sich lieber.
Schalten Sie ab – vor allem Laptop und Smartphone. Hören Sie Musik.
Dafür gibt es ein paar naheliegende Ursachen, etwa den Wirtschaftsaufschwung der vergangenen Jahre. Je mehr Menschen Jobs finden, desto mehr setzen sich jeden Morgen in die Bahn oder ins Auto. Außerdem gibt es mehr Partnerschaften, in denen beide berufstätig sind. Andere pendeln, weil ihre Firma umgezogen ist oder weil sie an ihrem Wohnort keinen anderen Job finden, zumindest keinen besseren.
Pendeln nervt - und macht krank
Dabei geben Pendler in allen Umfragen an, mit ihrem Schicksal zu hadern. Den einen nervt der Stau, den anderen das Warten am zugigen Bahnhof, den dritten die Nähe der riechenden oder redenden Menschen. Kein Wunder, dass es Dutzende Studien gibt über die gesundheitlichen Folgen des Pendelns: Es stresst, macht krank und unglücklich. Das US-Forschungsinstitut Gallup befragte vor einigen Jahren mehr als 170.000 Amerikaner. Von den Pendlern, die täglich über 90 Minuten unterwegs waren, litt jeder Dritte unter Nacken- oder Rückenproblemen.
Der britische Stressforscher David Lewis wiederum maß für eine Studie fünf Jahre lang den Blutdruck und die Herzfrequenz von 125 Pendlern. In belastenden Situationen stieg deren Stresspegel nicht nur stärker als der von Kampfpiloten. Sie vergaßen häufig sogar Teile ihres Weges zur Arbeit – die sogenannte „Pendler-Amnesie“. Und der renommierte Schweizer Ökonom Bruno Frey kam zu dem Ergebnis: Wer für den Weg zur Arbeit eine Stunde benötigt, müsste theoretisch 40 Prozent mehr verdienen, um genauso glücklich zu sein wie jemand, der seinen Job direkt um die Ecke hat.
Wenn die negativen Folgen des Pendelns so eindeutig sind – warum steigt die Zahl der Pendler trotzdem? Geht man dieser Frage nach, stößt man auf die Selbsttäuschung einer ganzen Republik.