Arbeitszeit Auch Schweden scheiterte am Sechs-Stunden-Tag

IG-Metall Forderung. Quelle: Getty Images

Die IG Metall will eine radikal kürzere Arbeitszeit erkämpfen. Schweden hat das vorgemacht – mit wenig Erfolg. Warum das Land nicht als Vorbild für deutsche Arbeitszeit-Regeln taugt.

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Bengt Lorentzon ist ein zurückhaltender Mann. Aber wenn der Berater über das Experiment von Göteborg spricht, kann er seine Begeisterung kaum zügeln. So wenig, dass es nicht lange dauert, bis er seinen Laptop aufklappt. Er muss sie jetzt einfach zeigen, seine Erfolgsstatistik zu jenem Experiment, das Göteborg weltweite Aufmerksamkeit verschafft hat.

In einem Altenheim der Stadt arbeiteten die Pflegeassistenten zwei Jahre lang nur noch sechs Stunden pro Tag – bei vollem Gehalt. Lorentzon, Betreiber einer Beratungsfirma im öffentlichen Sektor, hat das Experiment begleitet und ausgewertet. Er jubelt: „Die Ergebnisse sind großartig.“

Auf dem Laptop von Lorentzon wachsen die Balken, die den Erfolg anzeigen, in die Höhe: mehr Zufriedenheit durch weniger Stress, bessere Werte für die Müdigkeit, sogar mehr Sport haben die Pfleger in der reichlichen Freizeit freiwillig gemacht. Lorentzon lächelt. Seit fast 20 Jahren wirbt er für den Sechs-Stunden-Tag. Die Ergebnisse aus Göteborg scheinen ihm nun endlich Recht zu geben. Sie suggerieren eine Idylle, wie sie Schwedenfans aus den Bullerbü-Büchern Astrid Lindgrens kennen: ewiger Sommer ohne viel Arbeit.

Nur eine Zahl stört Lorentzons Euphorie. Sie steht ganz hinten in der Präsentation, ein wenig versteckt: 12,5 Millionen Kronen, etwa 1,25 Millionen Euro. So teuer war das Experiment. Zu teuer, selbst für das reiche Schweden.

Deswegen ist, Erfolgsbilanz hin oder her, das Experiment von Göteborg schon wieder Geschichte. Nach zwei Jahren Testlauf wurde es nicht verlängert. Die Pfleger arbeiten jetzt wieder acht Stunden pro Tag.

Weniger malochen, flexibler arbeiten – was die Göteborger beerdigen, steht Deutschland womöglich gerade bevor. In dieser Woche sind die ersten Gespräche zur Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie gestartet, es drohen die härtesten Streits seit Jahren. Geht es nach der mächtigen Gewerkschaft, sollen Metallarbeitnehmer ein individuelles Recht auf eine maximal zwei Jahre dauernde 28-Stunden-Woche erhalten. Wer im Job kürzertritt, um Kinder zu erziehen oder Eltern zu pflegen, soll sogar einen Teil des Lohnverlusts ausgeglichen bekommen.

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Für die Unternehmen, warnen die Metallarbeitgeber, wäre das eine „kollektive Arbeitszeitverkürzung durch die Hintertür“. Nach ihren Berechnungen müssten dann rund 200.000 Arbeitsplätze ersetzt werden. Boom und hohe Nachfrage auf der einen Seite, Fachkräftemangel und Teilzeitausweitung auf der anderen – für viele Betriebe ist diese Aussicht katastrophal.

Der Blick nach Norden zeigt: Die Sorge ist durchaus begründet. Seit Jahren experimentiert Schweden mit Arbeitszeitverkürzungen. Arbeiter der Göteborger Toyota-Werkstatt gehen nach sechs Stunden nach Hause. Auch das Universitätskrankenhaus der Stadt erprobt ein ähnliches Modell.

Immer wieder aber werden derlei Projekte auch eingestampft. Bis auf wenige Ausnahmen bleibt der Sechs-Stunden-Tag in Schweden eine Utopie: entweder zu teuer oder nicht praktikabel.

85 Millionen Euro

Maria Rydén verzieht ihr Gesicht, wenn sie die Geschichte vom Kurzarbeitsland Schweden hört. Die Politikerin der konservativen Moderaterna-Partei sitzt seit sieben Jahren im Göteborger Rathaus. Als die zweitgrößte Stadt Schwedens vor drei Jahren über das Altenheim-Experiment debattierte, rebellierte Rydén von Anfang an.

In ihrem Büro blicken Stoffmäuse von dem PC herab, doch die Gemütlichkeit täuscht. Rydén hat Papierstapel angehäuft für ihre Attacke auf die Ergebnisse von Lorentzons Präsentation. Rydén hat ausgerechnet, was es Göteborg kosten würde, alle Altenpfleger der Stadt nach dem Sechs-Stunden-Modell zu beschäftigen: 825 Millionen Kronen, umgerechnet knapp 85 Millionen Euro. „Unbezahlbar“, ruft die Politikerin.

Arbeitsmarktexperten wie Alexander Spermann bezeichnen die 28-Stunden-Woche bei gleich bleibenden Löhnen tatsächlich als „extremen Kostenschock“ – finanzierbar nur, wenn zugleich die Produktivität massiv steige, etwa durch intelligentere Arbeitsorganisation oder den Mehreinsatz von Maschinen und Robotern.

Bei Toyota in Göteborg etwa rechnet sich der Sechs-Stunden-Tag nur, weil es nun zwei Sechs-Stunden-Schichten gibt. Pro Tag kann der Autobauer so in seiner Werkstatt mehr Autos reparieren. Nach dem gleichen Modell funktioniert die Orthopädie-Station.

Doch bis heute bleiben solche Modelle auch in Schweden die absolute Ausnahme.

Warum das so ist, musste Erik Gatenholm vor einigen Monaten erfahren. Der junge Gründer wollte den Sechs-Stunden-Tag in seiner Firma ausprobieren. Am Stadtrand Göteborgs entwickelt der 28-Jährige mit seinem Start-up Cellink 3-D-Bio-Drucker. Irgendwann sollen sie menschliche Organe erzeugen. Bislang produzieren sie Gewebestücke, an denen Medikamente und Kosmetika getestet werden. In einem Raum mit Ausblick auf die Stadt schrauben Ingenieure die Drucker zusammen.

Mit diesen Mitarbeitern probierte Gatenholm die verkürzte Arbeitswoche aus. Doch statt weniger Stress zu verspüren, wurden die Mitarbeiter mit ihren Projekten plötzlich nicht mehr fertig. Nach sechs Stunden freiwillig nach Hause gehen wollte keiner. „Ich musste die regelrecht rausschmeißen“, erinnert sich Chef Gatenholm.

Gleichzeitig geriet sein Start-up in Verzug. Aufträge konnten nicht mehr schnell genug erledigt werden, der ganze Betrieb geriet ins Stocken.

Nach nur zwei Wochen zog Gatenholm die Konsequenz: Auch seine Leute arbeiten heute wieder acht Stunden pro Tag – oder bei Bedarf sogar länger.

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