Arbeitszeiten Warum flexible Arbeitszeiten eine Falle sind

Der Acht-Stunden-Tag ist tot. Viele Arbeitnehmer arbeiten mehr, einige deutlich weniger. Forscher haben jetzt herausgefunden: Je flexibler das Arbeitszeitangebot, desto mehr und länger arbeiten die Angestellten.

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Der britische Ökonom John Maynard Keynes war sich ganz sicher, dass bei einer flächendeckenden Einführung der Fünf-Tage-Woche Menschen im Jahr 2028 nur noch 15 Stunden pro Woche arbeiten müssen. Noch sind ein paar Jahre Zeit, aber bislang sieht es nicht so aus, als ob Keynes Recht behalten sollte. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes beträgt die gewöhnliche Wochenarbeitszeit in Deutschland über 35 Stunden.

Viele arbeiten mehr. Sehr drastische Fälle von Überarbeitung bis hin zu Arbeiten bis zum Tode sind hinreichend bekannt: Vor vier Jahren hat ein deutscher Praktikant in der Londoner Niederlassung der Bank of America Merrill Lynch so viel gearbeitet, dass er an totaler Erschöpfung gestorben sein soll. Bis zu 15 Stunden am Tag hat er im Büro verbracht. Bekannte und Kollegen beschrieben ihn als "sehr konzentriert" und es gab niemanden, "der härter arbeitete als er." Auch andere Praktikanten berichten von bis zu 100-Stunden-Wochen. Die Verlockung: ein Gehalt von umgerechnet 3200 Euro, vor allem aber die Aussicht auf einen Vertrag.

"Wir haben seit der Krise 2008/2009 wieder einen ungebremsten Aufschwung in Sachen Arbeitszeiten. Sie wurden in Länge, Lage und Intensität noch einmal deutlich ausgeweitet", sagt Jörg Hoffmann, erster Vorsitzender der IG Metall. In den letzten Monaten ist daher eine neue Debatte über Arbeitszeit und Überstunden entstanden. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) hatte Ende November 2016 Pläne zur einer Lockerung bei den Arbeitszeit-Vorschriften vorgelegt. Zeitgemäß sind die nämlich nicht mehr. Der Achtstundentag ist in Deutschland schon seit 100 Jahren, konkret: seit dem 15. November 1918, gesetzlich vorgeschrieben.

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Um Regelungen zu finden, die zur modernen Arbeitsweise - flexibel, mobil - passen, will Nahles Arbeitgebern und Gewerkschaften künftig mehr Flexibilität gestatten. In einer zweijährigen Probephase sollen Betriebe ausprobieren können, was für sie am besten passt.

Nach acht Stunden leidet die Konzentration

Die Wissenschaft zumindest sagt: Die optimale Arbeitszeit gibt es nicht. Was man jedoch weiß, ist: Nach acht Stunden nimmt die Fehlerquote zu, weil die Konzentration nachlässt. Jörg Feldmann, Sprecher der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAUA), ergänzt: „Nach acht Stunden pro Tag steigt das Unfallrisiko und das Risiko für Erkrankungen nimmt langfristig zu. “ Fragt man die Deutschen, sind acht Stunden Arbeit pro Tag für die Mehrheit das absolute Maximum. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) hält einen Arbeitstag von mehr als sechs, aber maximal acht Stunden für ideal, wie das Meinungsforschungsinstitut YouGov ermittelt hat.

Mehr als acht, aber maximal zehn Stunden halten 18 Prozent für den idealen Arbeitstag, 17 Prozent finden einen Arbeitstag von vier bis sechs Stunden perfekt. Eine deutliche Verringerung der Wochenarbeitszeit ist bei den Deutschen offenbar nicht mehrheitsfähig: 52 Prozent finden fünf Tage pro Woche vollkommen in Ordnung, nur 38 Prozent der Befragten wäre die vier Tage-Woche lieber. Unternehmen wie Google und Amazon bieten sie ihren Mitarbeitern bereits an.

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Drei Tage arbeiten. Vier Tage frei. So sieht die optimale Arbeitswoche aus, wenn es nach australischen Forschern geht. Sie wollen in einer Studie herausgefunden haben, dass zumindest Über-40-Jährige am leistungsfähigsten sind, wenn sie pro Woche nur 25 Stunden arbeiten. Die Wissenschaftler beobachteten die Arbeitsgewohnheiten von 6500 Australiern jenseits der 40 und führten mit ihnen Intelligenz-Tests durch.

Das Ergebnis: Solange die Testpersonen weniger als 25 Stunden die Woche arbeiteten, nahmen die kognitiven Fähigkeiten zu. Mit jeder Stunde, die über die Drei-Tage-Woche hinausging, waren die Probanden weniger aufmerksam und kreativ. Beim deutschen IAB betrachtet man diese Studie jedoch mit Argwohn, da weder die Art der Tätigkeit berücksichtigt wurde, noch die Identifizierung der Probanden mit ihrem Beruf oder Arbeitgeber. Das ist bei einer solchen Untersuchung aber tatsächlich ausschlaggebend: Wer körperlich schwer arbeitet und sich am Arbeitsplatz unwohl fühlt, ist selbstverständlich schneller erschöpft, als jemand, der mit Feuereifer im Büro arbeitet.

Der Sechs-Stunden-Tag kostet zu viel

Ein Grund dafür, dass Menschen immer mehr arbeiten, liegt auch an den flexiblen Arbeitszeiten. Mittlerweile arbeitet jeder Fünfte nicht mehr jeden Tag zu den gleichen Zeiten. Das geht aus einer repräsentativen Befragung des Instituts zur Zukunft der Arbeit hervor. In über 30 Prozent der Unternehmen ist Home-Office zumindest teilweise möglich. Diese örtliche und zeitliche Flexibilität hat allerdings eine nicht zu unterschätzende Folge: Wir arbeiten länger und sind bereit eher Überstunden zu machen.

Zu diesem Ergebnis kommt eine gemeinsame Untersuchung der Heinrich-Böll-Stiftung und der University of Kent, die kürzlich in der soziologische Fachzeitschrift "European Sociological Review" veröffentlicht wurde. Dazu wurden über mehrere Jahre hinweg, die Anzahl der Überstunden und die Flexibilität der Arbeitszeiten beobachtet. Demnach geht die Kontrolle über die Arbeitszeit mit einer Zunahme der Überstunden, aber auch des Einkommens einher - zumindest bei Männern. Frauen profitieren deutlich weniger davon, das Lohngefälle wird größer.

Der Wunsch nach Flexibilität und damit ein zunehmendes Verschmelzen von Privat- und Berufsleben hat allerdings auch schwerwiegende gesundheitliche Folgen: Einer Studie des Meinungsforschungsinstituts YouGov zufolge füllt sich jeder zweite "Freiarbeiter" am Ende des Arbeitstages erschöpft. Demgegenüber stehen klassische Arbeitnehmer, wo nur jeder dritte Erschöpfungszeichen zeigt.

In Skandinavien wird deshalb immer wieder mit kürzeren Arbeitszeiten experimentiert. Das Ziel: Den Angestellten mehr Zeit für Freunde und Familie ermöglichen, damit sie ihre Tanks wieder aufladen können, glücklicher und weniger gestresst sind.

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Durchgesetzt hat sich aber bisher kein Modell – es kostet schlicht zu viel. Wer den Arbeitstag von acht auf sechs Stunden verkürzt, braucht deutlich mehr Belegschaft, um weiterhin den Kundenservice oder die Produktion aufrechterhalten zu können. Das haben Experimente in Skandinavien gezeigt: Den Auftakt macht Schweden, konkret: eine Toyota-Werkstatt in Göteborg. Im Jahr 2000 führte das Unternehmen den sechs Stunden-Tag ein. Die Mitarbeiter arbeiten in zwei Schichten von sechs bis zwölf und von zwölf bis 18 Uhr.  Dadurch konnte die Werkstatt länger öffnen – mit positivem Effekt auf die Umsätze. Allerdings brauchte sie auch mehr Mitarbeiter. Seit dem haben immer wieder Unternehmen oder Behörden in Schweden mit diesem Modell experimentiert.

40 Stunden in vier Tagen statt fünf

2015 testete auch die japanische Modekette Uniqlo die Vier-Tage-Woche. Für Japan ein ungewöhnliches Modell, denn in Japan sind lange Arbeitstage und –wochen trotz anders lautender Arbeitsverträge bei vielen Statussymbol: 22 Prozent der Japaner arbeiten mehr als 49 Stunden pro Woche, 42,6 Prozent machen häufig unbezahlte Überstunden. An der Anzahl der Arbeitsstunden ändert sich für die Beschäftigten bei Uniqlo allerdings nichts. Laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg sollen die 2000 festangestellten Mitarbeiter ihre 40-Stunden-Woche an vier, statt an fünf Tagen abarbeiten. Am Wochenende mussten die Angestellten trotzdem im Laden stehen - schließlich gehen die Kunden eher samstags als montags shoppen.

Der App-Entwickler Basecamp dagegen testete ein halbes Jahr lang die 32-Stunden-Woche an vier Tagen. Auch bei einer Online-Plattform für Programmiersprachen, dem amerikanischen Unternehmen Treehouse, gibt es die Vier-Tage-Woche mit geringeren Arbeitszeiten. Sowohl bei Basecamp als auch bei Treehouse konnte man beobachten, dass die Mitarbeiter weniger unter Montagsblues leiden, effektiver arbeiten und weniger fehlen.

Allein schon deshalb, weil sie Arzttermine oder Besuche vom Handwerker auf ihren freien Wochentag legten und sich nicht extra frei nehmen mussten. Bei beiden Unternehmen wurde deshalb allerdings das Schichtsystem geändert, so dass immer ein Ansprechpartner für Kunden und Partner zur Verfügung stand. Auch durften nicht alle Mitarbeiter am selben Tag frei haben.

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