Begründetes Veto Nein-Sager machen eher Karriere

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Das Ja-Sagen wird uns antrainiert

Weil uns das Jasagen antrainiert wird. Bereits Kleinkinder werden belohnt, wenn sie sich verhalten, wie es ihren Eltern gefällt. Und diese Prägung zieht sich durchs Leben. Der eine verspricht sich von Zustimmung ein Plus an Beliebtheit, der andere erfüllt vorauseilend Erwartungen und simuliert etwa Fleiß, weil er glaubt, damit beim Chef besonders gut anzukommen. Hinzu kommt: Haben Angestellte bereits eine gute Position im Unternehmen erreicht, wollen sie ihre Kollegen und Vorgesetzten nicht enttäuschen. Noch ein weiteres Projekt, obwohl die Arbeitszeit knapp ist und der Terminkalender voll? Warum nicht!

Im Moment der Anfrage denkt niemand an den zusätzlichen Stress: Man sagt Ja – und trägt die Konsequenzen später. Ein Nein hingegen verzeitlicht nichts: Es birgt einen Konflikt, der im Hier und Jetzt ausgetragen werden muss. Die meisten Menschen entscheiden sich im Zweifel für das Ja, auch wenn es in Zukunft mehr Arbeit bedeutet. Ökonomen bezeichnen dieses Phänomen als Gegenwartspräferenz: Menschen neigen dazu, bei einer Entscheidung die unmittelbaren Folgen stärker zu gewichten als die künftigen. Kurzum: Der Jasager vertagt sein Dilemma lieber.

Nein-Sagen ist eine Form von Selbstwert

Solche Fälle kennt auch Julia Siems. Die 50-Jährige arbeitet seit 15 Jahren für die Personalberatung von Rundstedt und muss ihren Klienten häufig erklären, warum ein Nein wichtig ist. Eine ihrer Mandantinnen hatte jahrelang in einem Konzern gearbeitet, ohne eine Aufgabe abzulehnen. Sie steckte viel Zeit in ihren Job; wollte aufsteigen, bloß nicht anecken. Eine klassische Jasagerin. Umso härter traf es sie, als ihr im Zuge einer Umstrukturierung gekündigt wurde. Ihre Vorgesetzten hatten nicht bemerkt, wie wichtig sie war, wie viele Aufgaben sie anstandslos übernommen hatte. „Nur wer seine Grenzen aufzeigt, kann anderen deutlich machen, wie viel die eigene Arbeit wert ist“, sagt Siems. Wer weiß, wie gut er ist, kann sich ein Nein leisten.

Eigentlich eine Binsenweisheit: Nur derjenige kann beständig gute Resultate abliefern, der sich selbst nicht überlastet. Wer jeden Auftrag annimmt, mag den Eindruck erwecken, strebsam zu sein. Doch lässt die Qualität der Arbeit nach, schlägt das positive Empfinden ins Gegenteil um: ungenau, schlampig, unpünktlich – so lauten dann die Bewertungen, die dem einst so beliebten Tausendsassa anhaften.

Eine weitere Gefahr für alle Jasager: Wer immer zur Stelle ist, wird von den Kollegen gern vorgeschoben und ausgenutzt. Mit der Folge von „Überforderung und Scheitern“, sagt Thomas Hoffmann von der Personalberatung Robert Half – und im schlimmsten Fall auch mit der Folge eines Burn-outs.

Ja-Sager werden ausgenutzt

Das weiß auch Lars Kaiser, der seinen richtigen Namen lieber nicht veröffentlicht sehen möchte. Jahrelang hat er mit Freude in der Personalabteilung eines Unternehmens gearbeitet. Doch die Hilfsbereitschaft, die für Kaiser selbstverständlich war, wurde auch für die anderen Mitarbeiter zur Normalität. Kaiser bemerkte das zunächst gar nicht und gewöhnte sich an das hohe Pensum – bis eines Tages nichts mehr ging. Die Ärzte diagnostizierten einen Burn-out, Kaiser musste für ein Jahr in eine Klinik. Danach wollte er zurück in den Job, hatte aber Angst vor einem Rückfall. Deshalb suchte er Unterstützung bei Karriereexpertin Siems. Sie musste ihm erst einmal beibringen, wie das geht: Aufträge abzulehnen, Kollegen abzuwimmeln – Nein zu sagen.

Denn natürlich ist es mit einem einfachen Einspruch nicht getan. Zu groß die Gefahr, als Faulenzer oder Abblocker zu gelten. Deshalb rät Siems: „Begründen Sie Ihr Nein, und machen Sie Kompromissvorschläge.“ Dann fühle sich auch niemand schlecht behandelt.

Um sich auch gegen erfahrene Überredungskünstler zu wappnen, kommt es auf den Wortlaut der Ablehnung an. Zwei US-Wissenschaftler der Universität in Houston etwa haben mithilfe verlockender Süßigkeiten getestet, wie Menschen sich davor schützen können, nachzugeben. Die Marketingexperten teilten 120 Studenten in zwei Gruppen auf. Alle sollten den köstlichen Versuchungen widerstehen. Die einen, indem sie sagten: „Ich sollte keine Süßigkeiten essen.“ Die anderen, indem sie sagten: „Ich esse keine Süßigkeiten.“

Beim Verlassen des Raumes wurden ihnen beiläufig Schokoriegel oder Müsliriegel als Dankeschön angeboten. Und siehe da: Nur 36 Prozent der „Ich esse keine Süßigkeiten“-Gruppe wurden schwach und vernaschten den Schokoriegel. Von den anderen hingegen griffen 61 Prozent zu. Die Schlussfolgerung: Je klarer die Testpersonen ihren Standpunkt für sich selbst formulierten, umso einfacher fiel es ihnen, Nein zu sagen.

Wer an seiner eigenen Standfestigkeit zweifelt, kann es auch dem Chef überlassen, Prioritäten zu setzen. Dann sollte er aber gleichzeitig erklären, was daraus für die Abgabetermine anderer Projekte folgt. So entledigt er sich der Entscheidung und macht auf sein Pensum aufmerksam. Denn noch immer haftet Neinsagern das Image des Blockierers an – zu Unrecht. „Ein Nein ist keine Entscheidung gegen das eine“, sagt Buchautor Wehrle, „sondern für das andere.“

So sah es auch Apple-Gründer Steve Jobs: „Die Menschen glauben, dass wahrer Fokus bedeutet, zu einer Sache Ja zu sagen und sich ihr völlig zu verschreiben.“ Aber genau darum gehe es nicht: „Innovation bedeutet, zu 1000 anderen Ideen Nein zu sagen.“

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