Berufsberatung Drei Berater, drei Meinungen – was taugt Coaching?

Wer nicht weiß, was er mal werden soll, kann Experten fragen. Aber wie gehen die vor – und was bringt das? Ein Selbsttest mit widersprüchlichen Ergebnissen.

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Berufsberatung: Selbsttest von Mona Fromm. Quelle: Robert Poorten für WirtschaftsWoche

Zu Elke Fink kommen Menschen, die auf der Suche sind. Meist sitzen ihr Jugendliche gegenüber, die gerade die Realschule oder das Gymnasium abgeschlossen haben. Die Fragen sind immer gleich, die Antworten unterschiedlich: Den einen rät Fink zur Ausbildung, den anderen zum Studium. Damit sich ihre Besucher nicht allzu große Sorgen machen, sagt sie gleich zu Beginn: „Wir planen hier nicht bis zur Rente.“

Elke Fink – kurze, orangefarbene Haare, türkisfarbene Brille – ist Berufsberaterin bei der Bundesagentur für Arbeit in Essen. Ich sitze in ihrem Büro am Berliner Platz und möchte herausfinden, welche Beschäftigung die richtige für mich ist.

Zuerst nimmt Fink Bleistift und Zettel in die Hand. Dann fragt sie nach meinen Wünschen, Hobbys, Lieblingsfächern in der Schule. Auf einem Bogen kreuzt sie an, welche Tätigkeiten und Branchen für mich infrage kommen. Auf einem anderen Blatt notiert sie, welche Fähigkeiten ich für bestimmte Berufe brauche, Fremdsprachen- oder Computerkenntnisse, Sorgfalt und Selbstständigkeit. Eine halbe Stunde später rät Frau Fink: Ich soll IT-Systemkauffrau werden.

Die Tops und Flops für Bachelor-Absolventen
Flop-Branchen – Platz 5: WerbungKreative Köpfe mit Bachelor-Abschluss, die eine Karriere in der Werbung anstreben, müssen sich anfangs meist mit einem vergleichsweise geringen Gehalt zufrieden geben: Im Median verdienen sie in der Branche 32.793 Euro. Das ist das Ergebnis einer Studie des Vergleichsportals Gehalt.de, das mehr als 13.000 Gehaltsdatensätze von Berufseinsteigern mit weniger als drei Jahren Joberfahrung ausgewertet hat. Die Studienautoren nehmen als Mittelwert den Median, der die Mitte aller Daten beschreibt: 50 Prozent liegen über dem Wert, 50 Prozent darunter. Der Median ist daher genauer als der Durchschnittswert, der durch Ausreißer verzerrt werden kann. Quelle: dpa
Flop-Branchen – Platz 4: Soziale EinrichtungenIn sozialen Einrichtungen wie Pflege- oder Altersheimen liegt das Median-Einstiegsgehalt von Arbeitnehmern mit einem Bachelor-Abschluss bei etwa 32.082 Euro pro Jahr. Damit landet die Branche auf Platz vier im Ranking – ebenso in der Rangliste der Flop-Branchen für Absolventen eines Master-Studiengangs. Sie verdienen im Median etwas mehr als 35.000 Euro pro Jahr. Quelle: dpa
Flop-Branchen – Platz 3: GaststättenBerufseinsteiger mit einem Bachelor-Abschluss verdienen in Gaststätten und Hotels am Anfang im Median etwa 30.651 Euro pro Jahr. Akademiker mit einem Masterabschluss bekommen mit einem jährlichen Einstiegsgehalt von 32.770 Euro nur geringfügig mehr, weshalb der Wirtschaftszweig auch Platz eins unter den Flop-Branchen für Master-Studenten belegt. Doch: „Obwohl sich die Einstiegsgehälter zwischen Bachelor- und Masterabsolventen in geringer vergüteten Branchen kaum unterscheiden, gilt: Wer eine Führungsposition anstrebt, hat mit einem Master-Titel bessere Chancen“, sagt Philip Bierbach, Geschäftsführer von gehalt.de. Quelle: dpa
Flop-Branchen – Platz 2: BildungsinstitutionenWenn es um die Vergütung von Akademikern mit Bachelor-Abschluss geht, schneiden auch Bildungsinstitutionen im Ranking vergleichsweise schlecht ab: Das Jahresgehalt eines Angestellten beträgt laut Untersuchung am Anfang des Berufslebens im Median 30.348 Euro. Quelle: dpa
Flop-Branchen – Platz 1: TouristikMit einem Median-Einstiegsgehalt von etwa 30.000 Euro pro Jahr zählt die Touristik- und Freizeitindustrie zu den am schlechtesten bezahlten Branchen für Akademiker mit einem Bachelor-Abschluss. Branchenneulinge mit einem Masterabschluss verdienen im Median etwas mehr als 34.341 Euro. Quelle: dpa
Top-Branchen – Platz 5: AnlagenbauVergleichsweise hohe Gehälter erhalten Bachelor-Absolventen im Anlagenbau: Im Median verdienen sie der Auswertung zufolge jährlich etwas mehr als 45.305 Euro. Quelle: dpa
Top-Branchen – Platz 4: BankenTrotz des derzeitigen Bankenumbruchs gehört das Bankenwesen zu den Branchen, in denen Akademiker mit einem Bachelor-Abschluss am besten verdienen: und zwar 45.696 Euro pro Jahr . Quelle: dpa

Zu jung für eine Entscheidung

Aber soll ich das wirklich? Frau Fink hat gut reden. Ich plane nicht bis zur Rente, aber entscheiden muss ich mich ja doch. Und wenn ich eine Option wähle, fallen alle anderen erst einmal weg. Als Kleinkind war die Antwort auf die große Frage „Was will ich später mal werden?“ noch einfach: was Mama und Papa machen. Oder Fußballspieler, Flugbegleiterin, Feuerwehrmann.

Aber heute? Die Welt erscheint als Horizont von Möglichkeiten – und für eine davon muss man sich entscheiden. Aber wo viel Freiheit ist, da herrscht auch viel Unsicherheit. Die Chancen sind unzählig und die Ansprüche unendlich: Der Beruf soll seelische Erfüllung bieten, finanziell Freude machen und ein intellektuelles Vergnügen sein.

In Deutschland gibt es derzeit etwa 19.000 Studiengänge und 450 Ausbildungsberufe. Da dürfte es selbst Berufsberatern schwerfallen, den Überblick zu behalten. Können die mir Orientierung bieten? Und wenn ja: Welcher Experte kann mir wirklich helfen? Bin ich bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) am besten aufgehoben, in der Studien- und Karriereberatung von Hochschulen – oder bei privaten Karrierecoaches?

Drei Besuche, drei Versuche.

So finden Sie den perfekten Job

Elke Fink stellt Fragen, um mich in ein Gespräch zu ziehen. Welche Leistungskurse hatte ich in der Schule? Was mache ich in meiner Freizeit gerne? Schnell entdeckt sie meine Neigungen und Fähigkeiten, zum Beispiel ein Interesse an moderner Technik und Robotik. Sie will auch wissen, welche Berufe für mich überhaupt nicht infrage kommen. Klar, wer Arzt ausschließt, dem empfiehlt sie keine Ausbildung zum Rettungssanitäter.

Wie bei der Wahrsagerin

Nach ein paar Fragen wagt Fink das erste Resümee: „Sie arbeiten gern eigenverantwortlich, und Ihnen ist der Kontakt zu Kunden und anderen Menschen sehr wichtig.“ Klingt nach dem allgemeinen Befund einer Wahrsagerin, ist aber immerhin nicht ganz falsch.

Also weiter. Frau Fink will die Person verstehen, die vor ihr sitzt, leitet von den Interessen zu den Fähigkeiten über. „Arbeiten Sie gern körperlich?“ Ich antworte: „Das könnte ich mir schon vorstellen.“ Sie setzt ein Kreuzchen. Bei der Frage, ob ich gern gestalterisch arbeite, muss ich grübeln. Texte schreiben – ja. Aber ein Bild malen? Eher weniger. Sie setzt ihr Kreuzchen bei „vielleicht“.

Dann zeigt sie mir die Website der Arbeitsagentur und erklärt Schritt für Schritt, wie ich mich über die Details einer Beschäftigung informiere, über deren Anforderungen und Alltag. Im Bereich der IT- und Computerjobs möchte Fink das „Berufe.TV“ der Bundesagentur demonstrieren. Dort klickt sie einen Beruf an: IT-Systemkauffrau. Zum Schluss gibt Fink mir noch eine Hausaufgabe mit. Ich solle mich über andere Ausbildungsberufe in der Branche informieren – auf der Internetseite der Arbeitsagentur.

Erstes Fazit

Mein erstes Fazit: hmmm. Eigentlich hatte ich erwartet, nach dem Besuch bei Elke Fink besser Bescheid zu wissen, wohin meine berufliche Reise gehen soll. Irgendwie kommt mir meine Zukunft immer noch wolkig vor. Unter IT-Systemkauffrau kann ich mir alles und nichts vorstellen. Und ich bezweifle, ob ein Ausbildungsberuf das Richtige ist. Dieser Eindruck bestätigt sich ein paar Tage später. Nun soll ich Diplomatin werden.

Ilke Kaymak leitet den Career Service an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Zu ihr kommen vor allem Studierende, die schon eine gewisse Ahnung haben, wohin die berufliche Reise gehen könnte. Doch viele sind mit dem Angebot überfordert. Das gilt für mich genauso.

Kaymak orientiert sich an meinem Lebenslauf, ihr fällt mein Praktikum bei einem Logistikunternehmen auf. Ob ich mir das noch mal vorstellen könnte? Ich winke ab. „Dann versuchen Sie es doch mal in der Personalabteilung eines Unternehmens“, sagt Kaymak. In den folgenden Minuten erwähnt sie verschiedene Arbeitgeber: die Unternehmensberatung McKinsey, die EU-Kommission, den Pharmakonzern Bayer. Doch bevor ich mich dort bewerbe, solle ich mich selbst hinterfragen, sagt Kaymak. „Finden Sie heraus, welche Werte und Zielvorstellungen Ihnen im Leben wichtig sind.“ Was treibt mich an, was motiviert mich? Was will ich erreichen?

So sieht der perfekte Bewerber aus
Was Arbeitgeber wollen Quelle: Fotolia
79 Prozent der befragten Unternehmen sind auf der Suche nach Absolventen dieser Fachrichtung. Quelle: dapd
Deutschen Personalern ist der Untersuchung zufolge besonders wichtig, dass die Bewerber Arbeitserfahrungen gesammelt haben: Quelle: dpa
Von den Bewerbern, die eine Universität besucht haben, erwarten die Personalverantwortlichen gute Noten. Quelle: dpa
Sein Lebenslauf überzeugt Quelle: gms
Wenn der Personaler nach dem Lebenslauf einen Blick aufs Anschreiben wirft, kann der Bewerber mit klarer Struktur überzeugen. Quelle: Fotolia
Das Anschreiben kann noch so strukturiert sein – wenn sich Fehler einschleichen, kann der Bewerber den Job schon vergessen. Quelle: dpa

Im zweiten Schritt sollten sich Unentschlossene fragen, mit welchen Unternehmen und Organisationen sie sich identifizieren könnten. Beantworte man diese Fragen ehrlich, sei man schon einen ganzen Schritt weiter. Wer seine Interessen kenne und sich daran orientiere, könne nicht viel falsch machen. So gehen die meisten Deutschen vor. Die Meinungsforschung YouGov fand in einer Umfrage 2016 heraus, dass 59 Prozent der mehr als 1000 Befragten ihr Studium aus fachlichem Interesse gewählt hatten.

Als Kaymak liest, dass ich ein Praktikum in der Nähe von Shanghai gemacht habe, fragt sie nach: „Warum China?“ Ich war schon oft im Ausland, lerne in meiner Freizeit Chinesisch und würde gern in ein paar Jahren in China arbeiten. Für immer? Nein danke. Der Beraterin hat meine Antwort anscheinend weitergeholfen. Sie springt auf und kehrt mit ein paar DIN-A4-Zetteln zurück – eine Stellenausschreibung vom Auswärtigen Amt. „Wäre Diplomatin etwas für Sie?“

Im ersten Moment bin ich überrascht. Doch je länger ich darüber nachdenke, desto mehr kann ich mich damit anfreunden. Kaymak nennt weitere mögliche Wege: Ich solle mich mal mit Unternehmensberatungen auseinandersetzen, mit Wirtschaftsprüfungen und Public Relations. Und wolle ich wirklich einen Master-Abschluss machen? Den verlangt das Auswärtige Amt nämlich.

Wenn mir ihre Tipps nicht weiterhelfen, soll ich noch mal wiederkommen. Aber erst, nachdem ich einen Text geschrieben habe über einen fiktiven Tag in fünf Jahren. „Wenn sich jemand keine Gedanken gemacht hat, wohin er will“, sagt Kaymak, „dann braucht er sich nicht zu wundern, wo er landet.“

Zurück in die Schule?

Auf dem Rückweg habe ich einen Stapel Flyer in der Tasche und ein paar Bilder im Kopf, von Hosenanzügen und diplomatischen Vertretungen. Ein paar Tage später formt sich dort ein anderes Bild: Ich stehe vor einer grünen Tafel, halte Kreide in der einen Hand und forme mit der anderen einen Schweigefuchs – das Handzeichen soll eine laute Schulklasse beruhigen. Lutz Thimm, Gründer und Leiter des Thimm Instituts für Bildungs- und Karriereberatung, sagt: „Sie wären eine gute Lehrerin.“

Auch das noch. Eigentlich war ich froh, die Schule hinter mir zu haben. Und ich bezweifle, dass ich eine gute Lehrerin wäre – ich kann ziemlich ungeduldig sein. Ob ich nett und verständnisvoll zu den Schülern wäre?

Konkrete Berufe empfehlen ist unseriös

Aus Thimms Beratung nehme ich aber noch mehr mit, nämlich die Gewissheit, ein paar Fragen grundlegend beantworten zu müssen. Vor der Einzelberatung soll ich einen Fragebogen ausfüllen: Worauf bin ich stolz? Was würde ich gern ungeschehen machen? Wie würde mich mein Lieblingslehrer aus der Schule beschreiben – und wie mein mir unsympathischster Lehrer? Eine psychologische Selbsteinschätzung gehört auch dazu. Auf einer Skala von minus drei bis plus drei soll ich sagen, wie belastbar, begeisterungsfähig, tolerant oder selbstständig ich mich einschätze. Bei diesen Adjektiven gebe ich mir eine positive Punktzahl. Dafür gebe ich mir eine „minus zwei“ bei ausgeglichen, flexibel und delegationsfreudig.

Es folgen ein Fähigkeitstest, ein persönliches Gespräch und eine Postkorbübung, die auch Unternehmen im Assessment Center einsetzen. In einer halben Stunde soll ich einen Stapel von 25 E-Mails ordnen, priorisieren und in einen Kalender nachvollziehbar eintragen.

Das klingt leichter, als es ist. Denn jeder der E-Mail-Absender hat einen Extrawunsch, oft fallen drei Veranstaltungen auf einen Termin. Den Test für Mathematik-, Deutsch- und Englischkenntnisse, naturwissenschaftliches Talent und Allgemeinwissen werten Wirtschaftspsychologie-Studierende der Ruhr-Universität Bochum elektronisch aus. Das naheliegende Prinzip: Je schlechter die Matheergebnisse sind, desto seltener werden Studienrichtungen empfohlen, die Mathematik einschließen.

Thimm analysiert das Ergebnis der Postkorbübung: „Sie erledigen Ihre Aufgaben lieber selbst und delegieren daher zu wenig.“ Ich sei überdurchschnittlich organisiert und genau. Alternativ könne ich auch Jura studieren. Vorher solle ich mich aber mit Anwälten, Staatsanwälten und Richtern unterhalten. Für die Recherche zu Hause reichen fünf Stunden locker aus, steht auf einer der Auswertungsunterlagen.

Genau darum geht es dem Berater: Er will keine konkreten Berufe empfehlen, das sei unseriös. Man könne nicht über das Studium oder die Ausbildung hinwegsehen, sondern nur zum Nachdenken anregen. Statt „Lehrerin“ steht auf meiner Auswertung daher lediglich „Pädagogik“.

Den Aufwand lässt sich Thimm gut bezahlen: 550 Euro plus Mehrwertsteuer kostet die Beratung, im vergangenen Jahr haben sie 700 Schüler und Studienabbrecher gebucht. Andere private Coaching-Unternehmen sind noch teurer. Ein Anbieter aus Hamburg verlangt von Schülern, Studenten und Hochschulabsolventen mindestens 1500 Euro, von Berufserfahrenen sogar 1800 Euro.

Auf dem Rückweg frage ich mich, was eigentlich so wichtig an dieser Selbstfindung ist. Eine mögliche Antwort finde ich auf einem Werbeplakat von „Das Handwerk“: „Nur wenn du es ausprobierst, weißt du, was nichts für dich ist“, prangt da in Großbuchstaben – mit einem Hashtag drunter: „#einfachmachen“.

So schwierig das ist, so befreiend kann die Entscheidung dafür sein. Wenn ich mich nach meinen drei Beratungen festlegen müsste, würde ich Diplomatin in China werden. Und vielleicht vorher ein paar Semester Jura studieren.

Die Entscheidung kann kein Berater für mich treffen, aber immerhin habe ich jetzt ein bisschen mehr Klarheit. Hilfe zur Selbsthilfe haben alle drei Berater gegeben – wobei die BA eher für unbedarfte Schüler ist und der Career Service für angehende Akademiker. Ich persönlich habe beim privaten Karrierecoach Lutz Thimm am meisten über mich gelernt. Jedenfalls fühle ich mich wohl mit meiner Entscheidung, Journalistin werden zu wollen.

Vielleicht ist das die wichtigste Erkenntnis einer Berufsberatung: Selbstfindung heißt nicht, die perfekte Entscheidung zu treffen. Sondern darüber nachzudenken, wer man ist – und was man will.

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