Berufsberatung Drei Berater, drei Meinungen – was taugt Coaching?

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Konkrete Berufe empfehlen ist unseriös

Aus Thimms Beratung nehme ich aber noch mehr mit, nämlich die Gewissheit, ein paar Fragen grundlegend beantworten zu müssen. Vor der Einzelberatung soll ich einen Fragebogen ausfüllen: Worauf bin ich stolz? Was würde ich gern ungeschehen machen? Wie würde mich mein Lieblingslehrer aus der Schule beschreiben – und wie mein mir unsympathischster Lehrer? Eine psychologische Selbsteinschätzung gehört auch dazu. Auf einer Skala von minus drei bis plus drei soll ich sagen, wie belastbar, begeisterungsfähig, tolerant oder selbstständig ich mich einschätze. Bei diesen Adjektiven gebe ich mir eine positive Punktzahl. Dafür gebe ich mir eine „minus zwei“ bei ausgeglichen, flexibel und delegationsfreudig.

Es folgen ein Fähigkeitstest, ein persönliches Gespräch und eine Postkorbübung, die auch Unternehmen im Assessment Center einsetzen. In einer halben Stunde soll ich einen Stapel von 25 E-Mails ordnen, priorisieren und in einen Kalender nachvollziehbar eintragen.

Das klingt leichter, als es ist. Denn jeder der E-Mail-Absender hat einen Extrawunsch, oft fallen drei Veranstaltungen auf einen Termin. Den Test für Mathematik-, Deutsch- und Englischkenntnisse, naturwissenschaftliches Talent und Allgemeinwissen werten Wirtschaftspsychologie-Studierende der Ruhr-Universität Bochum elektronisch aus. Das naheliegende Prinzip: Je schlechter die Matheergebnisse sind, desto seltener werden Studienrichtungen empfohlen, die Mathematik einschließen.

Thimm analysiert das Ergebnis der Postkorbübung: „Sie erledigen Ihre Aufgaben lieber selbst und delegieren daher zu wenig.“ Ich sei überdurchschnittlich organisiert und genau. Alternativ könne ich auch Jura studieren. Vorher solle ich mich aber mit Anwälten, Staatsanwälten und Richtern unterhalten. Für die Recherche zu Hause reichen fünf Stunden locker aus, steht auf einer der Auswertungsunterlagen.

Genau darum geht es dem Berater: Er will keine konkreten Berufe empfehlen, das sei unseriös. Man könne nicht über das Studium oder die Ausbildung hinwegsehen, sondern nur zum Nachdenken anregen. Statt „Lehrerin“ steht auf meiner Auswertung daher lediglich „Pädagogik“.

Den Aufwand lässt sich Thimm gut bezahlen: 550 Euro plus Mehrwertsteuer kostet die Beratung, im vergangenen Jahr haben sie 700 Schüler und Studienabbrecher gebucht. Andere private Coaching-Unternehmen sind noch teurer. Ein Anbieter aus Hamburg verlangt von Schülern, Studenten und Hochschulabsolventen mindestens 1500 Euro, von Berufserfahrenen sogar 1800 Euro.

Auf dem Rückweg frage ich mich, was eigentlich so wichtig an dieser Selbstfindung ist. Eine mögliche Antwort finde ich auf einem Werbeplakat von „Das Handwerk“: „Nur wenn du es ausprobierst, weißt du, was nichts für dich ist“, prangt da in Großbuchstaben – mit einem Hashtag drunter: „#einfachmachen“.

So schwierig das ist, so befreiend kann die Entscheidung dafür sein. Wenn ich mich nach meinen drei Beratungen festlegen müsste, würde ich Diplomatin in China werden. Und vielleicht vorher ein paar Semester Jura studieren.

Die Entscheidung kann kein Berater für mich treffen, aber immerhin habe ich jetzt ein bisschen mehr Klarheit. Hilfe zur Selbsthilfe haben alle drei Berater gegeben – wobei die BA eher für unbedarfte Schüler ist und der Career Service für angehende Akademiker. Ich persönlich habe beim privaten Karrierecoach Lutz Thimm am meisten über mich gelernt. Jedenfalls fühle ich mich wohl mit meiner Entscheidung, Journalistin werden zu wollen.

Vielleicht ist das die wichtigste Erkenntnis einer Berufsberatung: Selbstfindung heißt nicht, die perfekte Entscheidung zu treffen. Sondern darüber nachzudenken, wer man ist – und was man will.

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