Bildung Lebenslanges Lernen als Potenzial für Unternehmen

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Bestehendes Wissen konservieren - und neues Wissen generieren

Wie gestresst die Deutschen sind
Die Rationalisierungen der vergangenen Jahre und eine gute Auftragslage sorgen aktuell für gute Zahlen bei vielen Unternehmen. Die Zeche zahlen vielfach die Arbeitnehmer - die Produktivität ist in den vergangenen Jahren stark angestiegen. Laut einer Umfrage des Deutschen Gewerkschaftsbundes fühlen sich viele Mitarbeiter mittlerweile im Job überfordert. Niemand muss sich aber vom Vorgesetzten zu ständigen Höchstleistungen zwingen lassen.  "Jeder Mitarbeiter muss nur Leistungen mittlerer Art und Güte erbringen", sagt Henning Timm, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Rölfs Partner in München. Vermeintliche Minderleister haben gute Karten. Erst wenn Arbeitnehmer über einen langen Zeitraum nicht die ihnen eigentlich mögliche Leistung erbringen, kann der Chef zunächst eine Abmahnung und anschließend eine Kündigung aussprechen. Eine Kündigung hat deshalb in vielen Fällen nur geringe Erfolgschancen. Viele Unternehmen entwickeln daher spezielle Coachingsystem für schwächere Mitarbeiter oder versetzen sie auf weniger anspruchsvolle Jobs. "Bevor eine verhaltens- oder personenbedingte Kündigung ausgesprochen werden kann, muss aber klar sein, dass ein Coaching gescheitert ist, etwa, weil der Mitarbeiter weiterhin stark unterdurchschnittliche Leistungen abliefert", sagt Timm. "In der Praxis haben Arbeitgeber gegen Minderleister, die nicht mit Vorsatz Minderleistungen abliefern, häufig nur wenig in der Hand". Quelle: picture-alliance/ obs
ArbeitshetzeIn Deutschland fühlt sich jeder zweite Beschäftigte bei der Arbeit sehr häufig (21 Prozent) oder oft (31 Prozent) gehetzt. Arbeitnehmerinnen sind davon besonders betroffen. Laut DGB-Studie leiden alle Altersgruppen und Branchen an Stress. Doch manche sind besonders gefährdetet: 60 Prozent der Vorgesetzten fühlen sich im Beruf gehetzt. Die Branche, in der sich die meisten Mitarbeiter gestresst fühlen, ist das Gastgewerbe. 70 Prozent beträgt hier der Anteil der Gehetzten. Quelle: Reuters
Im Gesundheits- und Sozialwesen sind es immerhin noch 65 Prozent. Auffallend ist, dass sich Beschäftigte, die im Kontakt mit Menschen stehen, besonders oft gestresst fühlen. Quelle: dapd
Leistungsverdichtung63 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland geben an, dass sie seit Jahren immer mehr in der gleichen Zeit leisten müssen. In allen Beschäftigungsgruppen und in jedem Wirtschaftszweig berichtete eine deutliche Mehrheit, dass die Arbeitsintensität zugenommen hätte. Den Spitzenplatz der Branchen erreicht das Baugewerbe. Hier geben 73 Prozent der Beschäftigten an, zunehmend mehr leisten zu müssen. Mit 68 Prozent liegt der Gesundheitssektor auf dem zweiten Platz, dicht gefolgt vom Bereich Information und Kommunikation (67 Prozent). Von den Beschäftigten, die voll und ganz der Meinung sind, dass sie seit Jahren immer intensiver arbeiten müssen, fühlen sich insgesamt 73 Prozent gehetzt. Quelle: dpa
Urteil: Überstunden sind nicht automatisch abgegoltenKlauseln wie „erforderliche Überstunden sind mit dem Monatsgehalt abgegolten“ sind in Arbeitsverträgen nicht erlaubt. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (Az: 5 AZR 517/09 vom 1. September 2010). Geklagt hatte ein Arbeitnehmer, dessen Überstunden zwar auf einem Zeitkonto dokumentiert wurden, der dafür aber am Ende des Arbeitsverhältnisses von seinem Chef kein Geld bekommen sollte. Das Gericht hielt die Klausel nicht für ausreichend transparent, da der Umfang der Überstunden nicht klar sei. Quelle: dapd
Ständige ErreichbarkeitDas Telefon klingelt nicht nur auf der Arbeit. 27 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen sehr häufig oder oft außerhalb ihrer Arbeitszeit erreichbar sein. Deutlich über dem Durchschnitt der ständigen Erreichbarkeit liegen Vorgesetzte. 40 Prozent von ihnen gaben an, auch in Ihrer Freizeit per Mail oder Handy erreichbar sein zu müssen. Häufig (43 Prozent) geben auch Berufstätige aus dem Sektor Erziehung und Unterricht an, über die normale Arbeitszeit hinaus erreichbar sein zu müssen. Quelle: dpa
Urteil: Keine Abrufbereitschaft im UrlaubDer Chef darf seine Angestellten in der Regel nicht aus dem Urlaub zurückbeordern. Das hat das Bundesarbeitsgericht entschieden (Az: 9 AZR 405/99 vom 20. Juni 2000). Ob es dringende Gründe gibt, warum der Arbeitnehmer keinen Urlaub nehmen kann, müsse sich der Arbeitgeber vor der Gewährung des Urlaubs überlegen. Eine Abrufbereitschaft verstoße gegen den gesetzlich garantierten Erholungszweck. Quelle: dpa

Die renommierte Altersforscherin Laura Carstensen von der Stanford-Universität geht davon aus, dass Menschen ihr Handeln – sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich – bewusst danach ausrichten, wie viel Zeit ihnen noch auf der Erde bleibt. In Kindheit und Jugend, wenn da noch so viel Zukunft ist, wollen sie neue Eindrücke gewinnen, neue Menschen kennenlernen und neue Informationen aufsaugen. Sprich: Sie sind umso neugieriger und wissbegieriger.

Doch je älter Menschen werden, desto wichtiger werden Sicherheit und Geborgenheit. Die sprichwörtliche Uhr läuft langsam ab – und umso mehr Wert legen sie darauf, bestehendes Wissen zu konservieren, anstatt neues zu generieren.

Lernziele vorgeben

Das müssen Unternehmen berücksichtigen. Wer die Lernfähigkeit der Mitarbeiter fördern will, muss ihnen zunächst einmal verdeutlichen, welche Ziele sie erreichen wollen. Beispiel Fremdsprache: Wollen sie in einem anderen Land lediglich im Restaurant Essen bestellen und mit Kollegen plaudern? Oder mit Geschäftspartnern Verhandlungen führen?

Dann sollten sie einen Plan aufstellen und Zwischenziele setzen. Etwa: Wie viel Zeit wollen sie investieren? Jeden Tag eine halbe Stunde? Und was wollen sie wann können? Wer sich an die Pläne hält und seine Ziele erreicht, erlebt Kompetenz – und die motiviert ungemein. Auch kann es helfen, Lernen an gewisse finanzielle Anreize zu knüpfen. Wichtig ist aber, dass diese Anreize – egal, ob Bonus oder Beförderung – erreichbar und attraktiv sind.

Die größten Karrieremythen
Der erste Job muss der richtige seinWer auf standardisierte Einstiegsprogramme in Unternehmen mit hohem Bekanntheitsgrad setze, müsse auch in Kauf nehmen, dass die eigene Berufslaufbahn nachgemacht wirkt, sagt Personalberater Marcus Schmidt. „Gehen Sie eigene Wege. Suchen Sie Ihren Einstieg ruhig gegen den Strich. Probieren Sie etwas aus, was sie wirklich interessiert.“ Quelle: AP
Der MBA ist ein Karriere-TurboDie deutsche Wirtschaft zeigt ein anderes Bild: Absolventen hätten sich selten in die Führungsetage hochgearbeitet, sagt Schmidt. Anders als der Doktortitel ist der MBA zudem kein normierter akademischer Grad, seine Vergabe wird also grundsätzlich nicht staatlich geregelt oder kontrolliert. Wer Studiengebühren von bis zu 70.000 US-Dollar auf sich nehme, solle deshalb das Renommee der Schule immer überprüfen. Quelle: dpa
Ein Auslandsaufenthalt fördert die weitere KarriereNicht immer, sagt Headhunter Marcus Schmidt – stattdessen kann der Auslandseinsatz sogar zum Nachteil werden. „Oftmals sind es die Daheimgebliebenen, die dann verbleibende Inlandsposten unter sich aufteilen“. Sie säßen dann auf Stühlen, auf die Auslandsrückkehrer vergeblich spekulieren. Quelle: Fotolia
In der Wirtschaftskrise macht man keine Karriere„In der Krise wählen Unternehmen bei der Besetzung von Stellen zwar sorgfältiger aus. Aber sie stellen trotzdem noch ein“, ist die Erfahrung von Marcus Schmidt. Gerade in Phasen des Umbruchs gebe es etwa die Chance zur Übernahme von Restrukturierungsjobs, bei denen wirklich die Fähigkeit der Verantwortlichen zählt. Quelle: dpa
Frauen hindert die „gläserne Decke“ am AufstiegTatsächlich finde sich diese „gläserne Decke“ vor allem in den Köpfen der männlichen Entscheider, glaubt Schmidt. Für weibliche Führungskräfte scheine sie hingegen kein Thema zu sein. „Viele Beratungsunternehmen und große Konzerne bitten uns öfter sogar explizit, nach weiblichen Kandidatinnen zu suchen.“ Quelle: dapd
Karriere macht, wer mehr als 60 Stunden pro Woche arbeitetFalsch, glaubt Headhunter Marcus Schmidt. Ebenso wichtig wie der tatsächliche Zeiteinsatz sei der gefühlte Zeiteinsatz. Und der definiere sich auch durch die Befriedigung mit der getanen Arbeit. „Wer es schafft, aus seiner Arbeit weitgehend Befriedigung zu ziehen, muss auch nicht Karriereschablonen zum persönlichen Zeiteinsatz nachjagen.“ Quelle: dpa
Gehalt ist ein untrüglicher Gradmesser des KarriereerfolgsDie Position mit Perspektive sei nicht immer die am besten bezahlte, sagt Marcus Schmidt. So könne sich für ein renommiertes Traineeprogramm ein kurzfristiger Gehaltsverzicht durchaus auszahlen - etwa, wenn das ausbildende Unternehmen in seiner Branche als Kaderschmiede gilt. Quelle: dpa

Margarete Voll hat ein solches Ziel deutlich vor Augen. Die 56-Jährige ist seit dem Jahr 2000 Abteilungsleiterin bei der Allianz in Frankfurt am Main und verantwortlich für 85 Mitarbeiter. In den nächsten Jahren würde sie gerne eine weitere Stufe auf der Karriereleiter nach oben klettern. Auch deshalb nimmt sie am Allianz Management Institute (AMI) derzeit an einer Weiterbildung teil.

Viele Großkonzerne haben inzwischen solche Akademien gegründet, knapp 100 so-genannte Corporate Universities gibt es in Deutschland. Sie tragen klangvolle Namen wie Siemens Learning Campus, ThyssenKrupp Academy, RWE Development Center oder Infineon Institute. Das AMI der Allianz gilt als eines der Vorzeigemodelle, im Jahr 2003 erhielt es als erste Firmenuni in Europa die Zertifizierung der European Foundation for Management Development (EFMD).

Weiterbildung muss sich lohnen

Voll startete im vergangenen Februar mit 32 Teilnehmern. In der ersten Seminarwoche ging es zunächst um konkrete Lernziele und eine genaue Selbsteinschätzung – welcher Teamtyp ist man, wo einzelne Stärken und Schwächen liegen. Dann wurden die Teilnehmer in Arbeitsgruppen eingeteilt. Nun bereitet Voll mit vier Kollegen, darunter auch solche aus Slowenien und den USA, ein Konzept zum Thema „E-Learning“ vor. Das sollen sie in der Abschlusswoche vor Allianz-Vorstandsmitgliedern präsentieren – unter realen Bedingungen. Denn je besser das Konzept, desto höher die Chance, dass es realisiert wird.

Die Versicherungsbosse nehmen sich bewusst Zeit für die AMI-Absolventen. Die Mitarbeiter sollen lernen, dass sich die Weiterbildung lohnt; dass sie dadurch Kontakt zu Vorgesetzten bekommen, die sie sonst selten bis gar nicht persönlich zu Gesicht bekommen.

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